DREIZEHNTES KAPITEL
Maschinerie und große Industrie
1. Entwicklung der Maschinerie
John Stuart Mill sagt in seinen "Prinzipien der politischen Ökonomie":
"Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben." 86)
Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch
verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie Waren verwohlfeilern und den Teil
des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion
von Mehrwert.
Die Umwälzung der Produktionsweise nimmt in der Manufaktur die
Arbeitskraft zum Ausgangspunkt, in der großen Industrie das Arbeitsmittel. Es ist also zunächst zu untersuchen, wodurch das Arbeitsmittel aus einem Werkzeug in eine Maschine verwandelt wird
oder wodurch sich die Maschine vom Handwerksinstrument unterscheidet. Es handelt sich hier nur um große, allgemeine Charakterzüge, denn abstrakt strenge Grenzlinien scheiden ebensowenig
die Epochen der Gesellschafts- wie die der Erdgeschichte.
Mathematiker und Mechaniker - und man findet dies hier und da von
englischen Ökonomen wiederholt - erklären das Werkzeug für eine
einfache
#392# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Maschine und die Maschine für ein zusammengesetztes Werkzeug. Sie
sehn hier keinen wesentlichen Unterschied und nennen sogar die
einfachen mechanischen Potenzen, wie Hebel, schiefe Ebne,
Schraube, Keil usw. Maschinen. 87) In der Tat besteht jede Maschine aus jenen einfachen Potenzen, wie immer verkleidet und
kombiniert. Vom ökonomischen Standpunkt Jedoch taugt die Erklärung nichts, denn ihr fehlt das historische Element. Andrerseits
sucht man den Unterschied zwischen Werkzeug und Maschine darin,
daß beim Werkzeug der Mensch die Bewegungskraft, bei der Maschine
eine von der menschlichen verschiedne Naturkraft, wie Tier, Wasser, Wind usw. 88) Danach wäre ein mit Ochsen bespannter Pflug,
der den verschiedensten Produktionsepochen angehört, eine Maschine, Claussens Circular Loom 1*), der von der Hand eines einzigen Arbeiters bewegt, 96000 Maschen in einer Minute verfertigt,
ein bloßes Werkzeug. Ja, derselbe loom wäre Werkzeug, wenn mit
der Hand, und Maschine, wenn mit Dampf bewegt. Da die Anwendung
von Tierkraft eine der ältesten Erfindungen der Menschheit, ginge
in der Tat die Maschinenproduktion der Handwerksproduktion voraus. Als John Wyatt 1735 seine Spinnmaschine und mit ihr die industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts ankündigte, erwähnte
er mit keinem Wort, daß statt eines Menschen ein Esel die Maschine treibe, und dennoch fiel diese Rolle dem Esel zu. Eine Maschine, "um ohne Finger zu spinnen", lautete sein Programm. 89)
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Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschiednen Teilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeitsmaschine. Die
Bewegungsmaschine wirkt als Triebkraft des ganzen Mechanismus.
Sie erzeugt ihre eigne Bewegungskraft, wie die Dampfmaschine, kalorische Maschine [114], elektro-magnetische Maschine usw., oder
sie empfängt den Anstoß von einer schon fertigen Naturkraft außer
ihr, wie das Wasserrad vom Wassergefäll, der Windflügel vom Wind
usw. Der Transmissionsmechanismus, zusammengesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern, Kreiselrädern, Schäften, Schnüren,
Riemen, Zwischengeschirr und Vorgelege der verschiedensten Axt,
regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig, ihre Form, z.B. aus
einer perpendikulären in eine kreisförmige, verteilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie. Beide Teile des Mechanismus sind nur vorhanden, um der Werkzeugmaschine die Bewegung mitzuteilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand anpackt und zweckgemäß verändert. Dieser Teil der Maschinerie, die Werkzeugmaschine,
ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch jeden Tag von neuem den Ausgangspunkt,
sooft Handwerksbetrieb oder Manufakturbetrieb in Maschinenbetrieb
übergeht.
Sehn wir uns nun die Werkzeugmaschine oder eigentliche Arbeitsmaschine näher an, so erscheinen im großen und ganzen, wenn auch
oft in sehr modifizierteir Form, die Apparate und Werkzeuge wieder, womit der Handwerker und Manufakturarbeiter arbeitet, aber
statt als Werkzeuge des Menschen jetzt als Werkzeuge eines Mechanismus oder als mechanische. Entweder ist die ganze Maschine nur
eine mehr oder minder veränderte mechanische Ausgabe des alten
Handwerksinstiruments, wie bei
#394# IV. Abschnitt - Die Produkion des relativen Mehrwerts
dem mechanischen Webstuhl 90), oder die am Gerüst der Arbeitsmaschine angebrachten tätigen Organe sind alte Bekannte, wie Spindeln bei der Spinnmaschine, Nadeln beim Strumpfwirkerstuhl, Sägeblätter bei der Sägemaschine, Messer bei der Zerhackmaschine usw.
Der Unterschied dieser Werkzeuge von dem eigentlichen Körper der
Arbeitsmuchine erstreckt sich bis auf ihre Geburt. Sie werden
nämlich immer noch großenteils handwerksmäßig oder manufakturmäßig produziert und später erst an den maschinenmäßig produzierten
Körper der Arbeitsmaschine befestigt. 91) Die Werkzeugmaschine
ist also ein Mechanismus, der nach Mitteillung der entsprechenden
Bewegung mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen verrichtet,
welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrichtete.
Ob die Triebkraft nun vom Menschen ausgeht oder selbst wieder von
einer Maschine, ändert am Wesen der Sache nichts. Nach Übertragung des eigentlichen Werkzeugs vom Menschen auf einen Mechanismus tritt eine Maschine an die Stelle eines bloßen Werkzeugs. Der
Unterschied springt sofort ins Auge, auch wenn der Mensch selbst
noch der erste Motor bleibt. Die Anzahl von Arbeitsinstrumenten,
womit er gleichzeitig wirken kann, ist durch die Anzahl seiner
natürlichen Produktionsinstrumente, seiner eignen körperlichen
Organe, beschränkt. Man versuchte in Deutschland erst einen Spinner zwei Spinnräder treten, ihn also gleichzeitig mit zwei Händen
und zwei Füßen arbeiten zu lassen. Dies war zu anstrengend. Später erfand man ein Tretspinnrad mit zwei Spindeln, aber die
Spinnvirtuosen, die zwei Fäden gleichzeitig spinnen konnten, waren fast so selten als zweiköpfige Menschen. Die Jenny [115]
spinnt dagegen von vornherein mit 12-18 Spindeln, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit viel 1000 Nadeln auf einmal usw. Die Anzahl
der Werkzeuge, womit dieselbe Werkzeugmaschine gleichzeitig
spielt, ist von vornherein emanzipiert von der organischen
Schranke, wodurch das Handwerkszeug eines Arbeiters beengt wird.
An vielem Handwerkszeug besitzt der Unterschied zwischen dem
#395# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Menschen als bloßer Triebkraft und als Arbeiter mit dem eigentlichen Operateur eine sinnlich besonderte Existenz. Z.B. beim
Spinnrad wirkt der Fuß nur als Triebkraft, während die Hand, die
an der Spindel arbeitet, zupft und dreht, die eigentliche Spinnoperation verrichtet. Grade diesen letzten Teil des Handwerksinstruments ergreift die industrielle Revolution zuerst und überläßt dem Menschen, neben der neuen Arbeit die Maschine mit seinem
Auge zu überwachen und ihre Irrtümer mit seiner Hand zu verbessern, zunächst noch die rein mechanische Rolle der Triebkraft.
Werkzeuge dagegen, auf die der Mensch von vornherein nur als einfache Triebkraft wirkt, wie z.B. beim Drehn der Kurbel einer
Mühle 92), beim Pumpen, beim Auf- und Abbewegen der Arme eines
Blasebalgs, beim Stoßen eines Mörsers etc., rufen zwar zuerst die
Anwendung von Tieren, Wasser, Wind 93) als Bewegungskräften hervor. Sie recken sich, teilweise innerhalb, sporadisch schon lange
vor der Manufakturperiode zu Maschinen, aber sie revolutionieren
die Produktionsweise nicht. Daß sie selbst in ihrer handwerksmäßigen Form bereits Maschinen sind, zeigt sich in der Periode der
großen Industrie. Die Pumpen z.B., womit die Holländer 1836/37
den See von Harlem auspumpten, waren nach dem Prinzip gewöhnlicher Pumpen konstruiert, nur daß zyklopische Dampfmaschinen statt
der Menschenhände ihre Kolben trieben. Der gewöhnliche und sehr
unvollkommne Blasbalg des Grobschmieds wird noch zuweilen in England durch bloße Verbindung seines Arms mit einer Dampfmaschine
in eine mechanische Luftpumpe verwandelt. Die Dampfmaschine
selbst, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18.
Jahrhunderts fortexistierte 94),
#396# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
rief keine industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr umgekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionierte Dampfmaschine notwendig machte. Sobald der Mensch, statt
mit dem Werkzeug auf den Arbeitsgegenstand, nur noch als Triebkraft auf eine Werkzeugmaschine wirkt, wird die Verkleidung der
Triebkraft in menschliche Muskel zufällig und kann Wind, Wasser,
Dampf usw. an die Stelle treten. Dies schließt natürlich nicht
aus, daß solcher Wechsel oft große technische Ändrungen des ursprünglich für menschliche Triebkraft allein konstruierten Mechanismus bedingt. Heutzutage werden alle Maschinen, die sich erst
Bahn brechen müssen, wie Nähmaschinen, Brotbereitungsmaschinen
usw., wenn sie den kleinen Maßstab nicht von vornherein durch
ihre Bestimmung ausschließen, für menschliche und rein mechanische Triebkraft zugleich konstruiert.
Die Maschine, wovon die industrielle Revolution ausgeht, ersetzt
den Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen
Mechanismus, der mit einer Masse derselben oder gleichartiger
Werkzeuge auf einmal operiert und von einer einzigen Triebkraft,
welches immer ihre Form, bewegt wird. 95) Hier haben wir die Maschine, aber erst als einfaches Element der maschinenmäßigen Produktion.
Die Erweitrung des Umfangs der Arbeitsmaschine und der Zahl ihrer
gleichzeitig operierenden Werkzeuge bedingt einen niusenhafteren
Bewegungsmechanismus, und dieser Mechanismus zur Überwältigung
seines eignen Widerstands eine mächtigere Triebkraft als die menschliche, abgesehn davon, daß der Mensch ein sehr unvollkommnes
Produktionsinstrument gleichförmiges und kontinuierlicher Bewegung ist. Vorausgesetzt, daß er nur noch als einfache Triebkraft
wirkt, also an die Stelle seines Werkzeugs eine Werkzeugmaschine
getreten ist, können Naturkräfte ihn jetzt auch als Triebkraft
ersetzen. Von allen aus der Manufakturperiode überlieferten
großen Bewegungskiäften war die Pferdekraft die schlechteste,
teils weil ein Pferd seinen eignen Kopf hat, teils wegen seiner
Kostspieligkeit und des beschränkten Umfangs, worin es in Fabriken allein anwendbar ist. 96) Dennoch wurde das Pferd häufig während der Kinderzeit
#397# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
der großen Industrie angewandt, wie außer dem Jammer gleichzeitiger Agronomen schon der bis heute überlieferte Ausdruck der mechanischen Kraft in Pferdekraft bezeugt. Der Wind war zu unstet
und unkontrollierbar, und die Anwendung der Wasserkraft überwog
außerdem in England, dem Geburbort der großen Industrie, schon
während der Manufakturperiode. Man hatte bereits im 17. Jahrhundert versucht, zwei Läufer und also auch zwei Mahlgänge mit einem
Wasserrad in Bewegung zu setzen. Der geschwollne Umfang des
Transmissionsmechanismus geriet aber jetzt in Konflikt mit der
nun unzureichenden Wasserkraft, und dies ist einer der Umstände,
der zur genauern Untersuchung der Reibungsgesetze trieb. Ebenso
führte das ungleichförmige Wirken der Bewegungskraft bei Mühlen,
die durch Stoßen und Ziehen mit Schwengeln in Bewegung gesetzt
wurden, auf die Theorie und Anwendung des Schwungrads 97), das
später eine so wichtige Rolle in der großen Industrie spielt. In
dieser Art entwickelte die Manufakturperiode die ersten wissenschaftlichen und technischen Elemente der großen Industrie. Arkwrights Throstlesspinnerei wurde von vornherein mit Wasser getrieben. Indes war auch der Gebrauch der Wasserkraft als herrschender
Triebkraft mit erschwerenden Umständen verbunden. Sie konnte
nicht beliebig erhöht und ihrem Mangel nicht abgeholfen werden,
sie versagte zuweilen und war vor allem rein
#398# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
lokaler Natur. 98) Erst mit Watts zweiter, sog. doppelt wirkender
Dampfmaschine war ein erster Motor gefunden, der seine Bewegungskraft selbst erzeugt aus der Verspelsung von Kohlen und Wasser,
dessen Kraftpotenz ganz unter menschlicher Kontrolle steht, der
mobil und ein Mittel der Lokomotion, städtisch und nicht gleich
dem Wasserrad ländlich, die Konzentration der Produktion in Städten erlaubt, statt sie wie das Wasserrad über das Land zu zerstreuen 99), universell in seiner technologischen Anwendung, in
seiner Residenz verhältnismäßig wenig durch lokale Umsde bedingt.
Das große Genie Watts zeigt sich in der Spezifikation des Patents, das er April 1784 nahm, und worin seine Dampfmaschine
nicht als eine Erfindung zu besondren Zwecken, sondern als allgemeiner Agent der großen Industrie geschildert wird. Er deutet
hier Anwendungen an, wovon manche, wie z.B. der Dampfhammer, mehr
als ein halbes Jahrhundert später erst eingeführt wurden. Jedoch
bezweifelte er die Anwendbarkeit der Dampfmaschine auf Seeschiffahrt. Seine Nachfolger, Boulton und Watt, stellten 1851 die kolossalste Dampfmaschine für Ocean steamers 1*) auf der Londoner
Industrieausstellung aus.
Nachdem erst die Werkzeuge aus Werkzeugen des menschlichen Organismus in Werkzeuge eines mechanischen Apparats, der Werkzeugmaschine, verwandelt, erhielt nun auch die Bewegungsmaschine eine
selbständige, von den Schranken menschlicher Kraft völlig emanzipierte Form. Damit sinkt die einzelne Werkzeugmaschine, die wir
bisher betrachtet, zu einem bloßen Element der maschinenmäßigen
Produktion herab. Eine Bewegungsmaschine konnte jetzt viele Arbeitsmaschinen gleichzeitig treiben.
#399# 13. Kapitel - chinerie und große Industrie
Mit der Anzahl der gleichzeitig bewegten Arbeitsmaschinen wächst
die Bewegungsmaschine und dehnt sich der Transmissionsmechanismus
zu einem weitläufigen Apparat aus. Es ist nun zweierlei zu unterscheiden, Kooperation vieler gleichartiger Maschinen und Maschinensystem. In dem einen Fall wird das ganze Machwerk von derselben Arbeitsmaschine verrichtet. Sie führt alle die verschiednen
Operationen aus, welche ein Handwerker mit seinem Werkzeug, z.B.
der Weber mit seinem Webstuhl, verrichtete oder welche Handwerker
mit verschiednen Werkzeugen, sei es selbständig oder als Glieder
einer Manufaktur, der Reihe nach ausführten. 100) Z.B. in der modernen Manufaktur von Briefkuverts faltete ein Arbeiter das Papier mit dem Falzbein, ein andrer legte den Gummi auf, ein dritter schlug die Klappe um, auf welche die Devise aufgedruckt wird,
ein vierter bossierte die Devise usw., und bei jeder dieser Teiloperationen mußte jede einzelne Enveloppe die Hände wechseln.
Eine einzige Enveloppemaschine verrichtet alle diese Operationen
auf einen Schlag und macht 3000 und mehr Enveloppes in einer
Stunde. Eine auf der Londoner Industrieausstellung von 1862 ausgestellte amerikanische Maschine zur Bereitung von Papiertüten
schneidet das Papier, kleistert, faltet und vollendet 300 Stück
per Minute. Der innerhalb der Manufaktur geteilte und in einer
Reihenfolge ausgeführte Gesamtprozeß wird hier von einer Arbeitsmaschine vollbracht, die durch Kombination verschiedner Werkzeuge
wirkt. Ob nun eine solche Arbeitsmaschine nur mechanische Wiedergeburt eines komplizierteren Handwerkszeuges sei oder Kombination
verschiedenartiger, manufakturmäßig partikularisierter einfacher
Instrumente - in der Fabrik, d.h. in der auf Maschinenbetrieb gegründeten Werkstatt, erscheint jedesmal die einfache Kooperation
wieder, und zwar zunächst (wir sehn hier vom Arbeiter ab) als
räumliche Konglomeration gleichartiger und gleichzeitig zusammenwirkender Arbeitsmaschinen. So wird eine Webfabrik durch das Nebeneinander vieler
#400# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
mechanischen Webstühle und eine Nähfabrik durch das Nebeneinander
vieler Nähmaschinen in demselben Arbeitsgebäude gebildet. Aber es
existiert hier eine technische Einheit, indem die vielen gleichartigen Arbeitsmaschinen gleichzeitig und gleichmäßig ihren Impuls empfangen vom Herzschlag des gemeinsamen ersten Motors, auf
sie übertragen durch den Transmissionsmechanismus, der ihnen auch
teilweis gemeinsam ist, indem sich nur besondre Ausläufe davon
für jede einzelne Werkzeugrnaschine verästeln. Ganz wie viele
Werkzeuge die Organe einer Arbeitsmaschine, bilden viele Arbeitsmaschinen jetzt nur noch gleichartige Organe desselben Bewegungsmechanismus.
Ein eigentliches Maschinensystem tritt aber erst an die Stelle
der einzelnen selbständigen Maschine, wo der Arbeitsgegenstand
eine zusammenhängende Reihe verschiedner Stufenprozesse durchläuft, die von einer Kette verschiedenartiger, aber einander ergänzender Werkzeugmaschinen ausgeführt werden. Hier erscheint die
der Manufaktur eigentümliche Kooperation durch Teilung der Arbeit
wieder, aber jetzt als Kombination von Teilarbeitsmaschinen. Die
spezifischen Werkzeuge der verschiednen Teilarbeiter, in der
Wollmanufaktur z.B. der Wollschläger, Wollkämmer, Wollscherer,
Wollspinner usw., verwandeln sich jetzt in die Werkzeuge spezifizierter Arbeitsmaschinen, von denen jede ein besondres Organ für
eine besondre Funktion im System des kombinierten Werkzeugmechanismus bildet. Die Manufaktur selbst liefert dem Maschinensystem
in den Zweigen, worin es zuerst eingeführt wird, im großen und
ganzen die naturwüchsige Grundlage der Teilung und daher der Organisation des Produktionsprozesses. 101) Indes tritt sofort ein
wesentlicher Unterschied ein. In
#401# 13. Kapitel - Muchinerie und große Industrie
der Manufaktur müssen Arbeiter, vereinzelt oder in Gruppen, jeden
besondren Teilprozeß mit ihrem Handwerkszeug ausfahren. Wird der
Arbeiter dem Prozeß angeeignet, so ist aber auch vorher der Prozeß dem Arbeiter angepaßt. Dies subjektive Prinzip der Teilung
fällt weg für die maschinenartige Produktion. Der Gesamtprozeß
wird hier objektiv, an und für sich betrachtet, in seine konstituierenden Phasen analysiert, und das Problem, jeden Teilprozeß
auszuführen und die verschiednen Tellprozesse zu verbinden, durch
technische Anwendung der Mechanik, Chemie usw. gelöst 102), wobei
natürlich nach wie vor die theoretische Konzeption durch gehäufte
praktische Erfahrung auf großer Stufenleiter vervollkommnet werden muß. Jede Teilmaschine liefert der zunächst folgenden ihr
Rohrnaterial, und da sie alle gleichzeitig wirken, befindet sich
du Produkt ebenso fortwährend auf den verschiednen Stufen seines
Bildungsprozesses, wie im Übergang aus einer Produktionsphase in
die andre. Wie in der Manufaktur die unmittelbare Kooperation der
Teilarbeiter bestimmte Verhältniszahlen zwischen den besondren
Arbeitergruppen schafft, so in dem gegliederten Maschinensystem
die beständige Beschäftigung der Teilmaschinen durch einander ein
bestimmtes Verhältnis zwischen ihrer Anzahl, ihrem Umfang und ihrer Geschwindigkeit. Die kombinierte Arbeitsmaschine, jetzt ein
gegliedertes System von verschiedenartigen einzelnen Arbeitsmaschinen und von Gruppen derselben, ist um so vollkommner, je kontinuierlicher ihr Gesamtprozeß, d.h. mit je weniger Unterbrechung
das Rohmaterial von seiner ersten Phase zu seiner letzten übergeht, je mehr also statt der Menschenhand der Mechanismus selbst
es von einer Produktionsphase in die andre fördert. Wenn in der
Manufaktur die Isolierung der Sonderprozesse ein durch die Teilung der Arbeit selbst gegebnm Prinzip ist, so herrscht dagegen
in der entwickelten Fabrik die Kontinuität der Sonderprozesse.
Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf bloßer Kooperation
gleichartiger Arbeitsmaschinen, wie in der Weberei, oder auf einer Kombination verschiedenartiger, wie in der Spinnerei, bildet
an und für sich einen großen Automaten, sobald es von einem sich
selbst bewegenden
#402# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
ersten Motor getrieben wird. Indes kann das Gesamtsystem z.B. von
der Dampfmaschine getrieben werden, obgleich entweder einzelne
Werkzeugmaschinen für gewisse Bewegungen noch den Arbeiter brauchen, wie die zum Einfahren der Mule nötige Bewegung vor der Einführung der selfacting mule und immer noch bei Feinspinnerei,
oder aber bestimmte Teile der Maschine zur Verrichtung ihres
Werks gleich einem Werkzeug vom Arbeiter gelenkt werden müssen,
wie beim Maschinenbau vor der Verwandlung des slide rest (ein
Drehapparat) in einen selfactor. Sobald die Arbeitsmaschine alle
zur Bearbeitung des Rohstoffs nötigen Bewegungen ohne menschliche
Beihilfe verrichtet und nur noch menschlicher Nachhilfe bedarf,
haben wir ein automatisches System der Maschinerie, das indes beständiger Ausarbeitung im Detail fähig ist. So sind z.B. der Apparat, der die Spinnmaschine von selbst stillsetzt, sobald ein
einzelner Faden reißt, und der selfacting stop, der den verbesserten Dampfwebstuhl stillsetzt, sobald der Spule des Weberschiffs der Einschlagsfaden ausgeht, ganz moderne Erfindungen.
Als ein Beispiel sowohl der Kontinuität der Produktion als der
Durchführung des automatischen Prinzips kann die moderne Papierfabrik gelten. An der Papierproduktion kann überhaupt der Unterschied verschiedner Produktionsweisen, auf Basis verschiedner
Produktionsmittel, wie der Zusammenhang der gesellschaftlichen
Produktionsverhältnisse mit diesen Produktionsweisen, im einzelnen vorteilhaft studiert werden, da uns die ältere deutsche Papiermacherei Muster der handwerks mäßigen Produktion, Holland im
17. und Frankreich im 18. Jahrhundert Muster der eigentlichen Manufaktur und das moderne England Muster der automatischen Fabrikation in diesem Zweig liefern, außerdem in China und Indien noch
zwei verschiedne altasiatische Formen derselben Industrie existieren.
Als gegliedertes System von Arbeitsmaschinen, die ihre Bewegung
nur vermittelst der Transmissionsmaschinerie von einem zentralen
Automaten empfangen, besitzt der Maschinenbetrieb seine entwickeltste Gestalt. An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier
ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt
und dessen dämonische Kraft, erst versteckt durch die fast feierlich gemeßne Bewegung seiner Riesenglieder, im fieberhaft tollen
Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane ausbricht.
Es gab Mules, Dampfmaschinen usw., bevor es Arbeiter gab, deren
ausschließliches Geschäft es war, Dampfmaschinen, Mules usw. zu
machen, ganz wie der Mensch Kleider trug, bevor es Schneider gab.
