ELFTES KAPITEL
Kooperation
Die kapitalistische Produktion beginnt, wie wir sahen, in der Tat
erst, wo dasselbe individuelle Kapital eine größere Anzahl Arbeiter gleichzeitig beschäftigt, der Arbeitsprozeß also seinen Umfang erweitert und Produkt auf größrer quantitativer Stufenleiter
liefert. Das Wirken einer größern Arbeiteranzahl zur selben Zeit,
in demselben Raum (oder, wenn man will, auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Warensorte, unter dem Kommando
desselben Kapitalisten, bildet historisch und begrifflich den
Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Mit Bezug auf die
Produktionsweise selbst unterscheidet sich z.B. die Manufaktur in
ihren Anfängen kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie
als durch die größere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital
beschäftigten Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur
erweitert.
Der Unterschied ist also zunächst bloß quantitativ. Man sah, daß
die Masse des Mehrweirts, welche ein gegebnes Kapital produziert,
gleich dem Mehrwert, den der einzelne Arbeiter liefert, multipliziert mit der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter.
Diese Anzahl ändert an und für sich nichts an der Rate des Mehrwerts oder dem Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und mit Bezug
auf die Produktion von Warenwert überhaupt scheint jede qualitative Verändrung des Arbeitsprozesses gleichgültig. Es folgt dies
aus der Natur des Werts. Vergegenständlicht sich ein zwölfstündiger Arbeitstag in 6 sh., so 1200 solcher Arbeitstage in 6 sh. x
1200. In dem einen Fall haben sich 12 x 1200, in dem andren 12
Arbeitsstunden den Produkten einverleibt. In der Wertproduktion
zählen viele immer nur als viele einzelne. Für die Wertproduktion
macht es also keinen Unterschied, ob 1200 Arbeiter vereinzelt
produzieren oder vereint unter dem Kommando desselben Kapitals.
Indes findet doch innerhalb gewisser Grenzen eine Modifikation
statt. In Wert vergegenständlichte Arbeit ist Arbeit von gesellschaftlicher Durchschnittsqualität,
#342# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerte
also die Äußerung einer durchschnittlichen Arbeitskraft. Eine
Durchschnittsgröße existiert aber immer nur als Durchschnitt
vieler verschiedner Größenindividuen derselben Art. In jedem Industriezweig weicht der individuelle Arbeiter, Peter oder Paul,
mehr oder minder vom Durchschnittsarbeiter ab. Diese individuellen Abweichungen, welche mathematisch "Fehler" heißen, kompensieren sich und verschwinden, sobald man eine größere Anzahl Arbeiter zusammennimmt. Der berühmte Sophist und Sykophant Edmund
Burke will aus seinen praktischen Erfahrungen als Pächter sogar
wissen, daß schon "für ein so geringes Peloton" wie 5 Ackerknechte aller individuelle Unterschied der Arbeit verschwindet,
also die ersten besten im Mannesalter befindlichen fünf englischen Ackerknechte zusammengenommen in derselben Zeit grad soviel
Arbeit verrichten als beliebige andre fünf englische Ackerknechte. 8) Wie dem auch sei, es ist klar, daß der Gesamtarbeitstag einer größren Anzahl gleichzeitig beschäftigter Arbeiter, dividiert durch die Anzahl der Arbeiter, an und für sich ein Tag
gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ist. Der Arbeitstag des
einzelnen sei z.B. zwölfstündig. So bildet der Arbeitstag von 12
gleichzeitig beschäftigten Arbeitern einen Gesamtarbeitstag von
144 Stunden, und obgleich die Arbeit eines jeden des Dutzend mehr
oder minder von der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit abweichen, der einzelne daher etwas mehr oder weniger Zeit zu derselben Verrichtung brauchen mag, besitzt der Arbeitstag jedes einzelnen als ein Zwölftel des Gesamtarbeitstags von 144 Stunden die
gesellschaftliche Durchschnittsqualität. Für den Kapitalisten
aber, der ein Dutzend beschäftigt, existiert der Arbeitstag als
Gesamtarbeitstag des Dutzend. Der Arbeitstag jedes einzelnen existiert als aliquoter Teil des Gesamtarbeitstags, ganz unabhängig
davon, ob die zwölf einander in die Hand arbeiten oder ob der
ganze Zusammenhang ihrer Arbeiten nur darin besteht, daß sie für
denselben Kapitalisten arbeiten.