Die Erfindungen von Vaucanson, Arkwright, Watt usw. waren jedoch
nur ausführbar,
#403# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
weil jene Erfinder ein von der Manufakturperiode fertig geliefertes und beträchtliches Quantum geschickter mechanischer Arbeiter
vorfanden. Ein Teil dieser Arbeiter bestand aus selbständigen
Handwerkern verschiedner Profession, ein andrer Teil war in Manufakturen vereinigt, worin, wie früher erwähnt, die Teilung der
Arbeit mit besondrer Strenge wartete. Mit der Zunahme der Erfindungen und der wachsenden Nachfrage nach den neu erfundnen Maschinen entwickelte sich mehr und mehr einerseits die Sondrung
der Maschinenfabrikation in mannigfaltige selbständige Zweige,
andrerseits die Teilung der Arbeit im Innern der maschinenbauenden Manufakturen. Wir erblicken hier also in der Manufaktur die
unmittelbare technische Grundlage der großen Industrie. Jene produzierte die Maschinerie, womit diese in den Produktionssphären,
die sie zunächst ergriff, den handwerks- und manufakturmäßigen
Betrieb aufhob. Der Maschinenbetrieb erhob sich also naturwüchsig
auf einer ihm unangemeßnen materiellen Grundlage. Auf einem gewissen Entwicklungsgrad mußte er diese erst fertig vorgefundne
und dann in ihrer alten Form weiter ausgearbeitete Grundlage
selbst umwälzen und sich eine seiner eignen Produktionsweise entsprechende neue Basis schaffen. Wie die einzelne Maschine zwergmäßig bleibt, solange sie nur durch Menschen bewegt wird, wie das
Maschinensystem sich nicht frei entwickeln konnte, bevor an die
Stelle der vorgefundnen Triebkräfte - Tier, Wind und selbst Wasser - die Dampfmaschine trat, ebenso war die große Industrie in
ihrer ganzen Entwicklung gelähmt, solange ihr charakteristisches
Produktionsmittel, die Maschine selbst, persönlicher Kraft und
persönlichem Geschick seine Existenz verdankte, also abhing von
der Muskelentwicklung, der Schärfe des Blicks und der Virtuosität
der Hand, womit der Tellarbeiter in der Manufaktur und der Handwerker außerhalb derselben ihr Zwerginstrument führten. Abgesehn
von der Verteurung der Maschinen infolge dieser Urspungsweise ein Umstand, welcher das Kapital als bewußtes Motiv beherrscht
blieb so die Ausdehnung der bereits maschinenmäßig betriebnen Industrie und das Eindringen der Maschinerie in neue Produktionszweige rein bedingt durch das Wachstum einer Arbeiterkategorie,
die wegen der halbkünstlerischen Natur ihres Geschäfts nur allmählich und nicht sprungweis vermehrt werden konnte. Aber auf einer gewissen Entwicklungsstufe geriet die große Industrie auch
technisch in Widerstreit mit ihrer handwerks- und manufakturmäßigen Unterlage. Ausreckung des Umfangs der Bewegungsmaschinen, des
Transmissionsmechanismus und der Werkzeugmaschinen, größere Komplikation, Mannigfaltigkeit und strengere Regelmäßigkeit ihrer
Bestandteile, im Maße wie die Werkzeugmaschine
#404# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
sich von dem handwerksmäßigen Modell, das ihren Bau ursprünglich
beherrscht, losriß und eine freie, nur durch ihre mechanische
Aufgabe bestimmte Gestalt erhielt 103), Ausbildung des automatischen Systems und stets unvermeidlichere Anwendung von schwer zu
bewältigendem Material, z.B. Eisen statt Holz - die Lösung aller
dieser naturwüchsig entspringenden Aufgaben stieß überall auf die
persönlichen Schranken, die auch das in der Manufaktur kombinierte Arbeiterpersonal nur dem Grad, nicht dem Wesen nach durchbricht. Maschinen z.B. wie die moderne Druckerpresse, der moderne
Dampfwebstuhl und die moderne Kardiermaschine, konnten nicht von
der Manufaktur geliefert werden.
Die Umwälzung der Produktionsweise in einer Sphäre der Industrie
bedingt ihre Umwälzung in der andren. Es gilt dies zunächst für
solche Industriezweige, welche zwar durch die gesellschaftliche
Teilung der Arbeit isoliert sind, so daß jeder derselben eine
selbständige Ware produziert, sich aber dennoch als Phasen eines
Gesamtprozesses verschlingen. So machte die Maschinenspinnerei
Maschinenweberei nötig und beide zusammen die mechanisch-chemische Revolution in der Bleicherei, Druckerei und Färberei. So
rief andrerseits die Revolution in der Baumwollspinnerei die Erfindung des gin zur Trennung der Baumwollfaser vom Samen hervor,
womit erst die Baumwollproduktion auf dem nun erheischten großen
Maßstab möglich ward. 104) Die Revolution in der Produktionsweise
der Industrie und Agrikultur ernötigte namentlich aber auch eine
Revolution in den allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses,
#405# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
d.h. den Kommunikations, und Transportmitteln. Wie die Kommunikations- und Transportmittel einer Gesellschaft, deren Pivot, um
mich eines Ausdrucks Fouriers zu bedienen, die kleine Agrikultur
mit ihrer häuslichen Nebenindustrie und das städtische Handwerk
waren, den Produktionsbedürfnissen der Manufakturperiode mit ihrer erweiterten Teilung der gesellschaftlichen Arbeit, ihrer Konzentration von Airbeitsmitteln und Arbeitern und ihren Kolonialmärkten durchaus nicht mehr genügen konnten, daher auch in der
Tat umgewälzt wurden, so verwandelten sich die von der Manufakturperiode überlieferten Transport- und Kommunikationsmittel bald
in unerträgliche Hemmschuhe für die große Industrie mit ihrer
fieberhaften Geschwindigkeit der Produktion, ihrer massenhaften
Stufenleiter, ihrem beständigen Werfen von Kapital- und Arbeitermassen aus einer Produktionssphäre in die andre und ihren neugeschaffnen weltmarktlichen Zusammenhängen. Abgesehn von ganz umgewälztem Segelschiffbau, wurde das Kommunikations- und Transportwesen daher allmählich durch ein System von Flußdampfschiffen,
Eisenbahnen, ozeanischen Dampfschiffen und Telegraphen der Produktionsweise der großen Industrie angepaßt. Die furchtbaren Eisenmassen aber, die jetzt zu schmieden, zu schweißen, zu schneiden, zu bohren und zu formen waren, erforderten ihrerseits zyklopische Maschinen, deren Schöpfung der manufakturmäßige Maschinenbau versagte.
Die große Industrie mußte sich also ihres charakteristischen Produktionsmittels, der Maschine selbst, bemächtigen und Maschinen
durch Maschinen produzieren. So erst schuf sie ihre adäquate
technische Unterlage und stellte sich auf ihre eignen Füße. Mit
dem wachsenden Maschinenbetrieb in den ersten Dezennien des 19.
Jahrhunderts bemächtigte sich die Maschinerie in der Tat allmählich der Fabrikation der Werkzeugmaschinen. Jedoch erst während
der letztverfloßnen Dezennien riefen ungeheurer Eisenbahnbau und
ozeanische Dampfschiffahrt die zur Konstruktion von ersten Motoren angewandten zyklopischen Maschinen ins Leben. Die wesentlichste Produktionsbedingung für die Fabrikation von Maschinen durch
Maschinen war eine jeder Kraftpotenz fähige und doch zugleich
ganz kontrollierbare Bewegungsmaschine. Sie existierte bereits in
der Dampfmaschine. Aber es galt zugleich die für die einzelnen
Maschinentelle nötigen streng geometrischen Formen wie Linie,
Ebne, Kreis, Zylinder, Kegel und Kugel maschinenmäßig zu produzieren. Dies Problem löste Henry Maudslay im ersten Dezennium des
19. Jahrhunderts durch die Erfindung des slide-rest, der bald automatisch gemacht und in modifizierter Form von der Drechselbank,
wofür er zuerst bestimmt war, auf andre
#406# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Konstruktionsmaschinen übertragen wurde. Diese mechanische Vorrichtung ersetzt nicht irgendein besondres Werkzeug, sondern die
menschliche Hand selbst, die eine bestimmte Form hervorbringt,
durch Vorhalten, Anpassen und Richtung der Schärfe von Schneideinstrumenten usw. gegen oder über das Arbeitsmaterial, z.B. Eisen. So gelang es, die geometrischen Formen der einzelnen Maschinenteile
"mit einem Grad von Leichtigkeit, Genauigkeit und Raschheit zu
produzieren, den keine gehäufte Erfahrung der Hand des geschicktesten Arbeiters verleihen konnte". 105)
Betrachten wir nun den Teil der zum Maschinenbau angewandten Maschinerie, der die eigentliche Werkzeugmaschine bildet, so erscheint das handwerksmäßige Instrument wieder, aber in zyklopischem Umfang. Der Operateur der Bohrmaschine z.B. ist ein ungeheurer Bohrer, der durch eine Dampfmaschine getrieben wird und
ohne den umgekehrt die Zylinder großer Dampfmaschinen und hydraulischer Pressen nicht produziert werden könnten. Die mechanische
Drechselbank ist die zyklopische Wiedergeburt der gewöhnlichen
Fußdrechselbank, die Hobelmaschine ein eiserner Zimmermann, der
mit denselben Werkzeugen in Eisen arbeitet, womit der Zimmermann
in Holz; das Werkzeug, welches in den Londoner Schiffswerften das
Furnierwerk schneidet, ist ein riesenartiges Rasiermesser, das
Werkzeug der Schermaschine, welche Eisen schneidet, wie die
Schneiderschere Tuch, eine Monstreschere, und der Dampfhammer
operiert mit einem gewöhnlichen Hammerkopf, aber von solchem Gewicht, daß Thor selbst ihn nicht schwingen könnte. 106) Einer
dieser Dampfhämmer z.B., die eine Erfindung von Nasmyth sind,
wiegt über 6 Tonnen und stürzt mit einem perpendikulären Fall von
7 Fuß auf einen Amboß von 36 Tonnen Gewicht. Er pulverisiert
spielend einen Granitblock und ist nicht minder
#407# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
fähig, einen Nagel in weiches Holz mit einer Aufeinanderfolge
leiser Schläge einzutreiben. 107)
Als Maschinerie erhält das Arbeitsmittel eine materielle Existenzweise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte
und erfahrungsmäßiger Routine durch bewußte Anwendung der Naturwissenschaft bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des
gesellschaftlichen Arbeitsprozesses rein subjektiv, Kombination
von Teilarbeitern; im Maschinensystem besitzt die große Industrie
einen ganz objektiven Produktionsorganismus, den der Arbeiter als
fertige materielle Produktionsbedingung vorfindet. In der einfachen und selbst in der durch Teilung der Arbeit spezifizierten
Kooperation erscheint die Verdrängung des vereinzelten Arbeiters
durch den vergesellschafteten immer noch mehr oder minder zufällig. Die Maschinerie, mit einigen später zu erwähnenden Ausnahmen, funktioniert nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter
oder gemeinsamer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses wird jetzt also durch die Natur des Areitsmittels
selbst diktierte technische Notwendigkeit.
#408# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
dieser Gesetze für Telegraphie usw. bedarf es eines sehr kostspieligen und weitläufigen Apparats. Durch die Maschine wird, wie
wir sahen, das Werkzeug nicht verdrängt. Aus einem Zwergwerkzeug
des menschlichen Organismus reckt es sich in Umfang und Anzahl
zum Werkzeug eines vom Menschen geschaffnen Mechanismus. Statt
mit dem Handwerkszeug, läßt das Kapital den Arbeiter jetzt mit
einer Maschine arbeiten, die ihre Werkzeuge selbst führt. Wenn es
daher auf den ersten Blick klar ist, daß die große Industrie
durch Einverleibung ungeheurer Naturkräfte und der Naturwissenschaft in den Produktionsprozeß die Produktivität der Arbeit außerordentlich steigern muß, ist es keineswegs ebenso klar, daß
diese gesteigerte Produktivkraft nicht durch vermehrte Arbeitsausgabe auf der andren Seite erkauft wird. Gleich jedem andren
Bestandteil des konstanten Kapitals schafft die Maschinerie keinen Wert, gibt aber ihren eignen Wert an das Produkt ab, zu dessen Erzeugung sie dient. Soweit sie Wert hat und daher Wert auf
das Produkt überträgt, bildet sie einen Wertbestandteil desselben. Statt es zu verwohlfeilern, verteuert sie es im Verhältnis
zu ihrem eignen Wert. Und es ist handgreiflich, daß Maschine und
systematisch entwickelte Maschinerie, das charakteristische Arbeitsmittel der großen Industrie, unverhältnismäßig an Wert
schwillt, verglichen mit den Arbeitsmitteln des Handwerks- und
Manufakturbetriebs.
Es ist nun zunächst zu bemerken, daß die Maschinerie stets ganz
in den Arbeitsprozeß und immer nur teilweis in den Verwertungsprozeß eingeht. Sie setzt nie mehr Wert zu, als sie im Durchschnitt durch ihre Abnutzung verliert. Es findet also große Differenz statt zwischen dem Wert der Maschine und dem periodisch
von ihr auf das Produkt übertragnen Wertteil. Es findet eine
große Differenz statt zwischen der Maschine als wertbildendem und
als produktbildendem Element. je größer die Periode, während welcher dieselbe Maschinerie wiederholt in demselben Arbeitsprozeß
dient, desto größer iene Differenz. Allerdings haben wir gesehn,
daß jedes eigentliche Arbeitsmittel oder Produktionsinstrument
immer ganz in den Arbeitsprozeß und stets nur stückweis, im Verhältnis zu seinem täglichen Durchschnittsverschleiß, in den Verwertungsprozeß eingeht. Diese Differenz jedoch zwischen Benutzung
und Abnutzung ist viel größer
#409# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
bei der Maschinerie als bei dem Werkzeug, weil sie, aus dauerhafterem Material gebaut, länger lebt, weil ihre Anwendung, durch
streng wissenschatthche Gesetze geregelt, größre Ökonomie in der
Verausgabung ihrer Bestandteile und ihrer Konsumtionsmittel ermöglicht, und endlich, weil ihr Produktionsfeld unverhältnismäßig
größer ist als das des Werkzeugs. Ziehn wir von beiden, von Maschinerie und Werkzeug, ihre täglichen Durchschnittskosten ab
oder den Wertbestandtell, den sie durch täglichen Durchschnittsverschleiß und den Konsum von Hilfsstoffen, wie Öl, Kohlen usw.,
dem Produkt zusetzen, so wirken sie umsonst, ganz wie ohne Zutun
menschlicher Arbeit vorhandne Naturkräfte. Um soviel größer der
produktive Wirkungsumfang der Maschinerie als der des Werkzeugs,
um soviel größer ist der Umfang ihres unentgeltlichen Dienstes,
verglichen mit dem des Werkzeugs. Erst in der großen Industrie
lernt der Mensch, das Produkt seiner vergangnen, bereits vergegenständlichten Arbeit auf großem Maßstab gleich einer Naturkraft
umsonst wirken zu lassen. 109)
Es ergab sich bei Betrachtung der Kooperation und Manufaktur, daß
gewisse allgemeine Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten
usw., im Vergleich mit den zersplitterten Produktionsbedingungen
vereinzelter Arbeiter durch den gemeinsamen Konsum ökonomisiert
werden, daher das Produkt weniger verteuern. Bei der Maschinerie
wird nicht nur der Körper einer Arbeitsmaschine von ihren vielen
Werkzeugen, sondern dieselbe Bewegungsmaschine nebst einem Teil
des Transmissionsmechanismus von vielen Arbeitsmaschinen gemeinsam verbraucht.
Gegeben die Differenz zwischen dem Wert der Maschinerie und dem
auf ihr Tagesprodukt übertragnen Wertteil, hängt der Grad, worin
dieser Wertteil das Produkt verteuert, zunächst vom Umfang des
Produkts ab, gleichsam von seiner Oberfläche. Herr Baynes aus
Blackburn schätzt in einer 1857 veröffentlichten Vorlesung, daß
#410# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
"jede real 109a) mechanische Pferdekraft 450 selfacting Mulespindeln nebst Vorgeschirr treibt oder 200 Throstlespindeln oder 15
Webstühle für 40 inch cloth 1*) nebst den Vorrichtungen zum Aufziehn der Kette, Schlichten usw." [117]
Es ist im ersten Fall das Tagesprodukt von 450 Mulespindeln, im
zweiten von 200 Throstlespindeln, im dritten von 15 mechanischen
Wehstühlen, worüber sich die täglichen Kosten einer Dampfpferdekraft und der Verschleiß der von ihr in Bewegung gesetzten Maschinerie verteilen, so daß hierdurch auf eine Unze Garn oder
eine Elle Geweb nur ein winziger Wertteil übertragen wird. Ebenso
im obigen Beispiel mit dem Dampfhammer. Da sich sein täglicher
Verschleiß, Kohlenkonsum usw. verteilen auf die furchtbaren Eisenmassen, die er täglich hämmert, hängt sich jedem Zentner Eisen
nur ein geringer Wertteil an, der sehr groß wäre, sollte das zyklopische Instrument kleine Nägel eintreiben.
Den Wirkungskreis der Arbeitsmaschine, also die Anzahl ihrer
Werkzeuge, oder, wo es sich um Kraft handelt, deren Umfang gegeben, wird die Produktenmasse von der Geschwindigkeit abhängen,
womit sie operiert, also z.B. von der Geschwindigkeit, womit sich
die Spindel dreht, oder der Anzahl Schläge, die der Hammer in einer Minute austeilt. Manche jener
#411# 13. Kapitel - Muchinerie und große Industrie
kolossalen Hämmer geben 70 Schläge, Ryders Schmiedepatentmaschine, die Dampfhämmer in kleineren Dimensionen zum Schmieden
von Spindeln anwendet, 700 Schläge in einer Minute.
Die Proportion gegeben, worin die Maschinerie Wert auf das Produkt überträgt, hängt die Größe dieses Wertteils von ihrer eignen
Wertgröße ab. 110) Je weniger Arbeit sie selbst enthält, desto
weniger Wert setzt sie dem Produkt zu. Je weniger Wert abgebend,
desto produktiver ist sie und desto mehr nähert sich ihr Dienst
dem der Naturkräfte. Die Produktion der Maschinerie durch Maschinerie verringert aber ihren Wert, verhältnismäßig zu ihrer Ausdehnung und Wirkung.
Eine vergleichende Analyse der Preise handwerks- oder manufakturmäßig produzierter Waren und der Preise derselben Waren als Maschinenprodukt ergibt im allgemeinen das Resultat, daß beim Maschinenprodukt der dem Arbeitsmittel geschuldete Wertbestandteil
relativ wächst, aber absolut abnimmt. Das heißt, seine absolute
Größe nimmt ab, aber seine Größe im Verhältnis zum Gesamtwert des
Produkts, z.B. eines Pfundes Garns, nimmt zu. 111)
#412# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Es ist klar, daß bloßes Deplacement der Arbeit stattfindet, also
die Gesamtsumme der zur Produktion einer Ware erheischten Arbeit
nicht vermindert oder die Produktivkraft der Arbeit nicht vermehrt wird, wenn die Produktion einer Maschine so viel Arbeit kostet, als ihre Anwendung erspart. Die Differenz iedoch zwischen
der Arbeit, die sie kostet, und der Arbeit, die sie erspart, oder
der Grad ihrer Produktivität hängt offenbar nicht ab von der Differenz zwischen ihrem eignen Wert und dem Wert des von ihr ersetzten Werkzeugs. Die Differenz dauert so lange, als die Arbeitskosten der Maschine und daher der von ihr dem Produkt zugesetzte Wertteil kleiner bleiben als der Wert, den der Arbeiter
mit seinem Werkzeug dem Arbeitsgegenstand zusetzen würde. Die
Produktivität der Maschine mißt sich daher an dem Grad, worin sie
menschliche Arbeitskraft ersetzt. Nach Herrn Baynes kommen auf
450 Mulespindeln nebst Vormaschinerie, die von einer Dampfpferdekraft getrieben werden, 2 1/2 Arbeiter 112) und werden mit jeder
selfacting mule spindle bei zehnstündigem Arbeitstag 13 Unzen
Garn (Durchschnittsnummer), also wöchentlich 365 5/8 Pfund Garn
von 2 1/2 Arbeitern gesponnen. Bei ihrer Verwandlung in Garn absorbieren ungefähr 366 Pfund Baumwolle (wir sehn der Vereinfachung halber vom Abfall ab) also nur 150 Arbeitsstunden oder 15
#413# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
zehnstündige Arbeitstage, während mit dem Spinnrad, wenn der
Handspinner 13 Unzen Garn in 60 Stunden liefert, dasselbe Quantum
Baumwolle 2700 Arbeitstage von 10 Stunden oder 27 000 Arbeitsstunden absorbieren würde. 113) Wo die alte Methode des blockprinting oder der Handkattundruckerei durch Maschinendruck verdrängt ist, druckt eine einzige Maschine mit dem Beistand eines
Mannes oder Jungen so viel vierfarbigen Kattun in einer Stunde
wie früher 200 Männer. 114) Bevor Eli Whitney 1793 den cottongin
erfand, kostete die Trennung eines Pfundes Baumwolle vom Samen
einen Durchschnittsarbeitstag. Infolge seiner Erfindung konnten
täglich 100 Pfd. Baumwolle von einer Negerin gewonnen werden und
die Wirksamkeit des gin ward seitdem noch bedeutend erhöht. Ein
Pfund Baumwollfaser, früher zu 50 Cents produziert, wird später
mit größrem Profit, d.h. mit Einschluß von mehr unbezahlter Arbeit, zu 10 Cents verkauft. In Indien wendet man zur Trennung der
Faser vom Samen ein halbmaschinenartiges Instrument an, die
Churka, womit ein Mann und eine Frau täglich 28 Pfd. reinigen.
Mit der von Dr. Forbes vor einigen Jahren erfundnen Churka produzieren 1 Mann und 1 Junge täglich 250 Pfd.; wo Ochsen, Dampf oder
Wasser als Triebkräfte gebraucht werden, sind nur wenige Jungen
und Mädchen als feeders (Handlanger des Materials für die Maschine) erheischt. Sechzehn dieser Maschinen, mit Ochsen getrieben, verrichten täglich das frühere Durchschnittstagewerk von 750
Leuten. 115)
Wie bereits erwähnt 1*), verrichtet die Dampfmaschine, beim
Dampfpflug, in einer Stunde zu 3 d. oder 1/4 sh. so viel Werk wie
66 Menschen zu 15 sh. per Stunde. Ich komme auf dieses Beispiel
zurück gegen eine falsche Vorstellung. Die 15 sh. sind nämlich
keineswegs der Ausdruck der während einer Stunde von den 66 Menschen zugefügten Arbeit. War das Verhältnis von Mehrarbeit zu
notwendiger Arbeit 100%, so produzierten diese 66 Arbeiter per
Stunde einen Wert von 30 sh., obgleich sich
#414# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
nur 33 Stunden in einem Äquivalent für sie selbst, d.h. im Arbeitslohn von 15 sh. darstellen. Gesetzt also, eine Maschine koste ebenso viel als der Jahreslohn von 150 durch sie verdrängten
Arbeitern, sage 3000 Pfd.St., so sind 3000 Pfd.St. keineswegs der
Geldausdruck der von 150 Arbeitern gelieferten und dem Arbeitsgegenstand zugesetzten Arbeit, sondern nur des Teils ihrer Jahresarbeit, der sich für sie selbst in Arbeitslohn darstellt. Dagegen
drückt der Geldwert der Maschine von 3000 Pfd.St. alle während
ihrer Produktion verausgabte Arbeit aus, in welchem Verhältnis
immer diese Arbeit Arbeitslohn für den Arbeiter und Mehrwert für
den Kapitalisten bilde. Kostet die Maschine also ebensoviel als
die von ihr ersetzte Arbeitskraft, so ist die in ihr selbst vergegenständlichte Arbeit stets viel kleiner als die von ihr ersetzte lebendige Arbeit. 116)
Ausschließlich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts betrachtet, ist die Grenze für den Gebrauch der Maschinerie darin
gegeben, daß ihre eigne Produktion weniger Arbeit kostet, als
ihre Anwendung Arbeit ersetzt. Für das Kapital jedoch drückt sich
diese Grenze enger aus. Da es nicht die angewandte Arbeit zahlt,
sondern den Wert der angewandten Arbeitskraft, wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt durch die Differenz zwischen dem Maschinenwert und dem Wert der von ihr ersetzten Arbeitskraft. Da die
Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit in
verschiednen Ländern verschieden ist, ebenso in demselben Lande
zu verschiednen Perioden oder während derselben Periode in verschiednen Geschäftszweigen; da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters bald unter den Wert seiner Arbeitskraft sinkt, bald über
ihn steigt, kann die Differenz zwischen dem Preise der Maschinerie und dem Preise der von ihr zu ersetzenden Arbeitskraft sehr
variieren, wenn auch die Differenz zwischen dem zur Produktion
der Maschine nötigen Arbeitsquantum und dem Gesamtquantum der von
ihr ersetzten Arbeit dieselbe bleibt. Es ist aber nur die erstere
Differenz, welche die Produktionskosten der Ware für den Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die Zwangsgesetze der Konkurrenz beeinflußt. Es werden daher heute Maschinen in England
erfunden, die nur in Nordamerika angewandt werden, wie Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert Maschinen erfand, die nur Holland
anwandte, und wie
#415# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
manche französische Erfindung des 18. Jahrhunderts nur in England
ausgebeutet ward. Die Maschine selbst produziert in älter entwickelten Ländern durch ihre Anwendung auf einige Geschäftszweige in
andren Zweigen solchen Arbeitsüberfluß (redundancy of labour,
sagt Ricardo), daß hier der Fall des Arbeitslohns unter den Wert
der Arbeitskraft den Gebrauch der Maschinerie verhindert und ihn
vom Standpunkt des Kapitals, dessen Gewinn ohnehin aus der Vermindrung nicht der angewandten, sondern der bezahlten Arbeit entspringt, überflüssig, oft unmöglich macht. In einigen Zweigen der
englischen Wollmanufaktur ist während der letzten Jahre die Kinderarbeit sehr vermindert, hier und da fast verdrängt worden.
Warum? Der Fabrikakt ernötigte eine doppelte Kinderreihe, von
denen je eine 6, die andre 4 Stunden, oder jede nur 5 Stunden arbeitet. Die Eltern wollten aber die half-times (Halbzeitler)
nicht wohlfeiler verkaufen als früher die full-times
(Vollzeitler). Daher Ersetzung der half-times durch Maschinerie.
117) Vor dem Verbot der Arbeit von Weibern und Kindern (unter 10
Jahren) in Minen fand das Kapital die Methode, nackte Weiber und
Mädchen, oft mit Männern zusammengebunden in Kohlen- und andren
Minen zu vernutzen, so übereinstimmend mit seinem Moralkodex und
namentlich auch seinem Hauptbuch, daß es erst nach dem Verbot zur
Maschinerie griff. Die Yankees haben Maschinen zum Steinklopfen
erfunden. Die Engländer wenden sie nicht an, weil der "Elende"
("wretch" ist Kunstausdruck der englischen politischen Ökonomie
für den Agrikulturarbeiter), der diese Arbeit verrichtet, einen
so geringen Teil seiner Arbeit bezahlt erhält, daß Maschinerie
die Produktion für den Kapitalisten verteuern würde. 118) In England werden gelegentlich statt der Pferde immer
#416# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
noch Weiber zum Ziehn usw. bei den Kanalbooten verwandt 119),
weil die zur Produktion von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein mathematisch gegebenes Quantum, die zur Erhaltung von
Weibern der Surpluspopulation dagegen unter aller Berechnung
steht. Man findet daher nirgendwo schamlosere Verschwendung von
Menschenkraft für Lumpereien, als gerade in England, dem Land der
Maschinen.
#417# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Der Wert der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur
Erhaltung des individuellen erwachsnen Arbeiters, sondern durch
die zur Erhaltung der Arbeiterfamilie nötige Arbeitszeit. Indem
die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des Mannes
über seine ganze Familie. Sie entwertet daher seine Arbeitskraft.
Der Ankauf der in 4 Arbeitskräfte z.B. parzellierten Familie kostet vielleicht mehr als früher der Ankauf der Arbeitskraft des
Familienhaupts, aber dafür treten 4 Arbeitstage an die Stelle von
eine und ihr Preis fällt im Verhältnis zum Überschuß der Mehrarbeit der vier über die Mehrarbeit des einen. Vier müssen nun
nicht nur Arbeit, sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern, damit eine Familie lebe. So erweitert die Maschinerie von vornherein mit dem menschlichen Exploitationsmaterial, dem eigensten
Ausbeutungsfeld des Kapital 121), zugleich den Exploitationsgrad.
Sie revolutioniert ebenso von Grund aus die formelle Vermittlung
des Kapitalverhältnisses, den Kontrakt zwischen Arbeiter und Kapitalist. Auf Grundlage des Warenaustausches war es erste Voraussetzung, daß sich Kapitalist und Arbeiter als freie Personen, als
unabhängige Warenbesitzer,
#418# IV. Abachnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
der eine Besitzer von Geld und Produktionsmitteln, der andre Besitzer von Arbeitskraft, gegenübertraten. Aber jetzt kauft das
Kapital Unmündige oder Halbmündige. Der Arbeiter verkaufte früher
seine eigne Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person
verfügte. Er verkauft jetzt Weib und Kind. Er wird Sklavenhändler. 122) Die Nachfrage nach Kinderarbeit gleicht oft auch in der
Form der Nachfrage nach Negersklaven, wie man sie in amerikanischen Zeitungsinseraten zu lesen gewohnt war.
"Meine Aufmerksamkeit", sagt z.B. ein englischer Fabrikinspektor,
"wurde gelenkt auf eine Annonce in dem Lokalblatt einer der bedeutendsten Manufakturstädte meines Distrikts, wovon folgendes
die Kopie: Gebraucht 12 bis 20 Jungen, nicht jünger, als was für
13 Jahre passieren kann. Lohn 4 sh. per Woche. Anzufragen etc."
123)
Die Phrase "was für 13 Jahre passieren kann" bezieht sich darauf,
daß nach dem Factory Act Kinder unter 13 Jahren nur 6 Stunden arbeiten dürfen. Ein amtlich qualifizierter Arzt (certifying surgeon) muß das Alter bescheinigen. Der Fabrikant verlangt also
Jungen, die so aussehn, als ob sie schon dreizehnjährig. Die
manchmal sprungweise Abnahme in der Anzahl der von Fabrikanten
beschäftigten Kinder unter 13 Jahren, überraschend in der englischen Statistik der letzten 20 Jahre, war nach Aussage der Fabrikinspektoren selbst großenteils das Werk von certifying surgeons,
welche das Kindesalter der Exploitationslust der Kapitalisten und
dem Schacherbedürfnis der Eltern gemäß verschoben. In dem berüchtigten Londoner
#419# 13. Kapitel - erie und große Industrie
Distrikt von Bethnal Green wird jeden Montag und Dienstag morgen
offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts vom 9.
Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen vermieten. Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche (die
den Eltern gehören) und 2 d. für. mich selbst nebst Tee." Die
Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Szenen und die Sprache
während der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend. 124) Es
kommt immer noch in England vor, daß Weiber "Jungen vom Workhouse
nehmen und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich
vermieten". 125) Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens 2000 Jungen in Großbritannien als lebendige Schornsteinfegermaschinen (obgleich Maschinen zu ihrem Ersatz existieren) von
ihren eigenen Eltern verkauft. 126) Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechtsverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so daß die ganze Transaktion selbst den
Schein eines Kontrakts zwischen freien Personen verliert, bot dem
englischen Parlament später den juristischen Entschuldigungsgrund
für Staatseinmischung in das Fabrikwesen. Sooft das Fabrikgesetz
die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Industriezweigen auf 6
Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikantenjammer: ein
Teil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemaßregelten Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch "Freiheit der Arbeit" herrscht, d.h., wo Kinder unter 13 Jahren gezwungen werden,
wie Erwachsne zu arbeiten, also auch teurer loszuschlagen sind.
Da aber das Kapital von Natur ein Leveller ist, d.h. in allen
Produktionssphären Gleichheit der Exploitationsbedingungen der
Arbeit als sein angebornes Menschenrecht verlangt, wird die legale Einschränkung der Kinderarbeit in einem Industriezweig Ursache ihrer Beschränkung in dem andren.
Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und jungen
Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschinerie erst direkt in den auf ihrer Grundlage aufschiebenden Fabriken und dann indirekt in allen übrigen Industriezweigen der Exploitation des Kapitals unterwirft. Hier verweilen wir daher nur
bei einem Punkt, der ungeheuren Sterblichkeit von Arbeiterkindern
in ihren ersten Lebensjahren. In England gibt es 16 Registrationsdistrikte, wo im jährlichen Durchschnitt auf 100 000 lebende
Kinder unter einem Jahr nur 9085 Todesfälle (in einem
#420# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Distrikt nur 7047) kommen, in 24 Distrikten über 10 000, aber unter 11 000, in 39 Distrikten über 11 000, aber unter 12 000, in
48 Distrikten über 12 000, aber unter 13 000, in 22 Distrikten
über 20 000, in 25 Distrikten über 21 000, in 17 über 22 000, in
11 über 23 000, in Hoo, Wolverhampton, Ashton-under-Lyne und Preston über 24 000, in Nottingham, Stockport und Bradford über
25 000, in Wisbeach 26 001 und in Manchester 26 125. 127) Wie
eine offizielle ärztliche Untersuchung im Jahre 1861 nachwies,
sind, von Lokalumständen abgesehn, die hohen Sterblichkeitsraten
vorzugsweise der außerhäuslichen Beschäftigung der Mütter geschuldet und der daher entspringenden Vernachlässigung und Mißhandlung der Kinder, u.a. unpassender Nahrung, Mangel an Nahrung,
Fütterung mit Opiaten usw., dazu die unnatürliche 1*) Entfremdung
der Mütter gegen ihre Kinder, im Gefolge davon absichtliche Aushungerung und Vergiftung. 128) In solchen Agrikulturdistrikten,
"wo ein Minimum weiblicher Beschäftigung existiert, ist dagegen
die Sterblichkeitsrate am niedrigsten" 129) Die Untersuchungskommission von 1861 ergab jedoch das unerwartete Resultat, daß in
einigen an der Nordsee gelen rein ackerbauenden Distrikten die
Sterblichkeitsrate von Kindern unter einem Jahr fast die der verrufensten Fabrikdistrikte erreichte. Dr. Julian Hunter wurde daher beauftragt, dies Phänomen an Ort, und Stelle zu erforschen.
Sein Bericht ist dem "VI. Report on Public Health" einverleibt.
130) Man hatte bisher vermutet, Malaria und andre, niedrig gelegnen und sumpfigen Landstrichen eigentümliche Krankheiten dezimierten die Kinder. Die Untersuchung ergab das grade Gegenteil,
nämlich,
"daß dieselbe Ursache, welche die Malaria vertrieb, nämlich die
Verwandlung des Bodens aus Morast im Winter und dürftiger Weide
im Sommer in fruchtbares Kornland, die außerordentliche Todesrate
der Säuglinge schuf" 131).
#421# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Die 70 ärztlichen Praktiker, die Dr. Hunter in jenen Distrikten
verhörte, waren "wunderbar einstimmig" über diesen Punkt. Mit der
Revolution der Bodenkultur wurde nämlich das industrielle System
eingeführt.
"Verheiratete Weiber, die in Banden mit Mädchen und Jungen zusammen arbeiten, werden dem Pächter von einem Manne, welcher der
'Gangmeister' heißt und die Banden im ganzen mietet, für eine bestimmte Summe zur Verfügung gestellt. Diese Banden wandern oft
viele Meilen von ihren Dörfern weg, man trifft sie morgens und
abends auf den Landstraßen, die Weiber bekleidet mit kurzen Unterröcken und entsprechenden Röcken und Stiefeln und manchmal Hosen, sehr kräftig und gesund von Aussehn, aber verdorben durch
gewohnheitsmäßige Liederlichkeit und rücksichtslos gegen die unheilvollen Folgen, welche ihre Vorliebe für diese tätige und unabhängige Lebensart auf ihre Sprößlinge wälzt, die zu Haus verkümmern." 132)
Alle Phänomene der Fabrikdistrikte reproduzieren sich hier, in
noch höherm Grad versteckter Kindermord und Behandlung der Kinder
mit Opiaten. 133)
"Meine Kenntnis der von ihr erzeugten Übel", sagt Dr. Simon, der
ärztliche Beamte des englischen Privy-Council [71] und Redakteur
en chef der Berichte über "public Health", muß den tiefen Abscheu
entschuldigen, womit ich jede umfassende industrielle Beschäftigung erwachsner Weiber betrachte." 134) "Es wird", ruft Fabrikinspektor R. Baker in einem offiziellen Bericht aus, "es wird in
der Tat ein Glück für die Manufakturdistrikte Englands sein, wenn
jeder verheirateten Frau, die Familie hat, verboten wird, in irgendeiner Fabrik zu arbeiten." 135)
Die aus der kapitalistischen Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit entspringende moralische Verkrümmung ist von F. Engels in
seiner "Lage der arbeitenden Klasse Englands" 1*) und von andren
Schriftstellern so er schöpfend dargestellt worden, daß ich hier
nur daran erinnere. Die intellektuelle Verödung aber, künstlich
prodert durch die Verwandlung unreifer
#422# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Menschen in bloße Maschinen zur Fabrikation von Mehrwert und sehr
zu unterscheiden von jener naturwüchsigen Unwissenheit, welche
den Geist in Brache legt ohne Verderb seiner Entwicklungsfähigkeit, seiner natürlichen Fruchtbarkeit selbst, zwang endlich sogar das englische Parlament in allen dem Fabrikgesetz unterworfnen Industrien, den Elementarunterricht zur gesetzlichen Bedingung für den produktiven Verbrauch von Kindern unter 14 Jahren zu
machen. Der Geist der kapitalistischen Produktion leuchtete hell
aus der liederlichen Redaktion der sog. Erziehungsklauseln der
Fabrikakte, aus dem Mangel administrativer Maschinerie, wodurch
dieser Zwangsunterricht großenteils wieder illusorisch wird, aus
der Fabrikantenopposition selbst gegen dies Unterrichtsgesetz und
aus ihren praktischen Kniffen und Schlichen zu seiner Umgehung.
"Die Gesetzgebung allein ist zu tadeln, weil sie ein Truggesetz
(delusive law) erlassen hat, das unter dem Schein, für die Erziehung der Kinder zu sorgen, keine einzige Bestimmung enthält, wodurch dieser vorgeschützte Zweck gesichert werden kann. Es bestimmt nichts, außer daß die Kinder für eine bestimmte Stundenzahl" (3 Stunden) "per Tag innerhalb der vier Wände eines Platzes, Schule benamst, eingeschlossen werden sollen und daß der Anwender des Kindes hierüber wöchentlich ein Zertifikat von einer
Person erhalten muß, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin
mit ihrem Namen unterzeichnet." 136)
Vor dem Erlaß des amendierten Fabrikakts von 1844 waren Schulbesuchszertifikate nicht selten, die von Schulmeister oder Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst
nicht schreiben konnten.
"Beim Besuch, den ich einer solchen Zertifikate ausstellenden
Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwissenheit des
Schulmeisters, daß ich zu ihm sagte: 'Bitte, mein Herr, können
Sie lesen?' Seine Antwort war: Ih jeh, Ebbes (summat).' Zu seiner
Rechtfertigung fügte er hinzu: 'Jedenfalls stehe ich vor meinen
Schülern.'"
Während der Vorbereitung des Akts von 1844 denunzierten die Fabrikinspektoren den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren Zertifikate sie als zu Gesetz vollgültig zulassen
mußten. Alles was sie durchsetzten, war, daß seit 1844
"die Zahlen im Schulzertifikat in der Handschrift des Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unterschrieben sein müssen". 137)
#423# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Sir John Kincaid, Fabrikinspektor für Schottland, erzählt von
ähnlichen amtlichen Erfahrungen.
"Die erste Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann
Killin gehalten. Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabieren, machte sie gleich einen Schnitzer, indem sie mit dem
Buchstaben C begann, aber sich sofort korrigierend e, ihr Name
fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unterschrift in den Schulzertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, daß sie ihn verschiedenartig
buchstabierte, während die Handschrift keinen Zweifel über ihre
Lehrunfähigkeit ließ. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Register nicht führen... In einer zweiten Schule fand ich das
Schulzimmer 15 Fuß lang und 10 Fuß breit und zählte in diesem
Raum 75 Kinder, die etwas Unverständliches herquiekten." 138) Es
sind jedoch nicht nur solche Jammerhöhlen, worin die Kinder
Schulzertifikate, aber keinen Unterricht erhalten, denn in vielen
Schulen, wo der Lehrer kompetent ist, scheitern seine Bemühungen
fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel von Kindern aller Alter,
aufwärts von Dreijährigen. Sein Auskommen, elend im besten Fall,
hängt ganz von der Zahl der Pence ab, empfangen von der größten
Anzahl Kinder, die es möglich ist, in ein Zimmer zu stopfen. Dazu
kommt spärliche Schulmöblierung, Mangel an Büchern und andrem
Lehrmaterial und die niederschlagende Wirkung einer benauten und
ekelhaften Luft auf die armen Kinder selbst. Ich war in vielen
solchen Schulen, wo ich ganze Reihen Kinder sah, die absolut
nichts taten; und dies wird als Schulbesuch bescheinigt, und solche Kinder figurieren in der offiziellen Statistik als erzogen
(educated)." 139)
In Schottland suchen die Fabrikanten dem Schulbesuch unterworfne
Kinder möglichst auszuschließen.
"Dies genügt um die große Mißgunst der Fabrikanten gegen die Erziehungsklauseln zu beweisen." 140)
Grotesk-entsetzlich erscheint dies in den Kattun- usw. Druckereien, die durch ein eignes Fabrikgesetz geregelt sind. Nach den
Bestimmungen des Gesetzes
"muß jedes Kind, bevor es in einer solchen Druckerei beschäftigt
wird, Schule besucht haben für mindestens 30 Tage und nicht weniger als 150 Stunden während der 6 Monate, die dem ersten Tag seiner Beschäftigung unmittelbar vorhergehn. Während der Fortdauer
seiner Beschäftigung in der Druckerei muß es Schule besuchen
ebenfalls für eine Periode von 30 Tagen und 150 Stunden während
jeder Wechselperiode von 6 Monaten... Der Schulbesuch muß zwischen 8 Uhr morgens und 6 Uhr nachmittags stattfinden. Kein Besuch von weniger als 2 1/2, oder mehr als 5 Stunden an demselben
Tag soll als Teil der 150 Stunden gezählt werden. Unter gewöhnlichen Umständen
#424# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
besuchen die Kinder die Schule vormittags und nachmittags für 30
Tage, 5 Stunden per Tag, und nach Ablauf der 30 Tage, wenn die
statutenmäßige Gesamtsumme von 150 Stunden erreicht ist, wenn
sie, in ihrer eignen Sprache zu reden, ihr Buch abgemacht haben,
kehren sie zur Druckerei zurück, wo sie wieder 6 Monate bleiben,
bis ein andrer Abschlagstermin des Schulbesuchs fällig wird, und
dann bleiben sie wieder in der Schule, bis das Buch wieder abgemacht ist... Sehr viele Jungen, welche die Schule während der
vorschriftsmäßigen 150 Stunden besuchen, sind bei ihrer Rückkehr
aus dem sechsmonatlichen Aufenthalt in der Druckerei gradeso weit
wie im Anfang... Sie haben natürlich alles wieder verloren, was
sie durch den früheren Schulbesuch gewonnen hatten. In andren
Kattundruckereien wird der Schulbesuch ganz und gar abhängig gemacht von den Geschäftsbedürfnissen der Fabrik. Die erforderliche
Stundenzahl wird vollgemacht während jeder sechsmonatlichen Periode durch Abschlagszahlungen von 3 bis 5 Stunden auf einmal, die
vielleicht über 6 Monate zerstreut sind. Z.B. an einem Tage wird
die Schule besucht von 8 bis 11 Uhr morgens, an einem andren Tage
von 1 bis 4 Uhr nachmittags, und nachdem das Kind dann wieder für
eine Reihe Tage weggeblieben, kommt es plötzlich wieder von 3 bis
6 Uhr nachmittags; dann erscheint es vielleicht für 3 oder 4 Tage
hintereinander, oder für eine Woche, verschwindet dann wieder für
3 Wochen oder einen ganzen Monat und kehrt zurück an einigen Abfallstagen für einige Sparstunden, wenn seine Anwender seiner zufällig nicht bedürfen; und so wird das Kind sozusagen hin und her
gepufft (buffeted) von der Schule in die Fabrik, von der Fabrik
in die Schule, bis die Summe der 150 Stunden abgezählt ist." 141)
Durch den überwiegenden Zusatz von Kindern und Weibern zum kombinierten Arbeitspersonal bricht die Maschinerie endlich den Widerstand, den der männliche Arbeiter in der Manufaktur der Despotie
des Kapitals noch entgegensetzte. 142)
#425# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
b) Verlängrung des Arbeitstags
Wenn die Maschinerie das gewaltigste Mittel ist, die Produktivität der Arbeit zu steigern, d.h. die zur Produktion einer Ware
nötige Arbeitszeit zu verkürzen, wird sie als Träger des Kapitals
zunächst in den unmittelbar von ihr ergriffnen Industrien zum gewaltigsten Mittel, den Arbeitstag über jede naturgemäße Schranke
hinaus zu verlängern. Sie schafft einerseits neue Bedingungen,
welche das Kapital befähigen, dieser seiner beständigen Tendenz
die Zügel frei schießen zu lassen, andrerseits neue Motive zur
Wetzung seines Heißhungers nach fremder Arbeit.
Zunächst verselbständigt sich in der Maschinerie die Bewegung und
Werktätigkeit des Arbeitsmittels gegenüber dem Arbeiter. Es wird
an und für sich ein industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen fort produzieren würde, stieße es nicht auf gewisse Naturschranken in seinen menschlichen Gehilfen: ihre Körperschwäche
und ihren Eigenwillen. Als Kapital, und als solches besitzt der
Automat im Kapitalisten Bewußtsein und Willen, ist es daher mit
dem Trieb begeistet, die widerstrebende, aber elastische menschliche Naturschranke auf den Minimalwiderstand einzuzwängen.
143) Dieser ist ohnehin vermindert durch die scheinbare Leichtigkeit der Arbeit an der Maschine und das füg- und biegsamere Weiber- und Kinderelement. 144)
#426# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Die Produktivität der Maschinerie steht, wie wir sahen, in umgekehrtem Verhältnis zur Größe des von ihr auf das Machwerk übertragnen Wertbestandteils. Je länger die Periode, worin sie funktioniert, desto größer die Produktenmasse, worüber sich der von
ihr zugmetzte Wert verteilt, und desto kleiner der Wertteil, den
sie der einzelnen Ware zufügt. Die aktive Lebensperiode der Maschinerie ist aber offenbar bestimmt durch die Länge des Arbeitstags oder die Dauer des täglichen Arbeitsprozesses, multipliziert
mit der Anzahl Tage, worin er sich wiederholt.
Der Maschinenverschleiß entspricht keineswegs exakt mathematisch
ihrer Benutzungszeit. Und selbst dies vorausgesetzt, umfaßt eine
Maschine, die während 7 1/2 Jahren täglich 16 Stunden dient, eine
ebenso große Produktionsperiode und setzt dem Gesamtprodukt nicht
mehr Wert zu als dieselbe Maschine, die während 15 Jahren nur 8
Stunden täglich dient. Im erstren Fall aber wäre der Maschinenwert doppelt so rasch reproduziert als im letztren und der Kapitalist hätte vermittelst derselben in 7 1/2 Jahren so viel Mehrarbeit eingeschluckt als sonst in 15.
Der materielle Verschleiß der Maschine ist doppelt. Der eine entspringt aus ihrem Gebrauch, wie Geldstücke durch Zirkulation verschleißen, der andre aus ihrem Nichtgebrauch, wie ein untätig
Schwert in der Scheide verrostet. Es ist dies ihr Verzehr durch
die Elemente. Der Verschleiß erster Art steht mehr oder minder in
direktem Verhältnis, der letztre zu gewissem Grad in umgekehrtem
Verhältnis zu ihrem Gebrauch. 145)
Neben dem materiellen unterliegt die Maschine aber auch einem sozusagen moralischen Verschleiß. Sie verliert Tauschwert im Maße,
worin entweder Maschinen derselben Konstruktion wohlfeiler reproduziert werden können oder beßre Maschinen konkurrierend neben
sie treten.