#343# 11. Kapitel - Kooperation
Werden dagegen von den 12 Arbeitern je zwei von einem kleinen
Meister beschäftigt, so wird es zufällig, ob jeder einzelne Meister dieselbe Wertmasse produziert und daher die allgemeine Rate
des Mehrwerts realisiert. Es fänden individuelle Abweichungen
statt. Verbrauchte ein Arbeiter bedeutend mehr Zeit in der Produktion einer Ware, als gesellschaftlich erheischt ist, wiche die
für ihn individuell notwendige Arbeitszeit bedeutend ab von der
gesellschaftlich notwendigen oder der Durchschnittsarbeitszeit,
so gälte seine Arbeit nicht als Durchschnittsarbeit, seine Arbeitskraft nicht als durchschnittliche Arbeitskraft. Sie verkaufte sich gar nicht oder nur unter dem Durchschnittswert der
Arbeitskraft. Ein bestimmtes Minimum der Arbeitsfertigkeit ist
also vorausgesetzt, und wir werden später sehn, daß die kapitalistische Produktion Mittel findet, dies Minimum zu messen. Nichtsdestoweniger weicht das Minimum vom Durchschnitt ab, obgleich auf
der andren Seite der Durchschnittswert der Arbeitskraft gezahlt
werden muß. Von den sechs Kleinmeistern würde der eine daher
mehr, der andre weniger als die allgemeine Rate des Mehrwerts
herausschlagen. Die Ungleichheiten würden sich für die Gesellschaft kompensieren, aber nicht für den einzelnen Meister. Das
Gesetz der Verwertung überhaupt realisiert sich also für den einzelnen Produzenten erst vollständig, sobald er als Kapitalist
produziert, viele Arbeiter gleichzeitig anwendet, also von vornherein gesellschaftliche Durchschnittsarbeit in Bewegung setzt.
9) Auch bei gleichbleibender Arbeitsweise bewirkt die gleichzeitige Anwendung einer größren Arbeiteranzahl eine Revolution in
den gegenständlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses. Baulichkeiten, worin viele arbeiten, Lager für Rohmaterial usw., Gefäße,
Instrumente, Apparate usw., die vielen gleichzeitig oder abwechselnd dienen, kurz, eintell der Produktionsmittel wird jetzt gemeinsam im Arbeitsprozeß konsumiert. Einerseits wird der Tauschwert von Waren, also auch von Produktionsmitteln, durchaus nicht
erhöht durch irgendwelche erhöhte Ausbeutung ihres Gebrauchswerts. Andrerseits wächst der Maßstab der gemeinsam gebrauchten
Produktionsmittel. Ein Zimmer, worin 20 Weber mit ihren 20 Webstühlen arbeiten, muß weiter gestreckt sein als das Zimmer eines
unabhängigen
#344# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Webers mit zwei Gesellen. Aber die Produktion einer Werkstatt für
20 Personen kostet weniger Arbeit als die von 10 Werkstätten für
je zwei Personen, und so wächst überhaupt der Wert massenweise
konzentrierter und gemeinsamer Produktionsmittel nicht verhältnismäßig mit ihrem Umfang und ihrem Nutzeffekt. Gemeinsam vernutzte Produktionsttel geben geringren Wertbestandtell an das
einzelne Produkt ab, teils weil der Gesamtwert, den sie abgeben,
sich gleichzeitig auf eine größre Produktenmasse verteilt, teils
weil sie, im Vergleich zu vereinzelten Produktionsmitteln, zwar
mit absolut größrem, aber, ihren Wirkungskreis betrachtet, mit
relativ kleinrem Wert in den Produktionsprozeß eintreten. Damit
sinkt ein Wertbestandtell des konstanten Kapitals, also proportionell zu seiner Größe auch der Gesamtwert der Ware. Die Wirkung
ist dieselbe, als ob die Produktionsmittel der Ware wohlfeiler
produziert würden. Diese Ökonomie in der Anwendung der Produktionsmittel entspringt nur aus ihrem gemeinsamen Konsum im Arbeitsprozeß vieler. Und sie erhalten diesen Charakter als Bedingungen
gesellschaftlicher Arbeit oder gesellschaftliche gedingungen der
Arbeit im Unterschied von den zersplitterten und relativ kostspieligen Produktionsmitteln vereinzelter selbständiger Arbeiter
oder Kleinmeister, selbst wenn die vielen nur räumlich zusammen,
nicht miteinander arbeiten. Ein Teil der Arbeitsmittel erwirbt
diesen gesellschaftlichen Charakter, bevor ihn der Arbeitsprozeß
selbst erwirbt.
Die Ökonomie der Produktionsmittel ist überhaupt von doppeltem
Gesichtspunkt zu trachten. Das eine Mal, soweit sie Waren verwohlfeilert und dadurch den Wert der Arbeitskraft senkt. Das andre Mal, soweit sie das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschoßnen Gesamtkapital, d.h. zur Wertsumme seiner konstanten und variablen Bestandteile, verändert. Der letztre Punkt wird erst im ersten Abschnitt des Dritten Buchs dieses Werks erörtert, wohin wir
des Zusammenhangs wegen auch manches schon hierher Gehörige verweisen. Der Gang der Analyse gebietet diese Zerreißung des Gegenstands, die zugleich dem Geist der kapitalistischen Produktion
entspricht. Da hier nämlich die Arbeitsbedingungen dem Arbeiter
selbständig gegenübertreten, erscheint auch ihre Ökonomie als
eine besondre Operation, die ihn nichts angeht und daher getrennt
ist von den Methoden, welche seine persönliche Produktivität erhöhen.
Die Form der Arbeit vieler, die in demselben Produktionsprozeß
oder in verschiednen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen
planmäßig neben- und miteinander arbeiten, heißt Kooperation. 10)
#345# 11. Kapitel - Kooperation
Wie die Anffskraft einer Kavallerieschwadron oder die Widerstandskraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist
von der Summe der von jedem Kavalleristen und Infanteristen vereinzelt entwickelten Angriffs- und Widerstandskräfte, so die mechanische Kraftsumme vereinzelter Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz, die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in derselben ungetellten Operation zusammenwirken, z.B.
wenn es gilt, eine Last zu heben, eine Kurbel zu drehn oder einen
Widerstand aus dem Weg zu räumen. 11) Die Wirkung der kombinierten Arbeit könnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in
viel längren Zeiträumen oder nur auf einem Zwergmaßstab hervorgebracht werden. Es handelt sich hier nicht nur um Erhöhung der individuellen Produktivkraft durch die Kooperation, sondern um die
Schöpfung einer Produktivkraft, die an und für sich Massenkraft
sein muß. 11a)
Abgesehn von der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung
vieler Kräfte in eine Gesamtkraft entspringt, erzeugt bei den
meisten produktiven Arbeiten der bloße gesellschaftliche Kontakt
einen Wetteifer und eine eigne Erregung der Lebensgeister (animal
spirits), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen erhöhen, so daß ein Dutzend Personen zu sammen in einem
gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel größres Gesamtprodukt liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen jeder 12 Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nacheinander
arbeitet. 12) Dies
#346# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
rührt daher, daß der Mensch von Natur, wenn nicht, wie Aristoteles meint, ein politisches 13), jedenfalls ein gesellschaftliches
Tier ist.