146) In beiden
#427# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Fällen ist ihr Wert, so jung und lebenskräftig sie sonst noch
sein mag, nicht mehr bestimmt durch die tatsächlich in ihr selbst
vergegenständlichte, sondern durch die zu ihrer eignen Reproduktion oder zur Reproduktion der beßren Maschine notwendige Arbeitszeit. Sie ist daher mehr oder minder entwertet. Je kürzer
die Periode, worin ihr Gesamtwert reproduziert wird, desto geringer die Gefahr des moralischen Verschleißes, und je länger der
Arbeitstag, um so kürzer jene Periode. Bei der ersten Einführung
der Maschinerie in irgendeinen Produktionszweig folgen Schlag auf
Schlag neue Methoden zu ihrer wohlfellern Reproduktion 147) und
Verbeßrungen, die nicht nur einzelne Teile oder Apparate, sondern
ihre ganze Konstruktion ergreifen. In ihrer ersten Lebensperiode
wirkt daher dies besondre Motiv zur Verlängrung des Arbeitstags
am akutesten. 148)
Unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebnem Arbeitstag erheischt Exploitation verdoppelter Arbeiteranzahl ebensowohl
Verdopplung des in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegten
Teils des konstanten Kapitals als des in Rohmaterial, Hilfsstoffen usw. ausgelegten. Mit verlängertem Arbeitstag dehnt sich die
Stufenleiter der Produktion, während der in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegte Kapitalteil unverändert bleibt. 149) Nicht
nur der Mehrwert wächst daher, sondern die zur Ausbeutung desselben notwendigen Auslagen nehmen ab. Zwar findet dies auch sonst
mehr oder minder bei aller Verlängrung des Arbeitstags statt,
fällt
#428# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
aber hier entscheidender ins Gewicht, weil der in Arbeitsmittel
verwandelte Kapitaltell überhaupt mehr ins Gewicht fällt. 150)
Die Entwicklung des Maschinenbetriebs bindet nämlich einen stets
wachsenden Bestandteil des Kapitals in eine Form, worin es einerseits fortwährend verwertbar ist, andrerseits Gebrauchswert und
Tauschwert verliert, sobald sein Kontakt mit der lebendigen Arbeit unterbrochen wird. "Wenn", belehrte Herr Ashwert, ein englischer Baumwollmagnat, den Professor Nassau W. Senior,
"wenn ein Ackersmann seinen Spaten niederlegt, macht er für diese
Periode ein Kapital von 18 d. nutzlos. Wenn einer von unsren Leuten" (d. h. den Fabrikarbeitern) "die Fabrik verläßt, macht er
ein Kapital nutzlos. das 100 000 Pfd.St. gekostet hat." 151)
Man denke nur! Ein Kapital, das 100 000 Pfd.St. gekostet hat,
auch nur für einen Augenblick nutzlos zu machen! Es ist in der
Tat himmelschreiend, daß einer unsrer Leute überhaupt jemals die
Fabrik verläßt! Der wachsende Umfang der Maschinerie macht, wie
der von Ashworth belehrte Senior einsieht, eine stets wachsende
Verlängrung des Arbeitstags wünschenswert". 152)
Die Maschine produziert relativen Mehrwert, nicht nur, indem sie
die Arbeitskraft direkt entwertet und dieselbe indirekt durch
Verwohlfeilerung der in ihre Reproduktion eingehenden Waren verwohlfeilert, sondern auch,
#429# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
indem sie bei ihrer ersten sporadischen Einführung die vom Maschinenbesitzer verwandte Arbeit in potenzierte Arbeit verwandelt, den gesellschaftlichen Wert des Maschinenprodukts über seinen individuellen Wert erhöht und den Kapitalisten so befähigt,
mit geringrem Wertteil des Tagesprodukts den Tageswert der Arbeitskraft zu ersetzen. Während dieser Übergangsperiode, worin
der Maschinenbetrieb eine Art Monopol bleibt, sind daher die Gewinne außerordentlich, und der Kapitalist sucht diese "erste Zeit
der jungen Liebe" gründlichst auszubeuten durch möglichste Verlängrung des Arbeitstags. Die Größe des Gewinns wetzt den Heißhunger nach mehr Gewinn.
Mit der Verallgemeinerung der Maschinerie im selben Produktionszweig sinkt der gesellschaftliche Wert des Maschinenprodukts auf
seinen individuellen Wert und macht sich das Gesetz geltend, daß
der Mehrwert nicht aus den Arbeitskräften entspringt, welche der
Kapitalist durch die Maschine ersetzt hat, sondern umgekehrt aus
den Arbeitskräften, welche er an ihr beschäftigt. Der Mehrwert
entspringt nur aus dem variablen Teil des Kapitals, und wir sahen, daß die Masse des Mehrwerts durch zwei Faktoren bestimmt
ist, die Rate des Mehrwerts und die Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Bei gegebner Länge des Arbeitstags wird die
Rate des Mehrwerts bestimmt durch das Verhältnis, worin der Arbeitstag in notwendige Arbeit und Mehrarbeit zerfällt. Die Anzahl
der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter hängt ihrerseits ab von
dem Verhältnis des variablen Kapitalteils zum konstanten. Es ist
nun klar, daß der Maschinenbetrieb, wie er immer durch Steigrung
der Produktivkraft der Arbeit die Mehrarbeit auf Kosten der notwendigen Arbeit ausdehne, dies Resultat nur hervorbringt, indem
er die Anzahl der von einem gegebnen Kapital beschäftigten Arbeiter vermindert. Er verwandelt einen Teil des Kapitals, der früher
variabel war, d.h. sich in lebendige Arbeitskraft umsetzte, in
Maschinerie, also in konstantes Kapital, das keinen Mehrwert produziert. Es ist unmöglich, z.B. aus zwei Arbeitern so viel Mehrwert auszupressen als aus 24. Wenn jeder der 24 Arbeiter auf 12
Stunden nur eine Stunde Mehrarbeit liefert, liefern sie zusammen
24 Stunden Mehrarbeit, während die Gesamtarbeit der zwei Arbeiter
nur 24 Stunden beträgt. Es liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von Mehrwert ein immanenter Widerspruch,
indem sie von den beiden Faktoren des Mehrwerts, den ein Kapital
von gegebner Größe liefert, den einen Faktor, die Rate des Mehrwerts, nur dadurch vergrößert, daß sie den andren Faktor, die Arbeiterzahl, verkleinert. Dieser immanente Widerspruch tritt hervor, sobald mit der Verallgemeinerung der Maschinerie in einem
Industriezweig der Wert der maschinenmäßig
#430# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
produzierten Ware zum regelnden gesellschaftlichen Wert aller Waren derselben wird, und es ist dieser Widerspruch, der wiederum
das Kapital, ohne daß es sich dessen bewußt wäre 153), zur gewaltsamsten Verlängrung des Arbeitstags treibt, um die Abnahme in
der verhältnismäßigen Anzahl der exploitierten Arbeiter durch Zunahme nicht nur der relativen, sondern auch der absoluten Mehrarbeit zu kompensieren.
Wenn also die kapitalistische Anwendung der Maschinerie einerseits neue mächtige Motive zur maßlosen Verlängrung des Arbeitstags schafft und die Arbeitsweise selbst wie den Charakter des
gesellschaftlichen Arbeitskörpers in einer Art umwälzt, die den
Widerstand gegen diese Tendenz bricht, produziert sie andrerseits, teils durch Einstellung dem Kapital früher unzugänglicher
Schichten der Arbeiterklasse, teils durch Freisetzung der von der
Maschine verdrängten Arbeiter, eine überflüssige Arbeiterpopulation 154), die sich das Gesetz vom Kapital diktieren lassen muß.
Daher das merkwürdige Phänomen in der Geschichte der modernen Industrie, daß die Maschine alle sittlichen und natürlichen Schranken des Arbeitstags über den Haufen wirft. Daher das ökonomische
Paradoxon, daß das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des
Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die
Verwertung des Kapitals zu verwandeln. "Wenn", träumte Aristoteles, der größte Denker des Altertums,
"wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm
zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke
sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephästos aus
eignem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für die Herrn der Sklaven." 155)
Und Antipatros, ein griechischer Dichter aus der Zeit des Cicero,
begrüßte die Erfindung der Wassermühle zum Mahlen des Getreides,
diese Elntarform aller produktiven Maschinerie, als Befreierin
der Sklavinnen
#431# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industri
und Herstellerin des goldnen Zeitalters! 156) "Die Heiden, ja die
Heiden!" Sie begriffen, wie der gescheite Bastiat entdeckt hat,
und schon vor ihm der noch klügre MacCulloch, nichts von politischer Ökonomie und Christentum. Sie begriffen u.a. nicht, daß die
Maschine das probateste Mittel zur Verlängerung des Arbeitstags
ist. Sie entschuldigten etwa die Sklaverei des einen als Mittel
zur vollen menschlichen Entwicklung des andren. Aber Sklaverei
der Massen predigen, um einige rohe oder halbgebildete Parvenüs
zu "eminent spinners", "extensive sausage makers" und
"influential shoe black dealers" 1*) zu machen, dazu fehlte ihnen
das spezizifisch christliche Organ.
c) Intensifikation der Arbeit
Die maßlose Verlängrung des Arbeitstags, welche die Maschinerie
in der Hand des Kapitals produziert, führt, wie wir sahen, später
eine Reaktion der in ihrer Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft
herbei und damit einen gesetzlich beschränkten Normalarbeitstag.
Auf Grundlage des letztren entwickelt sich ein Phänomen, das uns
schon früher begegnete, zu entscheidender Wichtigkeit - nämlich
die Intensifikation der Arbeit. Bei der Analyse des absoluten
Mehrwerts handelte es sich zunächst um die extensive Größe der
Arbeit, während der Grad ihrer Intensität als gegeben vorausgesetzt war. Wir haben jetzt den Umschlag der extensiven Größe in
intensive oder Gradgröße zu betrachten. Es ist selbstverständlich, daß mit dem Fortschritt des Maschinenwesens und der gehäuften Erfahrung einer eignen Klasse von Maschinen-
156) Ich gebe hier die Stolbergsche Übersetzung des Gedichts,
weil es ganz so wie die früheren Zitate über Teilung der Arbeit
den Gegensatz der antiken Anschauung zur modernen charakterisiert.
"Schonet der mahlenden Hand, o Müllerinnen, und schlafet
Sanft! es verkünde der Hahn euch den Morgen umsonst!
Däo hat die Arbeit der Mädchen den Nymphen befohlen,
Und itzt hüpfen sie leicht über die Räder dahin,
Daß die erschütterten Achsen mit ihren Speichen sich wälzen,
Und im Kreise die Last drehen des wälzenden Steins.
Laßt uns leben das Leben der Väter, und laßt uns der Gaben
Arbeitslos uns freun, welche die Göttin uns schenkt."
("Gedichte aus dem Griechischen übersetzt von Christian Graf zu
Stolberg", Hamburg 1782.)
#432# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
arbeitern die Geschwindigkeit und damit die Intensität der Arbeit
naturwüchsig zunehmen. So geht in England während eines halben
Jahrhunderts die Verlängrung des Arbeitstags Hand in Hand mit der
wachsenden Intensität der Fabrikarbeit. Indes begreift man, daß
bei einer Arbeit, wo es sich nicht um vorübergehende Paroxysmen
handelt, sondern um tagaus, tagein wiederholte, regelmäßige
Gleichförmigkeit, ein Knotenpunkt eintreten muß, wo Ausdehnung
des Arbeitstags und Intensität der Arbeit einander aus schließen,
so daß die Verlängrung des Arbeitstags nur mit schwächrem Intensitätsgrad der Arbeit und umgekehrt ein erhöhter Intensitätsgrad
nur mit Verkürzung des Arbeitstags verträglich bleibt. Sobald die
allmählich anschwellende Empörung der Arbeiterklasse den Staat
zwang, die Arbeitszeit gewaltsam zu verkürzen und zunächst der
eigentlichen Fabrik einen Normalarbeitstag zu diktieren, von diesem Augenblick also, wo gesteigerte Produktion von Mehrwert durch
Verlängrung des Arbeitstags ein für allemal abgeschnitten war,
warf sich das Kapital mit aller Macht und vollem Bewußtsein auf
die Produktion von relativem Mehrwert durch beschleunigte Entwicklung des Maschinensystems. Gleichzeitig tritt eine Änderung
in dem Charakter des relativen Mehrwerts ein. Im allgemeinen besteht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerts darin, durch
gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen,
mit derselben Arbeits, ausgabe in derselben Zeit mehr zu produzieren. Dieselbe Arbeitszeit setzt nach wie vor dem Gesamtprodukt
denselben Wert zu, obgleich dieser unveränderte Tauschwert sich
jetzt in mehr Gebrauchswerten darstellt und daher der Wert der
einzelnen Ware sinkt. Anders jedoch, sobald die gewaltsame Verkürzung des Arbeitstags mit dem ungeheuren Anstoß, den sie der
Entwicklung der Produktivkraft und der Ökonomisierung der Produktionsbedingungen gibt, zugleich vergrößerte Arbeitsausgabe in
derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeitskraft, dichtere
Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d.h. Kondensation der Arbeit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur innerhalb des
verkürzten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt
als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der
Arbeitszeit als "ausgedehnter Größe" tritt jetzt clu Maß ihres
Verdichtungsgrads. 157) Die intensivere Stunde des zehnstündigen
Arbeitstags
#433# 13. Kapitel - nerie und große Industrie
enthält jetzt so viel oder mehr Arbeit, d.h. verausgabte Arbeitskraft, als die porösere Stunde des zwölfstündigen Arbeitstags.
Ihr Produkt hat daher so viel oder mehr Wert als das der poröseren 1 1/5 Stunden. Abgesehn von der Erhöhung des relativen Mehrwerts durch die gesteigerte Produktivkraft der Arbeit, liefern
jetzt z.B. 3 1/3 Stunden Mehrarbeit auf 6 2/3 Stunden notwendiger
Arbeit dem Kapitalisten dieselbe Wertmasse wie vorher 4 Stunden
Mehrarbeit auf 8 Stunden notwendiger Arbeit.
Es fragt sich nun, wie wird die Arbeit intensifiziert?
Die erste Wirkung des veren Arbeitstags beruht auf dem selbst
verständlichen Gesetz, daß die Wirkungsfähigkeit der Arbeitskraft
im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Wirkungszeit steht. Es wird
daher, innerhalb gewisser Grenzen, am Grad der Kraftäußerung gewonnen, was an ihrer Dauer verlorengeht. Daß der Arbeiter aber
auch wirklich mehr Arbeitskraft flüssig macht, dafür sorgt das
Kapital durch die Methode der Zahlung. 158) In Manufakturen, der
Töpferei z.B., wo die Maschinerie keine oder unbedeutende Rolle
spielt, hat die Einführung des Fabrikgesetzes schlagend bewiesen,
daß bloße Verkürzung des Arbeitstags die Regelmäßigkeit, Gleichförmigkeit, Ordnung, Kontinuität und Energie der Arbeit wundervoll erhöht." 159) Diese Wirkung schien jedoch zweifelhaft in der
eigentlichen Fabrik, weil die Abhängigkeit des Arbeiters von der
kontinuierlichen und gleichförmigen Bewegung der Maschine hier
längst die strengste Disziplin geschaffen hatte. Als daher 1844
die Herabsetzung des Arbeitstags unter 12 Stunden verhandelt
ward, erklärten die Fabrikanten fast einstimmig,
"ihre Aufseher paßten in den verschiednen Arbeitsräumen auf, daß
die Hände keine Zeit verlören", "der Crad der Wachsamkeit und
Aufmerksamkeit auf seiten der Arbeiter (the extent of vigilance
and attention on the part of the workmen) sei kaum steigerungsfähig", und alle andren Umstände, wie Gang der Maschinerie usw. als
gleichbleibend vorausgesetzt, "sei es daher Unsinn, in wohlgeführten Fabriken von der gesteigerten Aufmerksamkeit usw. der Arbeiter irgendein erkleckliches Resultat zu erwarten". 160)
Diese Behauptung ward durch Experimente widerlegt. Herr R. Gardner ließ in seinen zwei großen Fabriken zu Preston vom 20. April
1844 anstatt
#434# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
12 nur noch 11 Stunden per Tag arbeiten. Nach ungefähr Jahresfrist ergab sich das Resultat, daß
"dasselbe Quantum Produkt zu denselben Kosten erhalten ward, und
sämtliche Arbeiter in 11 Stunden ebensoviel Arbeitslohn verdienten, wie früher in 12". 161)
Ich übergehe hier die Experimente in den Spinn- und Kardierräumen, weil sie mit Zunahme in der Geschwindigkeit der Maschinerie
(um 2%) verbunden waren. In dem Webedepartement dagegen, wo zudem
sehr verschiedne Sorten leichter, figurenhaltiger Phantasieartikel gewebt wurden, fand durchaus keine Änderung in den objektiven
Produktionsbedingungen statt. Das Resultat war:
"Vom 6. Januar bis 20. April 1844, mit zwölfstündigem Arbeitstag,
wöchentlicher Durchnittslohn jedes Arbeiters 10 sh. 1/2 d., vom
20.April bis 29. Juni 1844, mit elfstündigem Arbeitstag, wöchentlicher Durchschnittslohn 10 sh. 3 1/2 d." 162)
Es wurde hier in 11 Stunden mehr produziert als früher in 12,
ausschließlich infolge größrer gleichmäßiger Ausdauer der Arbeiter und Ökonomie ihrer Zeit. Während sie denselben Lohn empfingen
und 1 Stunde freie Zeit gewannen, erhielt der Kapitalist dieselbe
Produktenmasse und sparte Verausgabung von Kohle, Gas usw. für
eine Stunde. Ähnliche Experimente wurden mit gleichem Erfolg in
den Fabriken der Herren Horrocks und Jacson ausgeführt. 163)
Sobald die Verkürzung des Arbeitstags, welche zunächst die subjektive Bedingung der Kondensation der Arbeit schafft, nämlich
die Fähigkeit des Arbeiters, mehr Kraft in gegebner Zeit flüssig
zu machen, zwangsgesetzhch wird, wird die Maschine in der Hand
des Kapitals zum objektiven und systematisch angewandten Mittel,
mehr Arbeit in derselben Zeit zu erpressen. Es geschieht dies in
doppelter Weise: durch erhöhte Geschwinkeit der Maschinen und erweiterten Umfang der von demselben Arbeiter zu überwachenden Maschinerie oder seines Arbeitsfeldes. Verbesserte Konstruktion der
Maschinerie ist teils notwendig zur Ausübung des größten
#435# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Drucks auf den Arbeiter, teils begleitet sie von selbst die Intensifikation der Arbeit, weil die Schranke des Arbeitstags den
Kapitalisten zu strengstem Haushalt der Produktionskosten zwingt.
Die Verbesserung der Dampfmaschine erhöht die Anzahl ihrer Kolbenschläge in einer Minute und erlaubt zugleich, durch größere
Kraftersparung einen umfangreichren Mechanismus mit demselben Motor zu treiben, bei gleichbleibendem oder selbst fallendem Kohlenverzehr. Die Verbesserung des Transmissionsmechanismus vermindert die Reibung und, was die moderne Maschinerie so augenfällig
vor der ältren auszeichnet, reduziert Durchmesser und Gewicht der
großen und kleinen Wellenbäume auf ein stets fallendes Minimum.
Die Verbesserungen der Arbeitsmaschinerie endlich vermindern bei
erhöhter Geschwindigkeit und ausgedehnterer Wirkung ihren Umfang,
wie beim modernen Dampfwebstuhl, oder vergrößern mit dem Rumpf
Umfang und Zahl der von ihr geführten Werkzeuge, wie bei der
Spinnmaschine, oder vermehren die Beweglichkeit dieser Werkzeuge
durch unscheinbare Detailveränderungen, wie derartig bei der selfacting mule in der Mitte der fünfziger Jahre die Geschwindigkeit
der Spindeln um 1/5 gesteigert wurde.
Die Verkürzung des Arbeitstags auf 12 Stunden datiert in England
von 1832. Schon 1836 erklärte ein englischer Fabrikant:
"Verglichen mit früher ist die Arbeit, die in den Fabriken zu
verrichten, sehr gewachsen, infolge der größren Aufmerksamkeit
und Tätigkeit, welche die bedeutend vermehrte Geschwindigkeit der
Maschinerie vom Arbeiter erheischt."
Im Jahr 184 machte Lord Ashley, jetzt Graf Shaftesbury, folgende
dokumentarisch belegte Aufstellungen im Hause der Gemeinen:
"Die Arbeit der in den Fabrikprozessen Beschäftigten ist jetzt
dreimal so groß, als bei der Einführung solcher Operationen. Die
Maschinerie hat zweifelsohne ein Werk verrichtet, welches die
Sehnen und Muskeln von Millionen Menschen ersetzt, aber sie hat
auch erstaunlich (prodigiously) die Arbeit der durch ihre furchtbare Bewegung beherrschten Menschen vermehrt... Die Arbeit, einem
Paar Mules während 12 Stunden auf und ab zu folgen, zum Spinnen
von Garn Nr. 40, schloß im Jahre 1815 das Durchlaufen einer Distanz von 8 Meilen ein. Im Jahre 1832 betrug die im Gefolge eines
Mulepaars, zum Spinnen derselben Nummer, während 12 Stunden zu
durchreisende Distanz 20 Meilen und oft mehr. Im Jahre 1825 hatte
der Spinner während 12 Stunden 820 Auszüge an jeder Mule zu machen, was eine Gesamtsumme von 1640 für 12 Stunden ergab. Im
Jahre 1832 hatte der Spinner während seines zwölfstündigen Arbeitstags an jeder Mule 2200 Auszüge zu machen, zusammen 4400, im
Jahre 1844 an jeder Mule 2400, zusammen 4800: und in einigen Fällen ist die erheischte Arbeitsmasse
#436# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
(amount of labour) noch größer... Ich habe hier ein andres Dokument von 1842 in der Hand, worin nachgewiesen wird, daß die Arbeit progressiv zunimmt, nicht nur, weil eine größre Entfernung
zu durchreisen ist, sondern weil die Quantität der produzierten
Waren sich vermehrt, während die Händezahl proportionell abnimmt;
und ferner, weil nun oft schlechtere Baumwolle gesponnen wird,
die mehr Arbeit erfordert... Im Kardierraum hat auch große Zunahme der Arbeit stattgefunden. Eine Person tut jetzt die Arbeit,
die früher zwischen zwei verteilt war... In der Weberei, worin
eine große Anzahl Personen, meist weiblichen Geschlechts, beschäftigt ist, ist die Arbeit während der letzten Jahre um volle
10% gewachsen, infolge der vermehrten Geschwindigkeit der Maschinerie. Im Jahre 1838 war die Zahl der hanks 1*), die wöchentlich
gesponnen wurde, 18000, im Jahre 1843 belief sie sich auf 21000.
Im Jahr 1819 war die Zahl der picks 2*) beim Dampfwebestuhl 60
per Minute, im Jahre 1842 betrug sie 140, was einen großen Zuwachs von Arbeit anzeigt." 165)
Angesichts dieser merkwürdigen Intensität, welche die Arbeit unter der Herrschaft des Zwölfstundengesetzes bereits 1844 erreicht
hatte, schien damals die Erklärung der englischen Fabrikanten berechtigt, jeder weitere Fortschritt in dieser Richtung sei unmöglich, daher jede weitere Abnahme der Arbeitszeit identisch mit
Abnahme der Produktion. Die scheinbare Richtigkeit ihres Räsonnernents wird am besten bewiesen durch folgende gleichzeitige Äußerung ihres rastlosen Zensors, des Fabrikinspektors Leonard Horner:
"Da die produzierte Quantität hauptsächlich geregelt wird durch
die Geschwindigkeit der Maschinerie, muß es das Interesse des Fabrikanten sein, sie mit dem äußersten Geschwindigkeitsgrad zu
treiben, der mit folgenden Bedingungen vereinbar ist: Bewahrung
der Maschinerie vor zu raschem Verderb, Erhaltung der Qualität
des fabrizierten Artikels, und Fähigkeit des Arbeiters, der Bewegung zu folgen ohne größre Anstrengung, als er kontinuierlich
leisten kann. Es ereignet sich oft, daß der Fabrikant in seiner
Hast die Bewegung zu sehr beschleunigt. Brüche und schlechtes
Machwerk wiegen dann die Geschwindigkeit mehr als auf, und er ist
gezwungen, den Gang der Maschinerie zu mäßigen. Da ein aktiver
und einsichtsvoller Fabrikant das erreichbare Maximum ausfindet,
schloß ich, daß es unmöglich ist, in 11 Stunden so viel zu produzieren als in 12. Ich nahm außerdem an, daß der per Stücklohn bezahlte Arbeiter sich aufs äußerste anstrengt, soweit er denselben
Arbeitsgrad kontinuierlich aushalten kann." 166)
Horner schloß daher, trotz der Experimente von Gardner usw., daß
eine weitre Herabsetzung des Arbeitstages unter 12 Stunden die
Quantität
#437# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
des Produkts vermindern müsse. 167) Er selbst zitiert 10 Jahre
später sein Bedenken von 1845 zum Beweis, wie wenig er damals
noch die Elastizität der Maschinerie und der menschlichen Arbeitskraft begriff, die beide gleichmäßig durch die zwangsweise
Verkürzung des Arbeitstags aufs höchste gespannt werden.
Kommen wir nun zur Periode nach 1847, seit Einführung des Zehnstundengtzes in die englischen Baumwoll-, Woll-, Seiden- und
Flachsfabriken.