Obgleich viele dasselbe oder Gleichartiges gleichzeitig miteinander verzichten, kann die individuelle Arbeit eines jeden dennoch
als Teil der Gesamtarbeit verschiedne Phasen des Arbeitsprozesses
selbst darstellen, die der Arbeitsgegenstand, infolge der Kooperation, rascher durchläuft. Z.B. wenn Maurer eine Reihe von Händen bilden, um Bausteine vom Fuß eines Gestells bis zu seiner
Spitze zu befördern, tut jeder von ihnen dasselbe, aber dennoch
bilden die einzelnen Verrichtungen kontinuierliche Teile einer
Gesamtverrichtung, besondre Phasen, die jeder Baustein im Arbeitsprozeß durchlaufen muß und wodurch ihn etwa die 24 Hände des
Gesamtarbeiters rascher fördern als die zwei Hände jedes einzelnen Arbeiters, der das Gerüst auf- und abstiege. 14) Der Arbeitsgegenstand durchläuft denselben Raum in kürzerer Zeit. Andrerseits findet Kombination der Arbeit statt, wenn ein Bau z.B. von
verschiednen Seiten gleichzeitig angegriffen wird, obgleich die
Kooperierenden dasselbe oder Gleichartiges tun. Der kombinierte
Arbeitstag von 144 Stunden, der den Arbeitsgegenstand vielseitig
im Raum angreift, weil der kombinierte Arbeiter oder Gesamtarbeiter vorn und hinten Augen und Hände hat und in gewissem Grad Allgegenwart besitzt, fördert das Gesamtprodukt rascher als 12
zwölfstündige Arbeitstage mehr oder minder vereinzelter Arbeiter,
die ihr Werk einseitiger angreifen müssen. In derselben Zeit reifen verschiedne Raumteile des Produkts.
Wir betonten, daß die vielen, die einander ergänzen, dasselbe
oder Gleichartiges tun, weil diese einfachste Form gemeinsamer
Arbeit auch in der aus.
#347# 11. Kapitel - Kooperation
gebildetsten Gestalt der Kooperation eine große Rolle spielt. Ist
der Arbeitsprozeß kompliziert, so erlaubt die bloße Masse der Zusammenarbeitenden, die verschiednen Operationen unter verschiedne
Hände zu verteilen, daher gleichzeitig zu verrichten und dadurch
die zur Herstellung des Gesamtprodukts nötige Arbeitszeit zu verkürzen. 15)
In vielen Produktionszweigen gibt es kritische Momente, d.h.
durch die Natur des Arbeitsprozesses selbst bestimmte Zeitepochen, während deren bestimmte Arbeitsresultate erzielt werden
müssen. Soll z.B. eine Herde Schafe geschoren oder eine Morgenanzahl Kornland gemäht und geherbstet werden, so hängt Quantität
und Qualität des Produkts davon ab, daß die Operation zu einer
gewissen Zeit begonnen und zu einer gewissen Zeit beendet wird.