"Die Geschwindigkeit der Spindeln ist auf Throstles um 500, auf
Mules um 1000 Drehungen in einer Minute gewachsen, d.h. die Geschwindigkeit der Throstlespindel, die 1839 4500 Drehungen in einer Minute zählte, beträgt nun (1862) 5000, und die der Mulespindel, die 5000 zählte, beträgt jetzt 6000 in der Minute; dies beläuft sich im ersten Fall auf 1/10. und im zweiten auf 1/6 1*)
zusätzlicher Geschwindigkeit." 167)
Jas. Nasmyth, der berühmte Zivilingenieur von Patricroft, bei
Manchester, setzte 1852 in einem Brief an Leonard Horner die von
1848-1852 gemachten Verbesserungen in der Dampfmaschine auseinander. Nachdem er bemerkt, daß die Dampfpferdekraft, in der offiziellen Fabrikstatistik fortwährend geschätzt nach ihrer Wirkung
im Jahr 1828 169), nur noch nominell ist und nur als Index der
wirklichen Kraft dienen kann, sagt er u.a.:
"Es unterliegt keinem Zweifel, daß Dampfmaschinerie von demselben
Gewicht, oft dieselben identischen Maschinen, an denen nur die
modernen Verbeßrungen an, gebracht sind, im Durchschnitt 50% mehr
Werk als früher verrichten und daß in vielen Fällen dieselben
identischen Dampfmaschinen, die in den Tagen der beschränkten Geschwindigkeit von 220 Fuß per Minute 50 Pferdekraft lieferten,
heute, mit verändertem Kohlenkonsum, über 100 liefern... Die moderne Dampfmaschine von derselben nominellen Pferdekraft wird mit
größrer Gewalt als früher getrieben, infolge der Verbeßrungen in
ihrer Konstruktion, vermindertem Umfang und Bau der Dampfkessel
#438# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
usw.... Obgleich daher dieselbe Händezahl wie er im Verhältnis
zur nominellen Pferdekraft beschäftigt wird, werden weniger Hände
verwandt im Verhältnis zur Arbeitsmaschinerie." 170)
Im Jahre 1850 verwandten die Fabriken des Vereinigten Königreichs
134 217 nominelle Pferdekraft zur Bewegung von 25 638 716 Spindeln und 301 445 Webstühlen. Im Jahr 1856 betrug die Zahl der
Spindeln und Webstühle respektive 33 503 580 und 369 205. Wäre
die erheischte Pferdekraft dieselbe geblieben wie 1850, so waren
1856: 175 000 Pferdekraft nötig. Sie betrug aber nach dem offiziellen Ausweis nur 161 435, also über 10 000 Pferdekraft weniger, als wenn man nach der Basis von 1850 rechnet. 171)
"Die durch den letzten Return von 1856" (offizielle Statistik)
"festgesteflten Tatsachen sind, daß das Fabriksystem reißend
rasch um sich greift, die Zahl der Hände im Verhältnis zur Maschinerie abgenommen hat, die Dampfmaschine durch Ökonomie der
Kraft und andre Methoden ein größres Maschinengewicht treibt und
ein vermehrtes Quantum Machwerk erzielt wird infolge verbesserter
Arbeitsmaschinen, veränderter Methoden der Fabrikation, erhöhter
Geschwindigkeit der Maschinerie und vieler andrer Ursachen." 172)
"Die großen in Maschinen jeder Art eingeführten Verbeßrungen haben deren Produktivkraft sehr gesteigert. Ohne allen Zweifel gab
die Verkürzung des Arbeitstags... den Stachel zu diesen Verbeßrungen. Letztre und die intensivre Anstrengung des Arbeiters bewirkten, daß wenigstens ebensoviel Machwerk in dem (um zwei Stunden oder 1/6) "verkürzten Arbeitstag als er während des längren
geliefert wird." 172)
Wie die Bereicherung der Fabrikanten mit der intensivren Ausbeutung der Arbeitskraft zunahm, beweist schon der eine Umstand, daß
das durchschnitthche Wachstum der englischen Baumwollen- usw.
-Fabriken von 1838 bis 1850 pro Jahr 32, von 1850 bis 1856 dagegen 86 jährlich betrug. [118]
So groß in den 8 Jahren 1848 bis 1856, unter der Herrschaft des
zehnstündigen Arbeitstags, der Fortschritt der englischen Industrie, wurde er wieder weit überflügelt in der folgenden sechsjährigen Periode von 1856 bis 1862. In der Seidenfabrik z.B.
1856: Spindeln 1 093 799, 1862: 1 388 544; 1856: Webstühle 9260
und 1862: 10 709. Dagegen 1856: Arbeiteranzahl 56 137 und 1862:
52 429. Dies ergibt Zunahme der Spindelzahl 26,9% und der Webstühle 15,6% mit gleichzeitiger Abnahme der Arbeiteranzahl
#439# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
um 7%. Im Jahre 1850 wurden in der Worsted-Fabrik angewandt
875 830 Spindeln, 1856: 1 324 549 (Zunahme von 51,2%) und 1862:
1 289 172 (Abnahme von 2,7%). Zählt man aber die Dublierspindeln
ab, die in der Aufzählung für das Jahr 1856, aber nicht für 1862
figurieren, so blieb die Anzahl der Spindeln seit 1856 ziemlich
stationär. Dagegen ward seit 1850 in vielen Fällen die Geschwindigkeit der Spindeln und Webstühle verdoppelt. Die Zahl der
Dampfwebstühle in der Worsted-Fabrik 1850: 32 617, 1856: 38 956
und 1862: 43 048. Es waren dabei beschäftigt 1850: 79 737 Personen, 1856: 87 794 und 1862: 86 063, aber davon Kinder unter 14
Jahren 1850: 9956, 1856: 11 228 und 1862: 13 178. Trotz sehr vermehrter Anzahl der Webstühle, 1862 verglichen mit 1856, nahm also
die Gesamtzahl der beschäftigten Arbeiter ab, die der exploitierten Kinder zu. 174)
Am 27.April 1863 erklärte das Parlamentsmitglihed Ferrand im Unterhause:
"Arbeiterdelegierte von 16 Distrikten von Lancashire und Cheshire, in deren Auftrag ich spreche, haben mir mitgeteilt, daß die
Arbeit in den Fabriken infolge der Verbeßrung der Maschinerie beständig wachse. Statt daß früher eine Person mit Gehilfen zwei
Webstühle bediente, bedient sie jetzt drei ohne Gehilfen, und es
ist gar nichts Ungewöhnliches, daß eine Person ihrer vier bedient
usw. Zwölf Stunden Arbeit, wie aus den mitgeteilten Tatsachen
hervorgeht, werden jetzt in weniger als 10 Arbeitsstunden gepreßt. Es ist daher selbstverständlich, in welchem ungeheuren Umfang die Mühen der Fabrikarbeiter sich seit den letzten Jahren
vermehrt haben." 175)
Obgleich daher die Fabrikinktoren die günstigen Resultate der Fabrikgesetze von 1844 und 1850 unermüdlich und mit vollem Recht
lobpreisen, gestehn sie doch, daß die Verkürzung des Arbeitstags
bereits eine die Gesundheit der Arbeiter, also die Arbeitskraft
selbst zerstörende Intensität der Arbeit hervorgerufen habe.
#440# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
"In den meisten Baumwoll-, Worsted, und Seidenfabriken scheint
der erschöpfende Zustand von Aufregung, nötig für die Arbeit an
der Maschinerie, deren Bewegung in den letzten Jahren so außerordentlich beschleunigt worden ist, eine der Ursachen des Überschusses der Sterblichkeit an Lungenkrankheiten, den Dr. Greenhow
in seinem jüngsten bewundernswerten Bericht nachgewiesen hat."
176)
Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß die Tendenz des
Kapitals, sobald ihm Verlängrung des Arbeitstags ein für allemal
durch das Gesetz abgeschnitten ist, sich durch systematische
Steigrung des Intensitätsgrads der Arbeit gütlich zu tun und jede
Verbeßrung der Maschinerie in ein Mittel zu größrer Aussaugung
der Arbeitskraft zu verkehren, bald wieder zu einem Wendepunkt
treiben muß, wo abermalige Abnahme der Arbeitsstunden unvermeidlich wird. 177) Andrerseits überflügelt der Sturmmarsch der englischen Industrie von 1848 bis zur Gegenwart, d.h. während der
Periode des zehnstündigen Arbeitstags, noch weit mehr die Zeit
von 1833 bis 1837, d.h. die Periode des zwölfstündigen Arbeitstags, als letztre das halbe Jahrhundert seit Einführung des Fabriksystenu, d.h. die Periode des unbeschränkten Arbeitstags.
178)
#441# 13. Kapitel - M"nerie und große Industrie
4. Die Fabrik
Wir betrachteten im Beginn dieses Kapitels den Leib der Fabrik,
die Gliedrung des Maschinensystems. Wir sahen dann, wie die Maschinerie das menschliche Exploitationsmaterial des Kapitals vermehrt durch Aneignung der Weiber- und Kinderarbeit, wie sie die
ganze Lebenszeit des Arbeiters konfisziert durch maßlose Ausdehnung des Arbeitstags und wie ihr Fortschritt, der ein ungeheuer
wachsendes Produkt in stets kürzrer Zeit zu liefern erlaubt, endlich als systematisches Mittel dient, in jedem Zeitmoment mehr
Arbeit flüssig zu machen oder die Arbeitskraft stets intensiver
auszubeuten. Wir wenden uns nun zum Fabrikganzen, und zwar in
seiner ausgebildetsten Gestalt.
Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik, beschreibt sie einerseits als
"Kooperation verschiedner Klassen von Arbeitern, erwachsnen und
nicht erwachsnen, die mit Gewandtheit und Fleiß ein System produktiver Maschinerie überwachen, das ununterbrochen durch eine
Zentralkraft (den ersten Motor) in Tätigkeit gesetzt wird",
andrerseits als
"einen ungeheuren Automaten, zusammengesetzt aus zahllosen mechanischen und selbstbewußten Organen, die im Einverständnis und
ohne Unterbrechung wirken, um einen und denselben Gegenstand zu
produzieren, so daß alle diese Organe einer Bewegungskraft untergeordnet sind, die sich von selbst bewegt".
#442# IV. Abschnitt - Die Produktion du relativen Mehrwerts
Diese beiden Ausdrücke sind keineswegs identisch. In dem einen
erscheint der kombinierte Gesamtarbeiter oder gesellschaftliche
Arbeitskörper als übergreifendes Subjekt und der mechanische Automat als Objekt; in dem andren ist der Automat selbst das Subjekt, und die Arbeiter sind nur als bewußte Organe seinen bewußtlosen Organen beigeordnet und mit denselben der zentralen Bewegungskraft untergeordnet. Der erstere Ausdruck gilt von jeder
möglichen Anwendung der Maschinerie im großen, der andre charakterisiert ihre kapitalistische Anwendung und daher das moderne
Fabriksystem. Ure liebt es daher auch, die Zentralmaschine, von
der die Bewegung ausgeht, nicht nur als Automat, sondern als Autokrat darzustellen.
"In diesen großen Werkstätten versammelt die wohltätige Macht
Dampfes ihre Myriaden von Untertanen um sich." 179)
Mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuosität in seiner Führung vom Arbeiter auf die Maschine über. Die Leistungsfähigkeit
des Werkzeugs ist emanzipiert von den persönlichen Schranken menschlicher Arbeitskraft. Damit ist die technische Grundlage aufgehoben, worauf die Telluzig der Arbeit in der Manufaktur beruht.
An die Stelle der sie charakterisierenden Hierarchie der spezialisierten Arbeiter tritt daher in der automatischen Fabrik die
Tendenz der Gleichmachung oder Nivellierung der Arbeiten, welche
die Gehilfen der Maschinerie zu verrichten haben 180), an die
Stelle der künstlich erzeugten Unterschiede der Tellarbeiter treten vorwiegend die natürlichen Unterschiede des Alters und Geschlechts.
Soweit in der automatischen Fabrik die Teilung der Arbeit wiedererscheint, ist sie zunächst Verteilung von Arbeitern unter die
spezialisierten Maschinen und von Arbeitermassen, die jedoch
keine gegliederten Gruppen
#443# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
bilden, unter die verschiednen Departements der Fabrik, wo sie an
nebeneinander gereihten gleichartigen Werkzeugmaschinen arbeiten,
also mir einfache Kooperation unter ihnen stattfindet. Die gegliederte Gruppe der Manufaktur ist ersetzt durch den Zusammenhang des Hauptarbeiters mit wenigen Gehilfen. Die wesentliche
Scheidung ist die von Arbeitern, die wirklich an den Werkzeugmaschinen beschäftigt sind (es kommen hiezu einige Arbeiter zur Bewachung, resp. Füttrung der Bewegungsmaschine), und von bloßen
Handlangem (fast ausschließlich Kinder) dieser Maschinenarbeiter.
Zu den Handlangern zählen mehr oder minder alle Feeders (die den
Maschinen bloß Arbeitsstoff darreichen). Neben diese Hauptklassen
tritt ein numerisch unbedeutendes Personal, das mit der Kontrolle
der gesamten Maschinerie und ihrer beständigen Reparatur beschäftigt ist, wie Ingenieure, Mechaniker, Schreiner usw. Es ist eine
höhere, teils wissenschafthch gebildete, teils handwerksmäßige
Arbeiterklasse, außerhalb des Kreises der Fabrikarbeiter und ihnen nur aggregiert. 181) Diese Teilung der Arbeit ist rein technisch.
Alle Arbeit an der Maschine erfordert frühzeitige Anlehnung des
Arbeiters, damit er seine eigne Bewegung der gleichförmig kontinuierlichen Bewegung eines Automaten anpassen lerne. Soweit die
Gesamtmaschinerie selbst ein System mannigfacher, gleichzeitig
wirkender und kombinierter Maschinen bildet, erfordert auch die
auf ihr beruhende Kooperation eine Verteilung verschiedenartiger
Arbeitergruppen unter die verschiedenartigen Maschinen. Aber der
Maschinenbetrieb hebt die Notwendigkeit auf, diese Verteilung manufakturmäßig zu befestigen durch fortwährende Aneignung derselben Arbeiter an dieselbe Funktion. 182) Da die Gesamtbewegung der
#444# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Fabrik nicht vom Arbeiter ausgeht, sondern von der Maschine, kann
fortwährender Personenwechsel stattfinden ohne Unterbrechung des
Arbeitsprozesses. Den schlagendsten Beweis hierzu liefert das
während der englischen Fabrikantenrevolte von 1848-1850 ins Werk
gesetzte Relaissystem. 1*) Die Geschwindigkeit endlich, womit die
Arbeit an der Maschine im jugendlichen Alter erlernt wird, beseitigt ebenso die Notwendigkeit, eine besondre Klasse Arbeiter ausschließlich zu Maschinenarbeitem heranzuziehn. 183) Die Dienste
der bloßen Handlanger aber sind in der Fabrik teils durch Maschinen ersetzbar 184), teils erlauben sie wegen ihrer völligen Einfachheit raschen und beständigen Wechsel der mit dieser Plackerei
belasteten Personen.
Obgleich nun die Maschinerie das alte System der Teilung der Arbeit technisch über den Haufen wirft, schleppt es sich zunächst
als Tradition
#445# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
der Manufaktur gewohnheitsmäßig in der Fabrik fort, um dann systematisch vom Kapital als Exploitationsmittel der Arbeitskraft
in noch ekelhaftrer Form reproduziert und befestigt zu werden.
Aus der lebenslangen Spezialität, ein Teilwerkzeug zu führen,
wird die lebenslange Spezialität, einer Teilmaschine zu dienen.
Die Maschinerie wird mißbraucht, um den Arbeiter selbst von Kindesheinen in den Teil einer Teilmaschine zu verwandeln. 185)
Nicht nur werden so die zu seiner eignen Reproduktion nötigen Kosten bedeutend vermindert, sondern zugleich seine hilflose Abhängigkeit vom Fabrikganzen, also vom Kapitalisten, vollendet. Hier
wie überall muß man unterscheiden zwischen der größren Produktivität, die der Entwicklung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, und der größren Produktivität, die seiner kapitalistischen Ausbeutung geschuldet ist.
In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die
Bewegung des Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat. In der Manufaktur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanismus. In der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt.
"Der trübselige Schlendrian einer endlosen Arbeitsqual, worin
derselbe mechanische Prozeß immer wieder durchgemacht wird,
gleicht der Arbeit des Sisyphus; die Last der Arbeit, gleich dem
Felsen, fällt immer wieder auf den abgematteten Arbeiter zurück."
186)
Während die Maschinenarbeit das Nervensystem aufs äußerste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der Muskeln und
konfisziert alle freie körperliche und geistige Tätigkeit." 187)
Selbst die Erleichterung der Arbeit
#446# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter
von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt. Aller
kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsprozeß,
sondern zugleich Verwertungsprozeß des Kapitals, ist es gemeinsam, daß nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit
der Maschinerie erhält diese Verkehrung technisch handgreifliche
Wirklichkeit. Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt
das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige
Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen
Potenzen des Produktionsprozesses von der Handarbeit und die Verwandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich, wie bereits früher angedeutet, in der auf Grundlage der
Maschinerie aufgebauten großen Industrie. Das Detailgeschick des
individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein
winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind und mit ihm die Macht des "Meisters"
(master) bilden. Dieser Meister, in dessen Hirn die Maschinerie
und sein Monopol an der selben unzertrennlich verwachsen sind,
ruft daher in Kollisionsfällen den "Händen" verächtlich zu:
"Die Fabrikarbeiter sollten in heilsamer Erinnrung halten, daß
ihre Arbeit in der Tat eine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; daß keine leichter aneigenbar und in Anbetracht ihrer
Qualität besser belohnt ist, daß keine durch kurze Unterweisung
des mindest Erfahrnen in so kurzer Zeit und in solchem Überfluß
zugeführt werden kann. Des Meisters Maschinerie spielt in der Tat
eine viel wichtigere Rolle in dem Geschäfte der Produktion als
die Arbeit und das Geschick des Arbeiters, die eine Erziehung von
6 Monaten lehren und jeder Bauernknecht lernen kann." 188)
Die technische Unterordnung des Arbeiters unter den gleichförmigen Gang des Arbeitsmittels und die eigentümliche Zusammensetzung
des
#447# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Arbeitskörpers aus Individuen beider Geschlechter und verschiedenster Altersstufen schaffen eine kasernenmäßige Disziplin, die
sich zum vollständigen Fabrikregime ausbildet und die schon früher erwähnte Arbeit der Oberaufsicht, also zugleich die Teilung
der Arbeiter in Handarbeiter und Arbeitsaufseher, in gemeine Industriesoldaten und IndustrieunterOffiziere, völlig entwickelt.
"Die Hauptschwierigkeit in der automatischen Fabrik bestand in
der notwendigen Disziplin, um die Menschen auf ihre unregelmäßigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen und sie zu
identifizieren mit der unveränderlichen Regelmäßigkeit des großen
Automaten. Aber einen den Bedürfnissen und der Geschwindigkeit
des automatischen Systems entsprechenden Disziplinarkodex zu erfinden und mit Erfolg auszufahren war ein Unternehmen, des Herkules würdig, das ist das edle Werk Arkwrights! Selbst heutzutage,
wo das System in seiner ganzen Vollendung organisiert ist, ist es
fast unmöglich, unter den Arbeitern, die das Alter der Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehilfen für das automatische
System zu finden." 189)
Der Fabrikkodex, worin das Kapital seine Autokratie über seine
Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgertum so beliebte Teilung der
Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem, privatgesetzlich und eigenherrlich formuliert, ist nur die kapitalistische Karikatur der gesellschaftlichen Reglung des Arbeitsprozesses, welche nötig wird mit der Kooperation auf großer Stufenleiter und der Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel namentlich der
Maschinerie. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt
das Strafbuch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich
auf in Geldstrafen und Lohnabzüge, und der gesetzgeberische
Scharfsinn der Fabrik-Lykurge macht ihnen die Verletzung ihrer
Gesetze womöglich noch einbringlicher als deren Befolgung." 190)
189) "Ure, l.c.p. 15. Wer Arkwrights Lebensgeschichte kennt, wird
das Wort "edel" diesem genialen Barbier nie an den Kopf werfen.
Von allen großen Erfindern des 18. Jahrhunderts war er unstreitig
der größte Dieb fremder Erfindungen und der gemeinste Kerl.
190) Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält, kommt nirgends deutlicher ans Tageslicht als im Fabriksystem. Her hört alle Freiheit rechtlich und faktisch auf.
Der Arbeiter muß morgens um halb 6 in der Fabrik sein, kommt er
ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er 10 Minuten zu spät, so wird er gar nicht hereingelassen, bis das Frühstück vorüber ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn. Er muß
auf Kommando essen, trinken und schlafen... Die despotische
Glocke ruft ihn vom Bette, ruft ihn vom Frühstück und Mittagstisch. Und wie geht es nun gar erst in der Fabrik? Hier ist der
Fabrikant absoluter Gesetzgeber. Er erläßt Fabrikregulationen,
wie er Lust hat: er ändert und macht Zusätze zu seinem Kodex,
#448# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Wir deuten nur hin auf die materiellen Bedingungen, unter denen
die Fabrikarbeit verrichtet wird. Alle Sinnesorgane werden
gleichmäßig verletzt durch die künstlich gesteigerte Temperatur,
die mit Abfällen des Rohmaterials geschwängerte Atmosphäre, den
betäubenden lärm usw., abgesehn von der Lebensgefahr unter dicht
gehäufter Maschinerie, die mit der Regelmäßigkeit der Jahreszeiten ihre industriellen Schlachtbulletins
#449# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
produziert. 190a) Die Ökonomisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel, erst im Fabriksystem treibhausmäßig gereift, wird
in der Hand des Kapitals zugleich zum systematischen Raub an den
Liebensbedingungen des Arbeiters während der Arbeit, an Raum,
Luft, Ucht, und an persönlichen
#450# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Schutzmitteln wider lebensgefährliche oder gesundheitdrige Umstände des Produktionsprozesses, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar nicht zu sprechen." 191) Nennt Fourier
mit Unrecht die Fabriken "gemilderte Bagnos", 192) ? [120]
#451# 13. Kapitel - nerie tmd groß Industrie
5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine
Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter beginnt mit dem
Kapitalverhältnis selbst. Er tobt fort während der ganzen Manufakturperiode. 193] Aber erst seit der Einführung der Maschinerie
bekämpft der Arbeiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle
Existenzweise des Kapitals. Er revoltiert gegen diese bestimmte
Form des Produktionsmittels als die materielle Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise.
Ziemlich ganz Europa erlebte während des 17. Jahrhunderts Arbeiterrevolten gegen die sog. Bandmühle (auch Schnurmühle oder Mühlenstuhl genannt), eine Maschine zum Weben von Bändern und Borten. 194) Ende des
#452# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
ersten Dritteils des 17. Jahrhunderts erlag eine Windsägemühle,
von einem Holländer in der Nähe Londons angelegt, vor Pöbelexzessen. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts überwanden durch Wasser getriebne Sägemaschinen in England nur mühsam den parlamentarisch
unterstützten Volkswiderstand. Als Everet 1758 die erste vom Wasser getriebne Maschine zum Wollscheren erbaut hatte, wurde sie
von 100 000 außer Arbeit gesetzten Menschen in Brand gesteckt.
Gegen die scribbling mills 1*) und Kardiermaschinen Arkwrigths
petitionierten 50 000 Arbeiter, die bisher vom Wollkratzen gelebt, beim Parlament. Die massenhafte Zerstörung von Maschinen in
den englischen Manufakturdistrikten während der ersten 15 Jahre
des 19. Jahrhunderts, namentlich infolge der Ausbeutung des
Dampfwebstuhls, bot, unter dem Namen der Ludditenbewegung, der
Antijakobiner-Regierung eines Sidmouth, Castlereagh usw. den Vorwand zu reaktionärsten Gewaltschritten. Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt. 195)
Die Kämpfe um den Arbeitslohn innerhalb der Manufaktur setzen die
Manufaktur voraus und sind keineswegs gegen ihre Existenz gerichtet. Soweit die Bildung der Manufaen bekämpft wird, geschieht es
von den Zunftmeistern und privilegierten Städten, nicht von den
Lohnarbeitern. Bei Schriftstellern der Manufakturpetiode wird die
Teilung der Arbeit daher vorherrschend als Mittel aufgefaßt, virtuell Arbeiter zu ersetzen, aber nicht, wirklich Arbeiter zu verdrängen. Dieser Unterschied ist selbstverständlich. Sagt man
z.B., es würden 100 Millionen Menschen in England erheischt sein,
um mit dem alten Spinnrad die Baumwolle zu ver spinnen, die jetzt
von 500 000 mit der Maschine versponnen wird, so heißt das natürlich nicht, daß die Maschine den Platz dieser Millionen, die nie
#453# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
existiert haben, einnahm. Es heißt nur, daß viele Millionen Arbeiter erheischt wären, um die Spinnmaschinerie zu ersetzen. Sagt
man dagegen, daß der Dampfwebstuhl in England 800 000 Weber auf
das Pflaster warf, so spricht man nicht von existierender Maschinerie, die durch eine bestimmte Arbeiterzahl ersetzt werden
müßte, sondern von einer existierenden Arbeiterzahl, die faktisch
durch Maschinerie ersetzt oder verdrängt worden ist. Während der
Manufakturperiode blieb der handwerksmäßige Betrieb, wenn auch
zerlegt, die Grundlage. Die neuen Kolonialmärkte konnten durch
die relativ schwache Anzahl der vom Mittelalter überlieferten
städtischen Arbeiter nicht befriedigt werden, und die eigentlichen Manufakturen öffneten zugleich dem mit Auflösung der Feudalität von Grund und Boden verjagten Landvolke neue Produktionsgebiete. Damals trat also an der Teilung der Arbeit und der Kooperation in den Werkstätten mehr die positive Seite hervor, daß sie
beschäftigte Arbeiter produktiver machen. 196) Kooperation und
Kombination der Arbeitsttel in den Händen weniger rufen, auf die
Agrikultur angewandt, zwar große, plötzliche und gewaltsame Revolutionen der Produktionsweise und daher der Lebensbedingungen und
Beschäftigungsmittel der Landbevölkerung hervor, in vielen Ländern lang vor der Periode der großen Industrie. Aber dieser Kampf
spielt ursprünglich mehr zwischen großen und kleinen Landeigentümern als zwischen Kapital und Lohnarbeit; andrerseits, soweit Arbeiter durch Arbeitsmittel, Schafe, Pferde usw. verdrängt werden,
bilden unmittelbare Gewaltakte hier in erster Instanz die Voraussetzung der industriellen Revolution. Erst werden die Arbeiter
vom Grund und Boden verjagt,
#454# IV. Abschnitt - Die Pukion des relativen Mehrwerts
und dann kommen die Schafe. Der Landdiebstahl auf großer Stufenleiter, wie in England, schafft der großen Agrikultur erst ihr
Anwendungsfeld. 196a) In ihren Anfängen hat diese Umwälzung der
Agrikultur daher mehr den Schein einer politischen Revolution.
Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten des
Arbeiters selbst. 197) Die Selbstverwertung des Kapitals durch
die Maschine steht im direkten Verhältnis zur Arbeiterzahl, deren
Existenzbedingungen sie vernichtet. Das ganze System der kapitalistischen Produktion beruht darauf, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft als Ware verkauft. Die Teilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikularisierten Geschick, ein
Teilwerkzeug zu führen. Sobald die Führung des Werkzeugs der Maschine anheimfällt, erlischt mit dem Gebrauchswert der Tauschwert
der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich, wie außer Kurs
gesetztes Papiergeld. Der Teil der Arbeiterklasse, den die Maschinerie so in überflüssige, d.h. nicht länger zur Selbstverwertung des Kapitals unmittelbar notwendige Bevölkerung verwandelt,
geht einerseits unter in dem ungleichen Kampf des alten handwerksmäßigen und manufakturmäßigen Betriebs wider den maschinenmäßigen, überflutet andrerseits alle leichter zugänglichen Industriezweige, überfüllt den Arbeitsmarkt und senkt daher den Preis
der Arbeitskraft unter ihren Wert. Ein großer Trost für die pauperisierten Arbeiter soll sein, daß ihre Leiden teils nur
"zeitlich" ("a temporary inconvenience"), teils daß die Maschinerie sich nur allmählich eines ganzen Produktionsfelds bemächtigt,
wodurch Umfang und Intensität ihrer vernichtenden Wirkung gebrochen werde. Der eine Trost schlägt den andren. Wo die Maschine
allmählich ein Produktionsfeld ergreift, produziert sie chronisches Elend in der mit ihr konkurrierenden Arbeiterschichte. Wo
der Übergang rasch, wirkt sie massenhaft und akut. Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres Schauspiel als den allmählichen, über Dezennien verschleppten, endlich 1838 besiegelten Untergang der englischen Handbaumwollweber. Viele von ihnen starben
am Hungertod, viele vegetierten lange mit ihren Familien auf 2
1/21 d. täglich. 198) Akut dagegen wirkte
#455# 13. Kapitel - Muchinerie und gmi3e Industrie
die englische Baumwollmaschinerie auf Ostindien, dessen Generalgouverneur 1834/35 konstatierte:
"Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Knochen der Baumwollweber bleichen die Ebenen von Indien."
Allerdings, sofern diese Weber das Zeitliche segneten, bereitete
ihnen die Maschine nur "zeitliche Mißstände". Übrigens ist die
"zeitliche" Wirkung der Maschinerie permanent, indem sie beständig neue Produktionsgebiete ergreift. Die verselbständigte und
entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise
überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber
dem Arbeiter gibt, entwickelt sich mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz. 199) Daher mit ihr zum erstenmal die brutale
Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel.
Das Arbeitsmittel erschlägt den Arbeiter. Dieser direkte Gegensatz erscheint allerdings am handgreiflichsten, sooft neu eingeführte Maschinerie konkurriert mit überliefertem Handwerks- oder
Manufakturbetrieb. Aber innerhalb der großen Industrie selbst
wirkt fortwährende Verbeßrung der Maschinerie und Entwicklung des
automatischen Systems analog.
#456# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
"Der beständige Zweck verbesserter Maschinerie ist, die Handarbeit zu vermindern oder einen Ring in der Produktionskette der
Fabrik durch Substitution eiserner für menschliche Apparate zu
vollenden." 200) Die Anwendung von Dampf- und Wasserkraft auf Maschinerie, die bisher mit der Hand bewegt wurde, ist das Ereignis
jedes Tages... Die kleineren Verbeßrungen in der Maschinerie,
welche Ökonomie der Bewegungskraft, Verbeßrung des Machwerks,
vermehrte Produktion in derselben Zeit oder Verdrängung eines
Kindes, eines Frauenzinuners oder eines Mannes bezwecken, sind
konstant, und obgleich scheinbar nicht von großem Gewicht, haben
sie dennoch wichtige Resultate." 201) Überall, wo eine Operation
viel Geschick und eine sichre Hand verlangt entzieht man sie so
schnell als möglich den Armen des zu geschickten und oft zu Unregelmäßigkeiten aller Art geneigten Arbeiters, um einen besondren
Mechanismus damit zu betrauen, der so gut geregelt ist, daß ein
Kind ihn überwachen kann. 202) Im automatischen System wird das
Talent des Arbeiters progressiv verdrängt." 203) Die Verbeßrung
der Maschinerie erfordert nicht nur Vermindrung in der Anzahl der
beschäftigten erwachsnen Arbeiter zur Erielung eines bestimmten
Resultats, sondern sie substituiert eine Klasse von Individuen
einer andren Klasse, eine minder geschickte einer geschickteren,
Kinder den Erwachanen, Frauen den Männern. Alle diese Wechsel
verursachen beständige Fluktuationen in der Rate des Arbeitslohns." 204) "Die Maschinerie wirft unaufhörlich Erwachsne aus
der Fabrik heraus." 205)
Die außerordentliche Elastizität des Maschinenwesens infolge gehäufter praktischer Erfahrung, des schon vorhandnen Umfangs mechanischer Mittel und des beständigen Fortschritts der Technik
zeigte uns sein Sturmmarsch unter dem Druck eines verkürzten Arbeitstags. Aber wer hätte
#457# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
1860, im Zenitjahr der englischen Baumwollindustrie, die galoppierenden Verbesserungen der Maschinerie und die entsprechende
Deplacierung von Handarbeit geahnt, welche die drei folgenden
Jahre unter dem Stachel des Amerikanischen Bürgerkriegs hervorriefen? Von den offiziellen Anführungen der englischen Fabrikinspektoren über diesen Punkt genügen hier ein paax Beispiele. Ein
Manchester Fabrikant erklärt:
"Statt 75 Kardiermaschinen brauchen wir jetzt nur 12, welche dieselbe Quantität von ebenso guter, wenn nicht beßrer Qualität liefern... Die Ersparung an Arbeitslohn beträgt 10 Pfd.St. wöchentlich, die an Baumwollabfall 10%"
In einer Manchester Feinspinnerei wurde
"vermittelst beschleunigter Bewegung und Einführung verschiedner
self-acting Prozesse in einem Departement 1/4 in einem über 1/2
des Arbeiterpersonals beseitigt, während die Kämmaschine an der
Stelle der zweiten Kardiermaschine die Zahl der er im Kardierraum
beschäftigten Hände sehr vermindert hat".
Eine andre Spinnfabrik schätzt ihre allgemeine Ersparung von
"Händen" auf 10%. Die Herren Gilmore, Spinner zu Manchester, erklären:
"In unsrem blowing departement 1*) schätzten wir die infolge
neuer Maschinerie gemachte Ersparung an Händen und Arbeitslohn
auf ein volles Drittel... in dem jack frame und drawing frame
room 2*) ungefähr 1/3 weniger in Auslage und Händen; im Spinnraum
ungefähr 1/3 weniger in Auslage. Aber das ist nicht alles; wenn
unser Garn jetzt zum Weber geht, ist es so sehr verbessert durch
die Anwendung der neuen Maschinerie, daß sie mehr und bessres Gewebe als mit dem alten Maschinengarn produzieren." 206)
Fabrikinspektor A. Rave bemerkt hierzu:
"Die Verminderung der Arbeiter bei gesteigerter Produktion
schreitet rasch vorwärts; in den Wollfabriken begann kürzlich
eine neue Reduktion der Hände, und sie dauert fort; vor wenigen
Tagen sagte mir ein Schulmeister, der bei Rochdale wohnt, die
große Abnahme in den Mädchenschulen sei nicht nur dem Druck der
Krise geschuldet, sondern auch den Änderungen in der Maschinerie
der Wollfabrik, infolge deren eine Durchschnittsreduktion von 70
Halbzeitlern stattgefunden." 207)
#458# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Das Gesamtresultat der dem Amerikanischen Bürgerkrieg geschuldeten mechanischen Verbesserungen in der englischen Baumwollindustrie zeigt folgende Tabelle [122]:
Zahl der Fabriken
1856 1861 1868
England und Wales 2046 2715 2405
Schottland 152 163 131
Irland 12 9 13
Vereinigtes Königreich 2210 2887 2549
Anzahl der Dampfwebstühle
England und Wales 275590 367125 344719
Schottland 21624 30110 31864
Irland 1633 1757 2746
Vereinigtes Königreich 298847 399992 379329
Anzahl der Spindeln
England und Wales 25818576 28352125 30478228
Schotdand 2041129 1915398 1397546
Irland 150512 119944 124240
Vereinigtes Königreich 28010217 30387467 32000014
Anzahl der beschäftigten Personen
England und Wales 341170 407598 357052
Schottland 34698 41237 39809
Irland 3345 2734 4203
Vereinigtes Königreich 379213 451569 401064
Von 1861 bis 1868 verschwanden also 338 Baumwollfabriken, d.h.,
produktivere und großartigere Maschinerie konzentrierte sich in
den Händen einer geringem Zahl von Kapitalisten. Die Zahl der
Dampfwebstühle nahm ab um 20663; aber ihr Produkt hatte sich
gleichzeitig vermehrt, so daß ein
#459# 13. Kapitel - Merie und große Industrie
verbesserter Webstuhl jetzt mehr leistete als ein alter. Endlich
die Spindelzahl wuchs um 1612547, während die Zahl der beschäftigten Arbeiter um 50505 abnahm. Das "zeitweilige" Elend, womit
die Baumwollkrise die Arbeiter erdrückte, wurde also gesteigert
und befestigt durch raschen und anhaltenden Fortschritt der Maschinerie.
Die Maschinerie wirkt jedoch nicht nur als übermächtiger Konkurrent, stets auf dem Sprung, den Lohnarbeiter "überflüssig" zu machen. Als ihm feindliche Potenz wird sie laut und tendenziell vom
Kapital proklamiert und gehandhabt. Sie wird das machtvollste
Kriegsmittel zur Niederschlagung der periodischen Arbeiteraufstände, strikes usw. wider die Autokratie des Kapitals. 208) Nach
Gaskell war gleich die Dampfmaschine ein Antagonist der
"Menschenkraft", der den Kapitalisten befähigte, die steigenden
Ansprüche der Arbeiter niederzuschmettern, die das beginnende Fabriksystem zur Krise zu treiben drohten. 209) Man könnte eine
ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß
als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten ins Leben
traten. Wir erinnern vor allem an die selfacting mule, weil sie
eine neue Epoche des automatischen Systems eröffnet. 210)
In seiner Aussage vor der Trades Unions Comssion berichtet Nasmyth, der Erfinder des Dampfhammers, wie folgt über die Verbeßrungen der Maschinerie, die er einführte infolge des großen und
langen strikes der Maschinenarbeiter 1851:
"Der bezeichnende Zug unsrer modernen mechanischen Verbeßrungen
ist die Einführung selbsttätiger Werkzeugmaschinen. Was jetzt ein
mechanischer Arbeiter zu tun hat, und was jeder Junge tun kann,
ist nicht, selbst zu arbeiten, sondern die schöne Arbeit der Maschine zu überwachen. Die ganze von ihrer Geschicklichkeit ausschließlich abhängende Klasse von Arbeitern ist jetzt beseitigt.
Früher beschäftigte ich vier Jungen auf einen Mechaniker. Dank
diesen neuen mechanischen Kombinationen habe ich die Zahl der erwachsenen Männer von 1500 auf 750 reduziert. Die Folge war eine
bedeutende Vermehrung meines Profits." [123]
208) "Daß Verhältnis zwischen Meistern und Händen in den Flintund Flaschenglas-Bläsereien ist ein chronischer strike." Daher
der Aufschwung der Manufaktur des gepreßten Glases, wo die
Hauptoperationen durch Maschinerie ausgeführt werden. Eine Firma
bei Newcastle, die früher jährlich 350000 Pfund geblasnes Flintglas produzierte, produziert jetzt statt dessen 3000500 Pfund gepreßtes Glas. ("Ch. Empl. Comm. IV. Rep.", 1865, p. 262, 263.)
200) Gaskell, "The Manufacturing Population of England", Lond.
1833, p. 11, 12.
210) Einige sehr bedeutende Anwendungen von Maschinen zum Maschinenbau erfand Herr Fair infolge von strikes in seiner eignen Maschinenfabrik.
#460# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Ure sagt von einer Maschine zum Farbendruck in den Kattundruckereien:
"Endlich suchten sich die Kapitalisten von dieser unerträglichen
Sklaverei" (nämlich den ihnen lästigen Kontraktsbedingungen der
Arbeiter) zu befreien, indem sie die Hilfsquellen der Wissenschaft anriefen, und bald waren sie reintegriert in ihre legitimen Rechte, die des Kopfes über die andern Körperteile."
Er sagt von einer Erfindung zum Kettenschlichten, deren unmittelbarer Anlaß ein strike:
"Die Horde der Unzufriednen, die sich hinter den alten Linien der
Teilung der Arbeit unbesiegbar verschanzt wähnte, sah sich so in
die Flanke genommen und ihre Verteidigungsmittel vernichtet durch
die moderne mechanische Taktik. Sie mußten sich auf Gnade und Ungnade ergeben."
Er sagt von der Erfindung der selfacting mule:
"Sie war berufen, die Ordnung unter den industriellen Klassen
wiederherzustellen... Diese Erfindung bestätigt die von uns bereits entwickelte Doktrin, daß das Kapital, indem es die Wissenschaft in seinen Dienst preßt, stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit zwingt." 211)
Obgleich Ures Schrift 1835 erschien, also zur Zeit eines relativ
noch schwach entwickelten Fabriksystems, bleibt sie der klassische Ausdruck des Fabrikgeists, nicht nur wegen ihres offenherzigen Zynismus, sondern auch wegen der Naivität, womit er die gedankenlosen Widersprüche des Kapitalhirns ausplaudert. Nachdem er
z.B. die "Doktrin" entwickelt, daß das Kapital mit Hilfe der von
ihm in Sold genommenen Wissenschaft
"stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit zwingt",
entrüstet er sich darüber, daß man von gewisser Seite die mechanisch-physische Wissenschaft anklagt, sich dem Despotismus reicher Kapitalisten zu leihen und zum Unterdrückungsmittel der armen Klassen herzugeben".
Nachdem er weit und breit gepredigt, wie vorteilhaft rasche Entwicklung der Maschinerie den Arbeitern, warnt er sie, daß sie
durch ihre Widersetzlichkeit, strikes usw., die Entwicklung der
Maschinerie beschleunigen.
"Derartige gewaltsame Revolten", sagt er, zeigen die menschliche
Kurzsichtigkeit in ihrem verächtlichsten Charakter, dem Charakter
eines Menschen, der sich zu seinem eignen Henker macht."
Wenige Seiten vorher heißt es umgekehrt:
"Ohne die heftigen Kollisionen und Unterbrechungen, verursacht
durch die irrigen Ansichten der Arbeiter, hätte sich das Fabriksystem noch viel rascher entwickelt und viel nützlicher für alle
interessierten Parteien."
#461# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Dann ruft er wieder aus:
"Zum Glück die Bevölkerung der Fabrikbezirke Großbritanniens finden die Verbeßrungen in der Mechanik nur allmählich statt." "Mit
Unrecht", sagt er, klagt man die Maschinen an, daß sie den Arbeitslohn der Erwachsnen vermindern, indem sie einen Teil derselben verdrängen, wodurch ihre Anzahl das Bedürfnis nach Arbeit
übersteigt. Aber sie vermehren die Nachfrage nach Kinderarbeit
und erhöhen damit deren Lohnrate."
Derselbe Trostspender verteidigt andrerseits die Niedrigkeit der
Kinderlöhne damit, daß sie die Eltern abhalten, ihre Kinder zu
früh in die Fabriken zu schicken". Sein ganzes Buch ist eine Apologie des unbeschränkten Arbeitstags, und es erinnert seine liberale Seele an die dunkelsten Zeiten des Mittelalters, wenn die
Gesetzgebung verbietet, Kinder von 13 Jahren mehr als 12 Stunden
per Tag abzurackern. Dies hält ihn nicht ab, die Fabrikarbeiter
zu einem Dankgebet an die Vorsehung aufzufordern, die ihnen durch
die Maschinerie die Muße verschafft, über ihre unsterblichen Interessen nachzudenken". 212)
#462# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Gesamtsumme von 6000 Pfd.St. halb aus konstantem und halb aus variablem Kapital. Sie besteht jetzt aus 4500 Pfd.St. (3000 Pfd.
St. für Rohmaterial und 1500 Pfd.St. für Maschinerie) konstantem
und 1500 Pfd.St. variablem Kapital. Statt der Hälfte bildet der
variable oder in lebendige Arbeitskraft umgesetzte Kapitalteil
nur noch 1/4 des Gesamtkapitals. Statt der Freisetzung findet
hier Bindung von Kapital in einer Form statt, worin es aufhört,
sich gegen Arbeitskraft auszutauschen, d.h. Verwandlung von variablem in konstantes Kapital. Das Kapital von 6000 Pfd. St.
kann, unter sonst gleichbleibenden Umständen, jetzt niemals mehr
als 50 Arbeiter beschäftigen. Mit jeder Verbeßrung der Maschinerie beschäftigt es weniger. Kostete die neu eingeführte Maschinerie weniger als die Summe der von ihr verdrängten Arbeitskraft
und Arbeitswerkzeugt, also z.B. statt 1500 nur 1000 Pfd.St., so
würde ein variables Kapital von 1000 Pfd.St. in konstantes verwandelt oder gebunden, während ein Kapital von 500 Pfd.St. freigesetzt würde. Letzteres, denselben Jahreslohn unterstellt, bildet einen Beschäftigungsfonds für ungefähr 16 Arbeiter, während
50 entlassen sind, ja für viel weniger als 16 Arbeiter, da die
500 Pfd.St. zu ihrer Verwandlung in Kapital wieder zum Teil in
konstantes Kapital verwandelt werden müssen, also auch nur zum
Teil in Arbeitskraft umgesetzt werden können.
Indes, gesetzt auch, die Anfertigung der neuen Maschinerie beschäftige eine größre Anzahl Mechaniker; soll das eine Kompensation sein für die aufs Pflaster geworfnen Tapetenmacher? Im besten Fall beschäftigt ihre Anfertigung weniger Arbeiter, als ihre
Anwendung verdrängt. Die Summe von 1500 Pfd.St., die nur den Arbeitslohn der entlaßnen Tapetenmacher darstellte, stellt jetzt,
in der Gestalt von Maschinerie, dar: 1. den Wert der ihrer Herstellung erforderlichen Produktionsmittel, 2. den Arbeitslohn der
sie anfertigenden Mechaniker. 3. den ihrem "Meister" zufallenden
Mehrwert. Ferner: einmal fertig, braucht die Maschine nicht erneuert zu werden bis nach ihrem Tod. Um also die zusätzliche Anzahl Mechaniker dauernd zu beschäftigen, muß ein Tapetenfabrikant
nach dem andern Arbeiter durch Maschinen verdrängen.
In der Tat meinen jene Apologeten auch nicht diese Art Freisetzung von Kapital. Sie meinen die Lebensmittel der freigesetzten
Arbeiter. Es kann nicht geleugnet werden, daß im obigen Fall z.B.
die Maschinerie nicht nur 50 Arbeiter freisetzt und dadurch
"disponibel" macht, sondern zugleich ihren Zummenhang mit Lebensmitteln zum Wert von 1500 Pfd. St. aufhelbt und so diese Lebensmittel "freisetzt". Die einfache und keineswegs neue Tatsache,
daß die Maschinerie den Arbeiter von Lebensmitteln
#463# 13. KapiteI - Maschine und große Industrie
freisetzt, lautet also ökonomisch, daß die Maschinerie Lebensmittel für den Arbeiter freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwendung verwandelt. Man sieht, es kommt alles auf die Ausdrucksweise
an. Nominibus mollire licet mala. [124]
Nach dieser Theorie waren die Lebensmittel zum Wert von 1500
Pfd.St. ein durch die Arbeit der fünfzig entlaßnen Tapetenarbeiter verwertetes Kapital. Dies Kapital verliert folglich seine Beschäftigung, sobald die fünfzig Feiertag bekommen, und hat nicht
Ruh noch Rast, bis es eine neue "Anlage" gefunden, worin besagte
fünfzig es wieder produktiv konsumieren können. Früher oder später müssen also Kapital und Arbeiter sich wieder zusammenfinden,
und dann ist die Kompensation da. Die Leiden der durch die Maschinerie verdrängten Arbeiter sind also ebenso vergänglich wie
die Reichtümer dieser Welt.
Die Lebensmittel zum Betrag von 1500 Pfd.St. standen den entlaßnen Arbeitern niemals als Kapital gegenüber. Was ihnen als Kapital gegenüberstand, waren die jetzt in Maschinerie verwandelten
1500 Pfd.St. Näher betrachtet, repräsentierten diese 1500 Pfd.St.
nur einen Teil der vermittelst der entlaßnen 50 Arbeiter jährlich
produzierten Tapeten, die sie in Geldform statt in natura von ihrem Anwender zum Lohn erhielten. Mit den in 1500 Pfd.St. verwandelten Tapeten kauften sie Lebensmittel zu demselben Betrag.
Diese existierten für sie daher nicht als Kapital, sondern als
Waren, und sie selbst existierten für diese Waren nicht als Lohnarbeiter, sondern als Käufer. Der Umstand, daß die Maschinerie
sie von Kaufmitteln "freigesetzt" hat, verwandelt sie aus Käufern
in Nicht-Käufer. Daher verminderte Nachfrage für jene Waren.
Voilà tout. 1*) Wird diese verminderte Nachfrage nicht durch vermehrte Nachfrage von andrer Seite kompensiert, so sinkt der
Marktpreis der Waren. Dauert dies länger und in größrem Umfange,
so erfolgt ein Deplacement der in der Produktion jener Waren beschäftigten Arbeiter. Ein Teil des Kapitals, das früher notwendige Lebensmittel produzierte, wird in andrer Form reproduziert.
Während des Falls der Marktpreise und des Deplacements von Kapital werden auch die in der Produktion der notwendigen Lebensmittel beschäftigten Arbeiter von einem Teil ihres Lohns
"freigesetzt". Statt also zu beweisen, daß die Maschinerie durch
die Freisetzung der Arbeiter von Lebensmitteln letztere gleichzeitig in Kapital zur Anwendung der erstren verwandelt, beweist
der Herr Apologet mit dem probaten Gesetz von Nachfrage und Zufuhr umgekehrt, daß die Maschinerie nicht nur in dem Produktionszweig,
#464# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
worin sie eingeführt, sondern auch in den Produktionszweigen,
worin sie nicht eingeführt wird, Arbeiter aufs Pflaster wirft.
Die wirklichen, vom ökonomischen Optimismus travestierten Tatsachen sind diese: Die von der Maschinerie verdrängten Arbeiter
werden aus der Werkstatt hinaus auf den Arbeitsmarkt geworfen und
vermehren dort die Zahl der schon für kapitalistische Ausbeutung
disponiblen Arbeitskräfte. Im siebenten Abschnitt wird sich zeigen, daß diese Wirkung der Maschinerie, die uns hier als eine
Kompensation für die Arbeiterklasse dargestellt wird, den Arbeiter im Gegenteil als furchtbarste Geißel trifft. Hier nur dies:
Die aus einem Industriezweig hinausgeworfnen Arbeiter können allerdings in irgendeinem andern Beschäftigung suchen. Finden sie
solche, und knüpft sich damit das Band zwischen ihnen und den mit
ihnen freigesetzten Lebensmitteln wieder, so geschieht dies vermittelst eines neuen, zuschüssigen Kapitals, das nach Anlage
drängt, keineswegs aber vermittelst des schon früher funktionierenden und jetzt in Maschinerie verwandelten Kapitals. Und selbst
dann, wie geringe Aussicht haben sie! Verkrüppelt durch die Teilung der Arbeit, sind diese armen Teufel außerhalb ihres alten
Arbeitskreises so wenig wert, daß sie nur in wenigen niedrigen
und daher beständig überfüllten und unterbezahlten Arbeitszweigen
Zugang finden. 215) Ferner attrahiert jeder Industriezweig jährlich einen neuen Menschenstrom, der ihm sein Kontingent zum regelmäßigen Ersatz und Wachstum liefert. Sobald die Maschinerie
einen Teil der bisher in einem bestimmten Industriezweig beschäftigten Arbeiter freisetzt, wird auch die Ersatzmannschaft neu
verteilt und in andern Arbeitszweigen absorbiert, während die
ursrünglichen Opfer in der Übergangszeit großenteils verkommen
und verkümmern.