Der Zeitraum, den der Arbeitsprozeß einnehmen darf, ist hier vorgeschrieben, wie etwa beim Heringsfang. Der einzelne kann aus einem Tag nur einen Arbeitstag herausschneiden, sage von 12 Stunden, aber die Kooperation von 100 z.B. erweitert einen zwölfstündigen Tag zu einem Arbeitstag von 1200 Stunden. Die Kürze der Arbeitsfrist wird kompensiert durch die Größe der Arbeitsmasse, die
im entscheidenden Augenblick auf das Produktionsfeld geworfen
wird. Die rechtzeitige Wirkung hängt hier ab von der gleichzeitigen Anwendung vieler kombinierten Arbeitstage, der Umfang des
Nutzeffekts von der Arbeiteranzahl, die jedoch stets kleiner
bleibt als die Anzahl der Arbeiter, die vereinzelt in demselben
Zeitraum denselben Wirkungsraum ausfallen würden. 16) Es ist der
Mangel dieser Kooperation, wodurch im Westen der Vereinigten
Staaten eine Masse Korn und in den Teilen Ostindiens, wo englische Herrschaft das alte Gemeinwesen zerstört hat, eine Masse
Baumwolle jährlich verwüstet wird. 17)
#348# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Auf der einen Seite erlaubt die Kooperation, die Raumsphäre der
Arbeit auszurecken, und wird daher für gewisse Arbeitsprozesse
schon durch den räumlichen Zusammenhang des Arbeitsgegenstandes
erheischt, wie bei Trockenlegung von Land, Eindämmung, Bewäßrung,
Kanal-, Straßen-, Eisenbahnbauten usw. Andrerseits ermöglicht
sie, verhältnismäßig zur Stufenleiter der Produktion, räumliche
Verengung des Produktionsgebiets. Diese Beschränkung der Raumsphäre der Arbeit bei gleichzeitiger Ausdehnung ihrer Wirkungssphäre, wodurch eine Masse falscher Kosten (faux frais) erspart
werden, entspringt aus der Konglomeration der Arbeiter, dem Zusammenrücken verschiedener Arbeitsprozesse und der Konzentration
der Piroduktionsmittel. 18)
Verglichen mit einer gleich großen Summe vereinzelter individueller Arbeitstage, produziert der kombinierte Arbeitstag größre
Massen von Gebrauchswert und vermindert daher die zur Produktion
eines bestimmten Nutzeffekts nötige Arbeitszeit. Ob er im gegebnen Fall diese gesteigerte Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz der Arbeit erhöht oder ihre räumliche Wirkungssphäre ausdehnt oder das räumliche Produktionsfeld im Verhältnis zur Stufenleiter der Produktion verengt oder im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht oder den
Wetteifer der einzelnen erregt und ihre nsgeister spannt oder den
gleichartigen Verrichtungen vieler den Stempel der Kontinuität
und Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedne Operationen
gleichzeitig verrichtet oder die Produktionsmittel durch ihren
gemeinschaftlichen Gebrauch ökonomisiert
#349# 11. Kapitel - Kooperation
oder der individuellen Arbeit den Charakter gesellschaftlicher
Durchschnittsarbeit verleiht, unter allen Umständen ist die spezifische Produktivkraft des kombinierten Arbeitstags gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Kooperation selbst.
Im planmäßigen Zusammenwirken mit andern streift der Arbeiter
seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen. 19)
Wenn Arbeiter überhaupt nicht unmittelbar zusammenwirken können,
ohne zusammen zu sein, ihre Konglomeration auf bestimmtem Raum
daher Bedingung ihrer Kooperation ist, können Lohnarbeiter nicht
kooperieren, ohne daß dasselbe Kapital, derselbe Kapitalist sie
gleichzeitig anwendet, also ihre Arbeitskräfte gleichzeitig
kauft. Der Gesamtwert dieser Arbeitskräfte oder die Lohnsumme der
Arbeiter für den Tag, die Woche usw., muß daher in der Tasche des
Kapitalisten vereint sein, bevor die Arbeitskräfte selbst im Produktionsprozeß vereint werden. Zahlung von 300 Arbeitern auf einmal, auch nur für einen Tag, bedingt mehr Kapitalauslage als Zahlung weniger Arbeiter Woche für Woche, während des ganzen Jahrs.
Die Anzahl der kooperierenden Arbeiter, oder die Stufenleiter der
Kooperation, hängt also zunächst ab von der Größe des Kapitals,
das der einzelne Kapitalist im Ankauf von Arbeitskraft auslegen
kann, d.h. von dem Umfang, worin je ein Kapitalist über die Lebensmittel vieler Arbeiter verfügt.