Es ist eine unzweifelhafte Tatsache, daß die Maschinerie an sich
nicht verantwortlich ist für die "Freisetzung" der Arbeiter von
Lebensmitteln. Sie verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem
Zweig, den sie ergreift, und läßt die in andren Industriezweigen
produzierte Lebensmittelmasse zunächst unverändert. Nach wie vor
ihrer Einführung besitzt die
#465# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Gesellschaft also gleich viel oder mehr Lebensmittel für die deplacierten Arbeiter, ganz abgesehn von dem enormen Teil des jährlichen Produkts, der von Nichtarbeitern vergeudet wird. Und dies
ist die Pointe der ökonomischen Apologetik! Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und
Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie
selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung!
Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt
ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die
Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die
Naturkraft unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert usw., erklärt der
bürgerliche Ökonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie
beweise haarscharf, daß alle jene handgreiflichen Widersprüche
bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch
in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart sich so alles
weitre Kopfzerbrechen und bürdet seinem Gegner obendrein die
Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie
zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst.
Keineswegs leugnet der bürgerliche Ökonom, daß dabei auch zeitweilige Unannehmlichkeiten herauskommen; aber wo gäbe es eine Medaille ohne Kehrseite! Eine andre als die kapitalistische Ausnutzung der Maschinerie ist für ihn unmöglich. Ausbeutung des Arbeiters durch die Maschine ist ihm also identisch mit Ausbeutung der
Maschine durch den Arbeiter. Wer also enthüllt, wie es um die kapitalistische Anwendung der Maschinerie in Wirklichkeit bestellt
ist, der will ihre Anwendung überhaupt nicht, der ist ein Gegner
des sozialen Fortschritts! 216) Ganz das Räsonnement des berühmten Gurgelschneiders Bill Sikes:
"Meine Herren Geschwornen, diesen Handlungsreisenden ist allerdings die Gurgel abgeschnitten worden. Diese Tatsache aber ist
nicht meine Schuld, sie ist die Schuld des Messers. Sollen wir
wegen solcher zeitweiligen Unannehmlichkeiten den Gebrauch des
Messers abschaffen? Bedenken Sie ja! Wo wäre Ackerbau und Handwerk ohne
#466# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Messer? Ist es nicht ebenso heilbringend in der Chirurgie wie gelehrt in der Anatomie? Dazu williger Gehilfe bei fröhlichem Mahl?
Schaffen Sie das Messer ab - Sie schleudern uns zurück in die
tiefste Barbarei." 216a)
Obwohl die Maschinerie notwendig Arbeiter verdrängt in den Arbeitszweigen, wo sie eingeführt wird, so kann sie dennoch eine
Zunahme von Beschäftigung in andern Arbeitszweigen hervorrufen.
Diese Wirkung hat aber nichts gemein mit der sogenannten Kompensationstheorie. Da jedes Maschinenprodukt, z.B. eine Elle Maschinengeweb, wohlfeiler ist als das von ihm verdrängte gleichartige
Handprodukt, folgt als absolutes Gesetz: Bleibt das Gesamtquantum
des maschinenmäßig produzierten Artikels gleich dem Gesamtquantum
des von ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmäßig produzierten Artikels, so vermindert sich die Gesamtsumme der angewandten
Arbeit. Die etwa zur Produktion der Arbeitsrnittel selbst, der
Maschinerie, Kohle usw., erheischte Arbeitszunahme muß kleiner
sein als die durch Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsabnahme. Das Maschinenprodukt wäre sonst ebenso teuer oder teurer
als das Handprodukt. Statt aber gleichzubleiben, wächst tatsächlich die Gesamtmasse des von einer verminderten Arbeiteranzahl
produzierten Maschinenartikels weit über die Gesamtmasse des verdrängten Handwerksartikels. Gesetzt, 400 000 Ellen Maschinengeweb
wurden von weniger Arbeitern produziert als 100 000 Ellen Handgeweb. In dem vervierfachten Produkt steckt viermal mehr Rohmaterial. Die Produktion des Rohmaterials muß also vervierfacht werden. Was aber die verzehrten Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten,
Kohlen, Maschinen usw. betrifft, so ändert sich die Grenze, innerhalb deren die zu ihrer Produktion erheischte zusätzliche Arbeit wachsen kann, mit der Differenz zwischen der Masse des Maschinenprodukts und der Masse des von derselben Arbeiterzahl herstellbaren Handprodukts.
Mit der Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig
steigert sich also zunächst die Produktion in den andren Zweigen,
die ihm seine Produktionsmittel liefern. Wieweit dadurch die beschäftigte Arbeitermasse wächst, hängt, Länge des Arbeitstags und
Intensität der Arbeit gegeben, von der Zusammensetzung der verwandten Kapitale ab, d.h. vom Verhältnis ihrer konstanten und variablen Bestandteile. Dies Verhältnis seinerseits variiert sehr
mit dem Umfang, worin die Maschinerie jene
#467# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Gewerbe selbst schon ergriffen hat oder ergreift. Die Anzahl zu
Kohlen- und Metallbergwerken verurteilter Menschen schwoll ungeheuer mit dem Fortschritt des englischen Maschinenwesens, obgleich ihr Anwachs in den letzten Dezennien durch Gebrauch neuer
Maschinerie für den Bergbau verlangsamt wird. 217) Eine neue Arbeiterart springt mit der Maschine ins Leben, ihr Produzent. Wir
wissen bereits, daß der Maschinenbetrieb sich dieses Produktionszweigs selbst auf stets massenhafterer Stufenleiter bemächtigt.
218) Was ferner das Rohmaterial betrifft, 219)so unterliegt es
z.B. keinem Zweifel, daß der Sturmmarsch der Baumwollspinnerei
den Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit ihm nicht nur den
afrikanischen Sklavenhandel treibhausmäßig förderte, sondern
zugleich die Negerzucht zum Hauptgeschäft der sogenannten GrenzSklavenstaaten machte. Als 1790 der erste Sklavenzensus in den
Vereinigten Staaten aufgenommen ward, betrug ihre Zahl 697 000,
dagegen 1861 ungefähr vier Millionen. Andrerseits ist es nicht
minder gewiß, daß das Aufblühen der mechanischen Wollfabrik mit
der progressiven Verwandlung von Ackerland in Schafweide die massenhafte Verjagung und Überzähligmachung" der Landarbeiter hervorrief. Irland macht noch in diesem Augenblick den Prozeß durch,
seine seit 1845 beinahe um die Hälfte verminderte Bevölkerung
noch weiter auf das dem Bedürfnis seiner Landlords und der englischen Herrn Wollfabrikanten exakt entsprechende Maß herabzudrücken.
Ergreift die Maschinerie Vor- oder Zwischenstufen, welche ein Arbeitsgegenstand bis zu seiner letzten Form zu durchlaufen hat, so
vermehrt sich mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage in den
noch handwerksoder manufakturmäßig betriebnen Gewerken, worin das
Maschinenfabrikat
#468# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
eingeht. Die Maschinenspinnerei z.B. lieferte das Garn so wohlfeil und so reichlich, daß die Handweber zunächst, ohne vermehrte
Auslage, volle Zeit arbeiten konnten. So stieg ihr Einkommen.
220) Daher Menschenzufluß in die Baumwollweberei, bis schließlich
die von Jenny, Throstle und Mule in England z.B. ins Leben gerufnen 800 000 Baumwollweber wieder vom Dampfwebstuhl erschlagen
wurden. So wächst mit dem Überfluß der maschinenmäßig produzierten Kleidungsstoffe die Zahl der Schneider, Kleidermacherinnen,
Näherinnen usw., bis die Nähmaschine erscheint.
Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten,
Arbeitsinstrumenten usw., die der Maschinenbetrieb mit relativ
geringer Arbeiterzahl liefert, sondert sich die Bearbeitung dieser Rohstoffe und Halbfabrikate in zahllose Unterarten, wächst
also die Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen Produktionszweige. Der Maschinenbetrieb treibt die gesellschaftliche Teilung
der Arbeit ungleich weiter als die Manufaktur, weil er die Produktivkraft der von ihm ergriffnen Gewerbe in ungleich höhrem
Grad vermehrt.
Das nächste Resultat der Maschinerie ist, den Mehrwert und
zugleich die Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit
der Substanz, wovon die Kapitalistenklasse samt Anhang zehrt,
diese Gesellschaftsschichten selbst zu vergrößern. Ihr wachsender
Reichtum und die relativ beständig fallende Anzahl der zur Produktion der ersten Lebensmittel erheischten Arbeiter erzeugen mit
neuem Luxusbedürfnis zugleich neue Mittel seiner Befriedigung.
Ein größter Teil des gesellschaftlichen Produkts verwandelt sich
in Surplusprodukt und in größrer Teil des Surplusprodukts wird in
verfeinerten und vermannigfachten Formen reproduziert und verzehrt. In andren Worten: Die Luxusproduktion wächst. 221) Die
Verfeinerung und Vermannigfachung der Produkte entspringt ebenso
aus den neuen weltmarktlichen Beziehungen, welche die große Industrie schafft. Es werden nicht nur mehr ausländische Genußmittel
gegen das heimische Produkt
#469# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
ausgetauscht, sondern es geht auch eine größre Masse fremder Rohstoffe, Ingredienzien, Halbfabrikate usw. als Produktionsmittel
in die heimische Industrie ein. Mit diesen weltmarktlichen Beziehungen steigt die Arbeitsnachfrage in der Transportindustrie und
spaltet sich letztre in zahlreiche neue Unterarten. 222)
Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln bei relativ abnehmender Arbeiterzahl treibt zur Ausdehnung der Arbeit in Industriezweigen, deren Produkte, wie Kanäle, Warendocks, Tunnels,
Brücken usw., nur in fernrer Zukunft Früchte tragen. Es bilden
sich, entweder direkt auf der Grundlage der Maschinerie, oder
doch der ihr entsprechenden allgemein industriellen Umwälzung,
ganz neue Produktionszweige und daher neue Arbeitsfelder. Ihr
Raumanteil an der Gesamtproduktion ist jedoch selbst in den meistentwickeiten Ländern keineswegs bedeutend. Die Anzahl der von
ihnen beschäftigten Arbeiter steigt im direkten Verhältnis, worin
die Notwendigkeit rohster Handarbeit reproduziert wird. Als
Hauptindustrien dieser Art kann man gegenwärtig Gaswerke, Telegraphie, Photographie, Dampfschiffahrt und Eisenbahnwesen betrachten. Der Zensus von 1861 (für England und Wales) ergibt in
der Gasindustrie (Gaswerke, Produktion der mechanischen Apparate,
Agenten der Gaskompagnien usw.) 15 211 Personen, Telegraphie
2399, Photographie 2366, Dampfschiffdienst 3570 und Eisenbahnen
70 599, worunter ungefähr 28 000 mehr oder minder permanent beschäftigte "ungeschickte" Erdarbeiter nebst dem ganzen administrativen und kommerziellen Personal. Also Gesamtzahl der Individuen in diesen fünf neuen Industrien 94 145.
Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den
Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden und so namentlich die alten
Haussklaven unter dem Namen der "dienenden Klasse", wie Bediente,
Mägde, Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren. Nach
dem Zensus von 1861 zählte die Gesamtbevölkerung von England und
Wales 20 066 224 Personen, wovon 9 776 259 männlich und
10 289 965 weiblich. Zieht man hiervon ab, was zu alt oder zu
jung zur Arbeit, alle "unproduktiven" Weiber, jungen Personen und
Kinder, dann die "ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen,
Juristen, Militär usw., ferner alle, deren ausschließliches Geschäft der Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente,
Zins usw., endlich Paupers, Vagabunden
#470# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Verbrecher usw., so bleiben in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei
Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, mit Einschluß
sämtlicher irgendwie in der Produktion, dem Handel, der Finanz
usw. funktionierenden Kapitalisten. Von diesen 8 Millionen kommen
auf:
Ackerbauarbeiter (mit Einschluß der
Hirten und bei Pächtern wohnenden
Ackersknechte und Mägde) 1 098 261 Personen
Alle in Baumwoll-, Woll-, Worsted-,
Flachs-, Hanf-, Seide-, Jutefabriken
und in der mechanischen Strumpfwirkerei
und Spitzenfabrikation Beschäftigten 642 607 223) "
Alle in Kohlen- und Metallbergwerken
Beschäftigten 565 835 "
In sämtlichen Metallwerken (Hochöfen,
Walzwerke usw.) und Metallmanufakturen
aller Art Beschäftigten 396 998 224) "
Dienende Klasse1 1 208 648 225) "
Rechnen wir die in allen textilen Fabriken chäftigten zusammen
mit dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir
1 208 442; rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metallwerke und Manufakturen, so die Gesamtzahl 1 039 605, beidemal
kleiner als die Zahl der modernen Haussklaven. Welch erhebendes
Resultat der kapitalistisch exploitierten Maschinerie!
#471# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Arbeiter in den überlieferten Handwerken und Manufakturen, womit
Sie zunächst konkurriert. Fast alle beächzen die Sklaverei des
Fabrikarbeiters. Und was ist der große Trumpf, den alle ausspielen? Daß die Maschinerie, nach den Schrecken ihrer Einführungsund Entwicklungsperiode, die Arbeitssklaven in letzter Instanz
vermehrt, statt sie schließlich zu vermindern! Ja, die politische
Ökonomie jubelt sich aus in dem abscheulichen Theorem, abscheulich für jeden "Philanthropen", der an die ewige Naturnotwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise glaubt, daß selbst die
bereits auf Maschinenbetrieb begründete Fabrik, nach bestimmter
Periode des Wachstums, nach kürzrer oder längrer "Übergangszeit",
mehr Arbeiter abplackt, als sie ursprünglich aufs Pflaster warf!
226)
Zwar zeigte sich schon an einigen Beispielen, z.B. den englischen
Worsted- und Seidenfabriken, daß auf einem gewissen Entwicklungsgrad außerordentliche Ausdehnung von Fabrikzweigen mit nicht nur
relativer, sondern absoluter Abnahme der angewandten Arbeiteranzahl verbunden sein kann. 3*) Im Jahr 1860, als ein Spezialzensus
aller Fabriken des Vereinigten Königreichs auf Befehl des Parlaments aufgenommen ward, zählte die dem Fabrikinspektor R. Baker
zugewiesne Abteilung der Fabrikdistrikte von
#472# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Lancashire, Cheshire und Yorkshire 652 Fabriken; von diesen
enthielten 570: Dampfwebstühle 85 622, Spindeln (mit Ausschluß
der Dublierspindeln) 6 819 146, Pferdekraft in Dampfmaschinen
27 439, in Wasserrädern 1390, beschäftigte Personen 94 119. Im
Jahr 1865 dagegen enthielten dieselben Fabriken: Webstühle
95 163, Spindeln 7 025 031, Pferdekraft in Dampfmaschinen 28 925,
in Wasserrädern 1445, beschäftigte Personen 88 913. Von 1860 bis
1865 betrug also die Zunahme dieser Fabriken an Dampfwebstühlen
11%, an Spindeln 3%, an Dampfpferdekraft 5%, während gleichzeitig
die Zahl der beschäftigten Personen um 5,5% abnahm. 227) Zwischen
1852 und 1862 fand beträchtliches Wachstum der englischen Wollfabrikation statt, während die Zahl der angewandten Arbeiter
beinahe stationär blieb.
"Dies zeigt, in wie großem Maße neu eingeführte Maschinerie die
Arbeit vorher gehender Perioden verdrängt hatte." 228)
In empirisch gegebnen Fällen ist die Zunahme der beschäftigten
Fabrikarbeiter oft nur scheinbar, d.h. nicht der Ausdehnung der
bereits auf Maschinenbetrieb beruhenden Fabrik geschuldet, sondern der allmählichen Annexation von Nebenzweigen. Z.B. die Zunahme der mechanischen Webstühle und der durch sie beschäftigten
Fabrikarbeiter von 1838-1858 war in der (britischem) Baumwollfabrik einfach der Ausdehnung dieses Geschäftszweigs geschuldet; in
den andren Fabriken dagegen der Neuanwendung von Dampfkraft auf
den Teppich-, Band-, Leinenwebstuhl usw., die vorher durch menschliche Muskelkraft getrieben wurden. 229) Die Zunahme dieser
Fabrikarbeiter war also nur der Ausdruck einer Abnahme in der Gesamtzahl der beschäftigten Arbeiter. Es wird hier endlich ganz
#473# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
davon abgesehn, daß überall, mit Ausnahme der Metallfabriken, jugendliche Arbeiter (unter 18 Jahren), Weiber und Kinder das weit
vorwiegende Element des Fabrikpersonals bilden.
Man begreift jedoch, trotz der vom Maschinenbetrieb faktisch verdrängten und virtuell ersetzten Arbeitermasse, wie mit seinem
eignen Wachstum, ausgedruckt in vermehrter Anzahl von Fabriken
derselben Art oder den erweiterten Dimensionen vorhandner Fabriken, die Fabrikarbeiter schließlich zahlreicher sein können als
die von ihnen verdrängten Manufakturarbeiter oder Handwerker. Das
wöchentlich angewandte Kapital von 500 Pfd. St. bestehe z.B. in
der alten Betriebsweise aus 2/5 konstantem und 3/5 variablem Bestandteil, d.h. 200 Pfd.St. seien in Produktionsmitteln ausgelegt, 300 Pfd.St. in Arbeitskraft, sage 1 Pfd.St. per Arbeiter.
Mit dem Maschinenbetrieb verwandelt sich die Zusammensetzung des
Gesamtkapitals. Es zerfällt jetzt z.B. in 4/5 konstanten und 1/5
variablen Bestandteil, oder es werden nur noch 100 Pfd.St. in Arbeitskraft ausgelegt. Zwei Drittel der früher beschäftigten Arbeiter werden also entlassen. Dehnt sich dieser Fabrikbetrieb aus
und wächst bei sonst gleichbleibenden Produktionsbedingungen das
angewandte Cesamtkapital von 500 auf 1500, so werden jetzt 300
Arbeiter beschäftigt, so viele wie vor der industriellen Revolution. Wächst das angewandte Kapital weiter auf 2000, so werden
400 Arbeiter beschäftigt, also 1/3 mehr als mit der alten Betriebsweise. Absolut ist die angewandte Arbeiterzahl um 100 gestiegen, relativ, d.h. im Verhältnis zum vorgeschoßnen Gesamtkapital, ist sie um 800 gefallen, denn das Kapital von 2000 Pfd.St.
hätte in der alten Betriebsweise 1200 statt 400 Arbeiter beschäftigt. Relative Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl verträgt
sich also mit ihrer absoluten Zunahme. Es wurde oben angenommen,
daß mit dem Wachstum des Gesamtkapitals seine Zusammensetzung
konstant bleibt, weil die Produktionsbedingungen. Man weiß aber
bereits, daß mit jedem Fortschritt des Maschinenwesens der konstante, aus Maschinerie, Rohmaterial usw. bestehende Kapitalteil
wächst, während der variable, in Arbeitskraft ausgelegte fällt,
und man weiß zugleich, daß in keiner andren Betriehsweise die
Verbeßrung so konstant, daher die Zusammensetzung des Gesamtkapitals so variabel ist. Dieser beständige Wechsel ist aber ebenso
beständig unterbrochen durch Ruhepunkte und bloß quantitative
Ausdehnung auf gegebner technischer Grundlage. Damit wächst die
Anzahl der beschäftigten Arbeiter. So betrug die Anzahl aller Arbeiter in den Baumwoll-, Woll-, Worsted-, Flachs- und Seifabriken
des Vereinigten Königreichs 1835 nur 354 684, während 1861 allein
die Zahl der Dampfweber (beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen vom
#474# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
8. Jahr an) 230 654 betrug. Allerdings erscheint dies Wachstum
minder groß, wenn man erwägt, daß die britischen Handbaumwollweber mit den von ihnen selbst beschäftigten Familien 1838 noch
800 000 zählten 230), ganz abemhn von den in Asien und auf dem
europäischen Kontinent verdrängten. In den wenigen Bemerkungen,
die über diesen Punkt noch zu machen, berühren wir zum Teil rein
tatsächlich Verhältnisse, wozu unsre theoretische Darstellung
selbst noch nicht geführt hat.
Solange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf Kosten des überlieferten Handwerks oder der Manufaktur ausdehnt,
sind seine Erfolge so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem
Zündnadelgewehr bewaffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschützen wäre. Diese erste Periode, worin die Maschine erst ihren
Wirkungskreis erobert, ist entscheidend wichtig wegen der außerordentlichen Profite, die sie produzieren hilft. Diese bilden
nicht nur an und für sich eine Quelle beschleunigter Akkumulation, sondern ziehen großen Teil des beständig neugebildeten und
nach neuer Anlage drängenden gesellschaftlichen Zusatzkapitals in
die begünstigte Produktionssphäre. Die besondren Vorteile der ersten Sturm- und Drangperiode wiederholen sich beständig in den
Produktionszweigen, worin die Maschinerie neu eingeführt wird.
Sobald aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und
bestimmten Reifegrad gewonnen hat, sobald namentlich seine eigne
technische Grundlage, die Maschinerie, selbst wieder durch Maschinen produziert wird, sobald Kohlen- und Eisengewinnung wie
die Verarbeitung der Metalle und das Transportwesen revolutioniert, überhaupt die der großen Industrie entsprechenden allgemeinen Produktionsbedingungen hergestellt sind, erwirbt diese Betriebsweise eine Elastizität, eine plötzliche sprungweise Ausdehnungsfähigkeit, die nur an dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt
Schranken findet. Die Maschinerie bewirkt einerseits direkte Vermehrung des Rohmaterials, wie z.B. der cotton gin die Baumwollproduktion vermehrte. 231) Andrerseits sind Wohlfeilheit des Maschinenprodukts und das umgewälzte Transport- und Kommunikationswegen
#475# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Waffen zur Erobrung fremder Märkte. Durch den Ruin ihres handwerksmäßigen Produkts verwandelt der Maschinenbetrieb sie zwangsweise in Produktionsfelder seines Rohmaterials. So wurde Ostindien zur Produktion von Baumwolle, Wolle, Hanf, Jute, Indigo usw.
für Großbritannien gezwungen. 232) Die beständige
"Überzähligmachung" der Arbeiter in den Ländern der großen Industrie befördert treibhausmäßige Auswandrung und Kolonisation
fremder Länder, die sich in Pflanzstätten für das Rohmaterial des
Mutterlands verwandeln, wie Australien z.B. in eine Pflanzstätte
von Wolle. 233) Es wird eine neue, den Hauptsitzen des Maschinenbetriebs entsprechende internationale Teilung der Arbeit geschaffen, die einen Teil des Erdballs in vorzugsweis agrikoles Produktionsfeld für den andern als vorzugsweis industrielles Produktionsfeld umwandelt. Diese Revolution hängt zusammen mit Umwälzungen in der Agrikultur, die hier noch nicht weiter zu erörtern
sind. 234)
#476# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Auf Antrieb des Herrn Gladstone verordnete das Haus der Gemeinen
am 18. Februar 1867 eine Statistik über sämtliche von 1831-1866
in das Vereinigte Königreich eingeführte und ausgeführte Kornfrucht, Getreide und Mehl aller Art. Ich gebe nachstehend das zusammenfassende Resultat. Das Mehl ist auf Quarters Korn reduziert. [125] (S. Tabelle auf Seite 419. 1*)) Die ungeheure, stoßweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und seine Abhängigkeit vom
Weltmarkt erzeugen notwendig fieberhafte Produktion und darauf
folgende Überfüllung der Märkte, mit deren Kontraktion Lähmung
eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation. Die Unsicherheit und Unstetigkeit,
denen der Maschinenbetrieb die Beschäftigung und damit die Lebenslage des Arbeiters unterwirft, werden normal mit diesem Periodenwechsel des industriellen Zyklus. Die Zeiten der Prosperität
abgerechnet, rast zwischen den Kapitalisten heftigster Kampf um
ihren individuellen Raumanteil am Markt. Dieser Anteil steht in
direktem Verhältnis zur Wohlfellheit des Produkts. Außer der
hierdurch erzeugten Rivalität im Gebrauch verbesserter, Arbeitskraft ersetzender Maschinerie und neuer Produktionsmethoden tritt
jedesmal ein Punkt ein, wo Verwohlfellerung der Ware durch gewaltsamen Druck des Arbeitslohnes unter den Wert der Arbeitskraft
erstrebt wird. 235)
#477# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Wachstum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch
proportionell viel raschres Wachstum des in den Fabriken angelegten Gesamtkapitals. Dieser Prozeß vollzieht sich aber nur innerhalb der Ebb- und Flutperioden des industriellen Zyklus. Er wird
zudem stets unterbrochen durch den technischen Fortschritt, der
Arbeiter bald virtuell ersetzt, bald faktisch verdrängt. Dieser
qualitative Wechsel im Maschinenbetrieb entfernt beständig Arbeiter aus der Fabrik oder verschließt ihr Tor dem neuen Rektutenstrom, während die bloß quantitative Ausdehnung der Fabriken neben den Herausgeworfnen frische Kontingente verschlingt. Die Arbeiter werden so fortwährend repelliert und attrahiert, hin- und
hergeschleudert, und dies bei beständigem Wechsel in Geschlecht,
Alter und Geschick der Angeworbnen.