Und wie mit dem variablen, verhält es sich mit dem konstanten Kapital. Die Auslage für Rohmaterial z.B. ist 30mal größer für den
einen Kapitalisten, der 300, als für jeden der 30 Kapitalisten,
der je 10 Arbeiter beschäftigt. Wertumfang und Stoffmasse der gemeinsam benutzten Arbeitsmittel wachsen zwar nicht in demselben
Grad wie die beschäftigte Arbeiteranzahl, aber sie wachsen beträchtlich. Konzentration größrer Massen von Produktionsmitteln
in der Hand einzelner Kapitalisten ist also materielle Bedingung
für die Kooperation von Lohnarbeitern, und der Umfang der Kooperation, oder die Stufenleiter der Produktion, hängt ab vom Umfang
dieser Konzentration. Ursprünglich erschien eine gewisse Minimalgöße des individuellen Kapitals notwendig, damit die Anzahl der
gleichzeitig ausgebeuteten
#350# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Arbeiter, daher die Masse des produzierten Mehrwerts hinreichen
den Arbeitsanwender selbst von der Handarbeit zu entbinden, aus
einem Kleinmeister einen Kapitalisten zu machen und so das Kapitalverhältnis formell herzustellen. Sie erscheint jetzt als materielle Bedingung für die Verwandlung vieler zersplitterter und
voneinander unabhängiger individueller Arbeitsprozesse in einen
kombinierten gesellschaftlichen Arbeitsprozeß.
Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die
Arbeit nur als formelle Folge davon, daß der Arbeiter statt für
sich, für den Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der Kooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich
das Kommando des Kapitals zum Erheischnis für die Ausführung des
Arbeitsprozesses selbst, zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld wird
jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals auf dem
Schlachtfeld.
Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit
auf größrem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die Harmonie der individuellen Tätigkeiten vermittelt und die
allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner
selbständigen Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigiert sich selbst, ein Orchester bedarf des Musikdirektors.
Diese Funktion der Leitung, Überwachung und Vermittlung, wird zur
Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeordnete Arbeit kooperativ wird. Als spezifische Funktion des Kapitals erhält die
Funktion der Leitung spezifische Charaktermale.
Zunächst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des
kapitalistischen Produktionsprozesses möglichst große Selbstverwertung des Kapitals 20), d.h. möglichst große Produktion von
Mehrwert, also möglichst große Ausbeutung der Arbeitskraft durch
den Kapitalisten. Mit der Masse der gleichzeitig beschäftigten
Arbeiter wächst ihr Widerstand und damit notwendig der Druck des
Kapitals zur BewäJtigung dieses Widerstands. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses entspringende und ihm angehörige besondre
Funktion, sie ist zugleich Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und daher bedingt durch den unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeutung. Ebenso wächst mit dem Umfang der Produktionsmittel, die dem Lohnarbeiter als fremdes Eigentum gegenüberstehn, die Notwendigkeit der
#351# 11. Kapitel - Kooperation
Kontrolle über deren sachgemäße Verwendung. 21) Die Kooperation
der Lohnarbeiter ist ferner bloße Wirkung des Kapitals, das sie
gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre
Einheit als produktiver Gesamtkörper liegen außer ihnen, im Kapital, das sie zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang
ihrer Arbeiten tritt ihnen daher ideell als Plan, praktisch als
Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden
Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft.
Wenn daher die kapitalistische Leitung dem Inhalt nach zwieschlächtig ist, wegen der Zwieschlächtigkeit des zu leitenden
Produktionsprozesses selbst, welcher einerseits gesellschaftlicher Arbeitsprozeß zur Herstellung eines Produkts, andrerseits
Verwertungsprozeß des Kapitals, so ist sie der Form nach despotisch. Mit der Entwicklung der Kooperation auf größrem Maßstab
entwickelt dieser Despotismus seine eigentümlichen Formen. Wie
der Kapitalist zunächst entbunden wird von der Handarbeit, sobald
sein Kapital jene Minimalgröße erreicht hat, womit die eigentlich
kapitalistische Produktion erst beginnt, so tritt er jetzt die
Funktion unmittelbarer und fortwährender Beaufsichtigung der einzelnen Arbeiter und Arbeitergruppen selbst wieder ab an eine besendre Sorte von Lohnarbeitern. Wie eine Armee militärischer, bedarf eine unter dem Kommando desselben Kapitals zusammenwirkende
Arbeitermasse industrieller Oberoffiziere (Dirigenten, managers)
und Unteroffiziere (Arbeitsaufseher, foremen, overlookers, contre-maîtres), die während des Arbeitsprozesses im Namen des Kapitals konunandieren. Die Arbeit der Oberaufsicht befestigt sich zu
ihrer ausschließlichen Funktion. Bei Vergleichung derproduktionsweise unabhängiger
#352# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Bauern oder selbständiger Handwerker mit der auf Sklaverei beruhen, den Plantagenwirtschaft zählt der politische Ökonom diese
Arbeit der Oberaufsicht zu den faux frais de production." 21a)
Bei Betrachtung der kapitalistischen Produktionsweise identifiziert er dagegen die Funktion der Leitung, soweit sie aus der Natur des gemeinschaftlichen Arbeitsprozesses ent springt, mit derselben Funktion, soweit sie durch den kapitalistischen und daher
antagonistischen Charakter dieses Prozesses bedingt wird. 22) Der
Kapitalist ist nicht Kapitalist, weil er industrieller Leiter
ist, sondern er wird industrieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Oberbefehl in der Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in Krieg und Gericht Attribut des Grundeigentums war. 22a)
Eigentümer seiner Arbeitskraft ist der Arbeiter, solange er als
Verkäufer derselben mit dem Kapitalist marktet, und er kann nur
verkaufen, was er besitzt, seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Dies Verhältnis wird in keiner Weise dadurch verändert, daß der Kapitalist 100 Arbeitskräfte statt einer kauft oder
mit 100 voneinander unabhängigen Arbeitern Kontrakte schließt
statt mit einem einzelnen. Er kann die 100 Arbeiter anwenden,
ohne sie kooperieren zu lassen. Der Kapitalist zahlt daher den
Wert der 100 selbständigen Arbeitskräfte, aber er zahlt nicht die
kombinierte Arbeitskraft der Hundert. Als unabhängige Personen
sind die Arbeiter Vereinzelte, die in ein Verhältnis zu demselben
Kapital, aber nicht zueinander treten. Ihre Kooperation beginnt
erst im Arbeitsprozeß, aber im Arbeitsprozeß haben sie bereits
aufgehört, sich selbst zu gehören. Mit dem Eintritt in denselben
sind sie dem Kapital einverleibt. Als Kooperierende, als Glieder
eines werktätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondre
Existenzweise des
#353# 1. Kapitel - Kooperation
Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt
sich unentgeltlich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem
Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie alsproduktivkraft, die das Kapital von Natur
besitzt, als seine immanente Produktivkraft. Kolossal zeigt sich
die Wirkung der einfachen Kooperation in den Riesenwerken der alten Asiaten, Ämter, Etrusker usw.
"Es geschah in vergangnen Zeiten, daß diese asiatischen Staaten
nach Bestreitung ihrer Zivil- und Militärausgaben sich im Besitz
eines Vorschusses von Lebensmitteln befanden, die sie für Werke
der Pracht und des Nutzens verausgaben konnten. Ihr Kommando über
die Hände und Arme fast der ganzen nicht ackerbauenden Bevölkrung
und die ausschließliche Verfügung des Monarchen und der Profit
über jenen Überschuß boten ihnen die Mittel zur Errichtung jener
mächtigen Monumente, womit sie das Land erfüllten... In der Bewegung der kolossalen Statuen und der enormen Massen, deren Transport Staunen erregt, wurde fast nur menschliche Arbeit verschwenderisch angewandt. Die Zahl der Arbeiter und die Konzentration
ihrer Mühen genügte. So sehn wir mächtige Korallenriffe aus den
Tiefen des Ozeans zu Inseln anschwellen und festes Land bilden,
obgleich jeder individuelle Ablagerer (depositary) winzig,
schwach und verächtlich ist. Die nicht ackerbauenden Arbeiter einer asiatischen Monarchie haben außer ihren individuellen körperlichen Bemühungen wenig zum Werk zu bringen, aber ihre Zahl ist
ihre Kraft, und die Macht der Direktion über diese Massen gab jenen Riesenwerken den Ursprung. Es war die Konzentration der Revenuen, wovon die Arbeiter leben, in einer Hand oder wenigen Händen, welche solche Unternehmungen möglich machte." 23)
Diese Macht asiatischer und ägyptischer Könige oder etruskischer
Theokraten usw. ist in der modernen Gesellschaft auf den Kapitalisten übergegangen, ob er nun als vereinzelter Kapitalist auftritt, oder, wie bei Aktiengesellschaften, als kombinierter Kapitalist.
Die Kooperation im Arbeitsprozeß, wie wir sie in den Kulturanfängen der Menschheit, bei Jägervölkern 23a) oder etwa in der Agrikultur indischer
#354# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem Gemeineigentum an den Produktionsbedingungen, andrerseits darauf,
daß das einzelne Individuum sich von der Nabelschnur des Stammes
oder des Gemeinwesens noch ebensowenig losgerissen hat wie das
Bienenindividuum vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie von
der kapitalistischen Kooperation. Die sporadische Anwendung der
Kooperation auf großem Maßstab in der antiken Welt, dem Mittelalter und den modernen Kolonien beruht auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen, zumeist auf der Sklaverei. Die kapitalistische Form setzt dagegen von vornherein den
freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital
verkauft. Historisch jedoch entwickelt sie sich im Gegensatz zur
Bauernwirtschaft und zum unabhgen Handwerksbetrieb, ob dieser
zünftige Form besitze oder nicht. 24) Ihnen gegenüber erscheint
die kapitalistische Kooperation nicht als eine besondre historische Form der Kooperation, sondern die Kooperation selbst als
eine dem kapitalistischen Produktionsprozeß eigentümliche und ihn
spezifisch unterscheidende historische Form.
Wie die durch die Kooperation entwickelte gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit als Produktivkraft des Kapitals erscheint,
so die Kooperation selbst als eine spezifische Form des kapitalistischen Produktionsprozesses im Gegensatz zum Produktionsprozeß
vereinzelter unabhängiger Arbeiter oder auch Kleinmeister. Es ist
die erste Änderung, welche der wirkliche Arbeitsprozeß durch
seine Subsumtion unter das Kapital erfährt. Diese Änderung geht
naturwüchsig vor sich. Ihre Voraussetzung, gleichzeitige Beschäftigung einer grüßren Anzahl von Lohnarbeitern in demselben Arbeitsprozeß, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Dieser fällt mit dem Dasein des Kapitals selbst zusammen. Wenn sich die kapitalistische Produktionsweise daher einerseits als historische Notwendigkeit für die Verwandlung des Arbeitsprozesses in einen gesellschaftlichen Prozeß darstellt, so
andrerseits diese gesellschaftliche Form des Arbeitsprozesses als
eine vom Kapital angewandte Methode, um ihn durch Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher auszubeuten.
In ihrer bisher betrachteten einfachen Gestalt fällt die Kooperation zusammen mit der Produktion auf größrer Stufenleiter, bildet
aber keine feste
#355# 11. Kapitel - Kooperation
charakteristische Form einer andren Entwicklungsepoche der kapitalistischen Produktionsweise. Höchstens erscheint sie annähernd
so in den noch handwerksmäßigen Anfängen der Manufaktur 25) und
in jeder Art großer Agrikultur, welche der Manufakturperiode entspricht und sich wesentlich nur durch die Masse der gleichzeitig
angewandten Arbeiter und den Umfang der konzentrierten Produktionsmittel von der Bauernwirtschaft unterscheidet. Die einfache
Kooperation ist stets noch vorherrschende Form solcher Produktionszweige, worin das Kapital auf großer Stufenleiter operiert,
ohne daß Teilung der Arbeit oder Maschinerie eine bedeutende
Rolle spielte.
Die Kooperation bleibt die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als besondre
Form neben ihren weiterentwickelten Formen erscheint.