Die Schicksale des Fabrikarbeiters werden am besten veranschaulicht durch raschen Überblick der Schicksale der englischen Baumwollindustrie. Von 1770 bis 1815 Baumwollindustrie gedrückt oder
stagnant 5 Jahre. Während dieser ersten 45jährigen Periode besaßen die englischen Fabrikanten das Monopol der Maschinerie und
des Weltmarkts. 1815 bis 1821 gedrückt, 1822 und 1823 prosperierend, 1824 Aufhebung der Koalitionsgesetze [126], allgemeine
große Ausdehnung der Fabriken, 1825 Krise; 1826 großes Elend und
Aufstände unter den Baumwollarbeitern; 1827 leise Beßrung, 1828
großer Anwachs von Dampfwebstühlen und Ausfuhr; 1829 übergipfelt
die Ausfuhr, besonders nach Indien, alle frühren Jahre; 1830
überfüllte Märkte, großer Notstand, 1831 bis 1833 fortdauernder
Druck; der Handel nach Ostasien (Indien und China) wird dem Monopol der Ostindischen Kompanie entzogen. 1834 großes Wachstum von
Fabriken
#478# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
und Maschinerie, Mangel an Händen. Das neue Armengesetz befördert
die Wandrung der Landarbeiter in die Fabrikdistrikte. Fegung der
ländlichen Grafschaften von Kindern. Weißer Sklavenhandel. 1835
große Prosperität. Gleichzeitige Tothungrung der Baumwollhandweber. 1836 große Prosperität. 1837 und 1838 gedruckter Zustand und
Krise. 1839 Wiederaufleben. 1840 große Depression, Aufstände,
Einschreiten des Militärs. 1841 und 1842 furchtbares Leiden der
Fabrikarbeiter. 1842 schließen die Fabrikanten die Hände von den
Fabriken aus, um den Widerruf der Korngesetze zu erzwingen. Die
Arbeiter strömen zu vielen Tausenden nach Yorkshire, vom Militär
zurückgetrieben, ihre Führer vor Gericht zu Lancaster gestellt.
1843 großes Elend. 1844 Wiederaufleben. 1845 große Prosperität.
1846 erst fortdauernder Aufschwung, dann Symptome der Reaktion.
Widerruf der Korngesetze. 1847 Krise. Allgemeine Herabsetzung der
Löhne um 10 und mehr Prozent zur Feier des "big loaf" [87]. 1848
fortdauernder Druck. Manchester unter militärischem Schutz. 1849
Wiederaufleben. 1850 Prosperität. 1851 fallende Warenpreise,
niedrige Löhne, häufige strikes. 1852 beginnende Verbeßrung.
Fortdauer der strikes, Fabrikanten drohn mit Import fremder Arbeiter. 1853 steigende Ausfuhr. Achtmonatlicher strike und großes
Elend zu Preston. 1854 Prosperität, Überfüllung der Märkte. 1855
Berichte von Bankerotten strömen ein aus den Vereinigten Staaten,
Kanada, ostasiatischen Märkten. 1856 große Prosperität. 1857
Krise. 1858 Verbeßrung. 1859 große Prosperität, Zunahme der Fabriken. 1860 Zenit der englischen Baumwollindustrie. Indische,
australische und andre Märkte so überführt, daß sie noch 1863
kaum den ganzen Quark absorbiert haben. Französischer Handelsvertrag. Enormes Wachstum von Fabriken und Maschinerie. 1861 Aufschwung dauert Zeitlang fort, Reaktion, Amerikanischer Bürgerkrieg, Baumwollnot. 1862 bis 1863 vollständiges Zusammenbruch.
Die Geschichte der Baumwollnot ist zu charakteristisch, um nicht
einen Augenblick dabei zu verweilen. Aus den Andeutungen der Zustände des Weltmarkts 1860 bis 1861 ersieht man, daß die Baumwollnot den Fabrikanten gelegen kam und zum Teil vorteilhaft war,
eine Tatsache, anerkannt in Berichten der Manchester Handelskammer, im Parlament proklamiert von Palmerston und Derby, durch die
Ereignisse bestätigt. 236) Allerdings gab es 1861 unter den 2887
Baumwollfabriken des Vereinigten Königreichs viel kleine. Nach
dem Bericht des Fabrikinspektors A. Redgrave, dessen Verwaltungsbezirk von jenen 2887 Fabriken 2109 einschließt,
#479# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Fünfjährige Perioden und Jahr 1866
1831-1835 1836-1840 1841-1845 1846-1850
Jährlicher Durchschnitt.
Import Qrs. 1096373 2389729 2843865 8776552
Jahresdurchschnitt.
Export Qrs. 225263 251770 139056 155461
Überschuß von Import
über Export der Durch-
schnittsjahre 871110 2137959 2704809 8621091
Population.
Jährliche Durchschnittszahl
in jeder Periode 24621107 25929507 27262569 27797598
Durchschnittsquantum
von Korn etc. in Qrs.,
jährlich verzehrt per
Individuum, bei gleicher
Teilung unter die Be-
völkerung, im Überschuß
über die heimische Pro-
duktion 0,036 0,082 0,099 0,310
1851-1855 1856-1860 1861-1865 1866
Jährlicher Durchschnitt.
Import Qrs. 8345237 10913612 15009871 16457340
Jahresdurchschnitt.
Export Qrs. 307491 341150 302754 216218
Überschuß von Import
über Export der Durch-
schnittsjahre 8037746 10572462 14707117 16241122
Population.
Jährliche Durchschnittszahl
in jeder Periode 27572923 28391544 29381760 29935404
Durchschnittsquantum
von Korn etc. in Qrs.,
jährlich verzehrt per
Individuum, bei gleicher
Teilung unter die Be-
völkerung, im Überschuß
über die heimische Pro-
duktion 0,291 0,372 0,501 0,543
#480# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
wendeten von letztren 392 oder 19% nur unter 10 Dampf-Pferdekraft
an, 345 oder 16% 10 und unter 20, 1372 dagegen 20 und mehr Pferdekraft. 237) Die Mehrzahl der kleinen Fabriken waren Webereien,
während der Prosperitätsperiode seit 1858 errichtet, meist durch
Spekulanten, wovon der eine das Garn, der andre die Maschinerie,
der dritte die Baulichkeit lieferte, unter dem Betrieb ehemaliger
overlookers oder andrer unbemittelter Leute. Diese kleinen Fabrikanten gingen meist unter. Dasselbe Schicksal hätte ihnen die
durch das Baumwollpech verhinderte Handelskrise bereitet. Obgleich sie 1/3 der Fabrikantenzahl bildeten, absorbierten ihre
Fabriken einen ungleich geringeren Teil des in der Baumwollindustrie angelegten Kapitals. Was den Umfang der Lähmung betrifft,
so standen nach den authentischen Schätzungen im Oktober 1862
60,3% der Spindeln und 58% der Wehstühle still. Dies bezieht sich
auf den ganzen Industriezweig und war natürlich sehr modifiziert
in den einzelnen Distrikten. Nur sehr wenige Fabriken arbeiteten
volle Zeit (60 Stunden per Woche), die übrigen mit Unterbrechungen. Selbst für die wenigen Arbeiter, die volle Zeit und zu dem
gewohnten Stücklohn beschäftigt, schmälerte sich notwendig der
Wochenlohn infolge der Ersetzung beßrer Baumwolle durch
schlechtre, der Sea Island durch ägyptische (in Feinspinnereien),
amerikanischer und tischer durch Surat (ostindisch) und reiner
Baumwolle durch Mischungen von Baumwollabfall mit Surat. Die
kürzre Fiber der Suratbaumwolle, ihre schmutzige Beschalffenheit,
die größre Brüchigkeit der Fäden, der Ersatz des Mehls durch alle
Art schwerer Ingredienzien beim Schlichten des Kettengarns usw.
verminderten die Geschwindigkeit der Maschinerie oder die Zahl
der Webstühle, die ein Weber überwachen konnte, vermehrten die
Arbeit mit den Irrtümern der Maschine und Schränkten mit der Produktenmasse den Stücklohn. Beim Gebrauch von Surat und mit voller
Beschäftigung belief sich der Verlust des Arbeiters auf 20, 30
und mehr Prozent. Die Mehrzahl der Fabrikanten setzte aber auch
die Rate des Stück lohns um 5, 7 1/2 und 10 Prozent herab. Man
reift daher die Lage der nur 3, 3 1/2, 4 Tage wöchentlich oder
nur 6 Stunden per Tag Beschäftigten. Nachdem schon eine relative
Verbeßrung eingetreten war, 1863, für Weber, Spinner usw. Wochenlöhne von 3 sh. 4 d., 3 sh. 10 d., 4 sh. 6 d., 5 sh. 1 d. usw.
238) Selbst unter diesen qualvollen Zuständen stand der Erfindungsgeist des Fabrikanten in Lohnabzügen nicht still. Diese wurden zum Teil verhängt als Strafe für die seiner schlechten Baumwolle, unpassenden
#481# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Maschinerie usw. geschuldeten Fehler des Machwerks. Wo der Fabrikant aber Eigentürner der cottages der Arbeiter, vergütete er
sich selbst für Hausrente durch Abzüge vom nominellen Arbeitslohn. Fabrikinspektor Redgrave erzählt von selfacting minders
(sie überwachen ein Paar selfacting mules), die
"am Ende vierzehntägiger voller Arbeit 8 sh. 11 d. verdienten,
und von dieser Summe wurde die Hausrente abgezogen, wovon der Fabrikant jedoch die Hälfte als Geschenk zurückgab, so daß die minders volle 6 sh. 11 d. nach Hause trugen. Der Wochenlohn der Weber rerte von 2 sh. 6 d. aufwärts während der Schlußzeit von
1862." 239)
Selbst dann wurde die Hausmiete von den Löhnen häufig abgezogen,
wenn die Hände nur kurze Zeit arbeiteten. 240) Kein Wunder, daß
in einigen Teilen Lancashires eine Art Hungerpest ausbracht Charakteristischer als alles dies aber war es, wie die Revolutionierung des Produktionsprozesses auf Kosten des Arbeiters vor sich
ging. Es waren förmliche experimenta in corpore vili 1*), wie die
der Anatomen an Fröschen.
"Obgleich ich", sagt Fabrikinspektor Redgrave, "die wirklichen
Einnahmen der Arbeiter in vielen Fabriken gegeben habe, muß man
nicht schließen, daß sie denselben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den größten Schwankungen wegen des
beständigen experimentierens (experimentalizing) der Fabrikanten... ihre Einkünfte steigen und fallen mit der Qualität des
Baumwollgemischs; bald nähern sie sich um 15% ihren frühren Einnahmen, und die nächste oder zweitfolgende Woche fallen sie um 50
bis 60%." 241)
Diese Experimente wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel
der Arbeiter gemacht. Mit allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu
büßen.
"Die im Öffnen der Baumwolle Beschäftigten unterrichten mich, daß
der unerträgliche Gestank sie übel macht... Den in den Misch-,
Scribbling- 2*) und Kardierräumen Angewandten irritiert der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen, erregt Husten und
Schwierigkeit des Atmens... Wegen der Kürze der Fiber wird dem
Garn beim Schlichten eine große Menge Stoff zugesetzt, und zwar
allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher
Übelkeit und Dyspepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen
des Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit infolge der Irritation der Haut durch den im Surat enthaltnen
Schmutz."
#482# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Andrerseits waren die Substitute des Mehls ein Fortunatussäckel
für die Herrn Fabrikanten durch Vermehrung des Garngewichts. Sie
machten "15 Pfund Rohmaterial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen."
242) In dem Bericht der Fabrikinspektoren vom 30. April 1864
liest man:
"Die Industrie verwertet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft unanständigem Maß. Ich weiß von guter Autorität, daß achtpfündiges
Geweb von 5 1/4 Pfund Baumwolle und 2 3/4 Pfund Schlichte gemacht
wird. Ein andres 5 1/2 pfündiges Geweb enthielt zwei Pfund
Schlichte. Dies waren ordinäre Shirtings 1*) für den Export. In
andren Arten wurden manchmal 50% Schlichte zugesetzt, so daß Fabrikanten sich rühmen können und sich auch wirklich rührnen, daß
sie reich werden durch den Verkauf von Geweben für weniger Geld,
als das nominell in ihnen enthaltne Garn kostet. 243)
Die Arbeiter aber hatten nicht nur unter den Experimenten der Fabrikanten in den Fabriken, und der Munizipalitäten außerhalb der
Fabriken, nicht nur von Lohnherabsetzung und Arbeitslosigkeit,
von Mangel und Almosen, von den Lobreden der Lords und Unterhäusler zu leiden.
"Unglückliche Frauenzimmer, beschäftigungslos infolge der Baumwollnet, wurden AuswürfIinge der Gesellschaft und blieben es...
Die Zahl junger Prostituierten hat mehr zugenommen als seit den
letzten 25 Jahren." 244)
Man findet also in den ersten 45 Jahren der britischen Baumwollindustrie, von 1770-1815, nur 5 Jahre der Krise und Stagnation,
aber dies war die Periode ihres Weltmonopols. Die zweite,
48jährige Periode von 1815 bis 1863 zählt nur 20 Jahre des Wiederauflebens und der Prosperität auf 28 Jahre des Drucks und der
Stagnation. Von 1815-1830 beginnt die Konkurrenz mit dem kontinentalen Europa und den Vereinigten Staaten. Seit 1833 wird Ausdehnung der asiatischen Märkte erzwungen durch Zerstörung der
Menschenrace". [127] Seit Widerruf der Korngesetze, von 1846 bis
1863, auf acht Jahre mittlerer Lebendigkeit und Prosperität 9
Jahre Druck und Stagnation. Die Lage der erwachsnen männlichen
Baumwollarbeiter, selbst während der Prosperitätszeit, zu beurteilen aus der gefügten Note. 245)
#483# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
8. Revolutionienmg von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit durch
die große Industrie
a) Aufhebung der auf Handwerk und Teilung der Arbeit beruhenden
Kooperation
Man hat gesehn, wie die Maschinerie die auf dem Handwerk beruhende Kooperation und die auf Teilung der handwerksmäßigen Arbeit
beruhende Manufaktur aufhebt. Ein Beispiel der ersten Art ist die
Mähmaschine, sie ersetzt die Kooperation von Mähern. Ein schlagendes Beispiel der zweiten Art ist die Maschine zur Fabrikation
von Nähnadeln. Nach Adam Smith verfertigten zu seiner Zeit 10
Männer durch Teilung der Arbeit täglich über 48 000 Nähnadeln.
Eine einzige Maschine liefert dagegen 145 000 in einem Arbeitstag
von 11 Stunden. Eine Frau oder ein Mädchen überwacht im Durchschnitt 4 solche Maschinen und produziert daher mit der Maschinerie täglich an 600 000, in der Woche über 3 000 000
#484# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Nähnadeln. 246) Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die
Stelle der Kooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst
wieder zur Grundlage handwerksmäßigen Betriebs werden. Indes bildet diese auf Maschinerie beruhende Reproduktion des Handwerkbetriebs nur den Übergang zum Fahrikbetrieb, der in der Regel jedesmal eintritt, sobald mechanische Triebkraft, Dampf oder Wasser, die menschlichen Muskeln in der Bewegung der Maschine ersetzt. Sporadisch und ebenfalls nur vorübergehend kann kleiner
Betrieb sich verbinden mit mechanischer Triebkraft durch Miete
des Dampfs, wie in einigen Manufakturen Birminghams, durch Gebrauch kleiner kalorischer Maschinent [114], wie in gewissen
Zweigen der Weberei usw. 247) In der Seidenweberei zu Coventry
entwickelte sich naturwüchsig das Experiment der "Cottage-Fabriken". In der Mitte von Cottage-Reihen, quadratmäßig gebaut, wurde
ein sog. Engine House 1*) errichtet für die Dampfmaschine und
diese durch Schäfte mit den Webstühlen in den cottages verbunden.
In allen Fällen war der Dampf gemietet, z.B. zu 2 1/2 sh. per
Webstuhl. Diese Dampfrente war wöchentlich zahlbar, die Webstühle
mochten laufen oder nicht. Jede cottage enthielt 2-6 Webstühle,
den Arbeitern gehörig, oder auf Kredit gekauft, oder gemietet.
Der Kampf zwischen der Cottage-Fabrik und der eigentlichen Fabrik
währte über 12 Jahre. Er hat geendet mit dem gänzlichen Ruin der
300 cottage factories. 248) Wo die Natur des Prozesses nicht von
vornherein Produktion auf großer Stufenleiter bedang, durchliefen
in der Regel die in den letzten Dezennien neu aufkommenden Industrien, wie z.B. Briefkuvert-, Stahlfedermachen usw., erst den
Handwerksbetrieb und dann den Manufakturbetrieb als kurzlebige
Übergangsphasen zum Fabrikbetrieb. Diese Metamorphose bleibt dort
am schwierigsten, wo die manufakturmäßige Produktion des Machwerks keine Stufenfolge von Entwicklungsprozessen, sondern eine
Vielheit disparater Prozesse einschließt. Dies bildete z.B. ein
großes Hindernis der Stahlfederfabrik. Jedoch wurde schon vor ungefähr anderthalb Dezennien ein Automat erfunden, der 6 disparate
Prozesse auf einen Schlag
#485# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
verrichtet. Das Handwerk lieferte die ersten 12 Dutzend Stahlfedern 1820 zu 7 Pfd. St. 4 sh., die Manufaktur lieferte sie 1830
zu 8 sh., und die Fabrik liefert sie heute dem Großhandel zu 2
bis 6 d. 249)
b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Hausarbeit
Mit der Entwicklung des Fabrikwesens und der sie begleitenden Umwälzung der Agrikultur dehnt sich nicht nur die Produktionsleiter
in allen andren Industriezweigen aus, sondern verändert sich auch
ihr Charakter. Das Prinzip des Maschinenbetriebs, den Produktionsprozeß in seine konstituierenden Phasen zu analysieren und die
so gegebnen Probleme durch Anwendung der Mechanik, Chemie usw.,
kurz der Naturwissenschaften zu lösen, wird überall bestimmend.
Maschinerie drängt sich daher bald für diesen, bald für jenen
Teilprozeß in die Manufakturen. Die feste Kristallisation ihrer
Gliederung, der alten Teilung der Arbeit entstammend, löst sich
damit auf und macht fortwährendem Wechsel Platz. Abgesehn hiervon
wird die Zusammensetzung des Gesamtarbeiters oder des kombinierten Arbeitspersonals von Grund aus umgewälzt. Im Gegensatz zur
Manufakturperiode gründet sich der Plan der Arbeitsteilung jetzt
auf Anwendung der Weiberarbeit, der Arbeit von Kindern aller Altersstufen, ungeschickter Arbeiter, wo es immer tubar, kurz der
"cheap labour", wohlfeilen Arbeit, wie der Engländer sie charakteristisch nennt. Dies gilt nicht nur für alle auf großer Stufenleiter kombinierte Produktion, ob sie Maschinerie anwende oder
nicht, sondern auch für die sog. Hausindustrie, ob ausgeübt in
den Privatwohnungen der Arbeiter oder in kleinen Werkstätten.
Diese sog. moderne Hausindustrie hat mit der altmodischen, die
unabhäng im städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirtschaft
und vor allem ein Haus der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts
gemein als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige
Departement der Fabrik, der Manufaktur oder des Warenmagazins.
Neben den Fabrikarbeitern, Manufakturarbeitern und Handwerkern,
die es in großen Massen räumlich konzentriert und direkt kommandiert, bewegt das Kapital durch unsichtbare
#486# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Fäden eine andre Armee in den großen Städten und über das flache
Land zerstreuter Hausarbeiter. Beispiel: die Hemdenfabrik der
Herren Tillie zu Londonderry, Irland, die 1000 Fabrikarbeiter und
9000 auf dem Land zerstreute Hausarbeiter beschäftigten. 250)
Die Exploitation wohlfeiler und unreifer Arbeitskräfte wird in
der modernen Manufaktur schamloser als in der eigentlichen Fabrik, weil die hier existierende technische Grundlage, Ersatz der
Muskelkraft durch Maschinen und Leichtigkeit der Arbeit, dort
großenteils wegfällt, zugleich der weibliche oder noch unreife
Körper den Einflüssen giftiger Substanzen usw. aufs gewissenloseste preisgegeben wird. Sie wird in der sog. Hausarbeit schamloser
als in der Manufaktur, weil die Widerstandsfähigkeit der Arbeiter
mit ihrer Zersplitterung abnimmt, eine ganze Reihe räuberischer
Parasiten sich zwischen den eigentlichen Arbeitgeber und den Arbeiter drängt, die Hausarbeit überall mit Maschinen- oder wenigstens Manufakturbetrieb in demselben Produktionszweig kämpft, die
Armut dem Arbeiter die nötigsten Arbeitsbedingungen, Raum, Licht,
Ventilation usw. raubt, die Unregelmäßigkeit der Beschäftigung
wächst und endlich in diesen letzten Zufluchtsstätten der durch
die große Industrie und Agrikultur "überzählig" Gemachten die Arbeiterkonkurrenz notwendig ihr Maximum erreicht. Die durch den
Maschinenbetrieb erst systematisch ausgebildete Ökonomisierung
der Produktionsmittel, von vornherein zugleich rücksichtsloseste
Verschwendung der Arbeitskraft und Raub an den normalen Voraussetzungen der Arbeitsfunktion, kehrt jetzt diese ihre antagonistische und menschenmörderische Seite um so mehr heraus, je weniger in einem Industriezweig die gesellschaftliche Produktivkraft
der Arbeit und die technische Grundlage kombinierter Arbeitsprozesse entwickelt sind.
c) Die moderne Manufaktur
Ich will nun an einigen Beispielen die oben aufgestellten Sätze
erläutern. Der Leser kennt in der Tat schon massenhafte Belege
aus dem Abschnitt über den Arbeitstag. Die Metallmanufakturen in
Birmingham und Umgegend wenden großenteils für sehr schwere Arbeit 30 000 Kinder und junge Personen nebst 10 000 Weibern an.
Man findet sie hier in den gesundheitswidrigen Gelbgießereien,
Knopffabriken, Glasur-, Galvanisierungs- und Lackierarbeiten.
251) Die Arbeitsexzesse für Erwachsne und
#487# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Unerwachsne haben verschiednen Londoner Zeitungs- und Buchdruckereien den rühmlichen Namen: "Das Schlachthaus" gesichert. 251a)
Dieselben Exzesse, deren Schlachtopfer hier namentlich Weiber,
Mädchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit für Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichterund andren chemischen Manufakturen; mörderischer Verbrauch von
Jungen in Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden,
zum Drehen der Webstühle. 252 Eine der infamsten, schmutzigsten
und schlechtbezahltesten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt werden, ist das Sortieren der Lumpen.
Man weiß, daß Großbritannien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für den Lumpenhandel der ganzen Welt
bildet. Sie strömen dahin von Japan, den entferntesten Staaten
Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre Hauptzufuhrquellen
aber sind Deutschland, Frankreich, Rußland, Italien, Ägypten,
Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabrikation
von Flocken (für Bettzeug), Shoddy (Kunstwolle) und als Rohmaterial des Papiers. Die weiblichen Lumpensortierer dienen als Medien, um Pocken und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer
sie selbst sind, zu kolportieren. 253) Als klassisches Beispiel
für Überarbeit, schwere und unpassende Arbeit, und daher folgende
Brutallsierung der von Kindesbeinen an konsumierten Arbeiter
kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion, die Ziegel- oder
Backsteinmacherei gelten, wozu in England die neuerfundene Maschine nur noch sporadisch angewandt wird (1866). Zwischen Mai
und September dauert die Arbeit von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr
abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4
Uhr morgens bis 9 Uhr abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr morgens
bis 7 Uhr abends gilt für "reduziert", "mäßig". Kinder beiderlei
Geschlechts werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie
arbeiten dieselbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die
Arbeit ist hart, und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu Mosley z. B. machte ein 24jähriges
Mädchen 2000 Ziegel täglich, unterstützt von zwei unerwachsnen
Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm trugen und die Ziegelsteine
aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täglich 10 Tonnen die
schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube
#488# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
von einer Tiefe von 30 Fuß herauf und über eine Entfernung von
210 Fuß.
"Es ist unmöglich für ein Kind, durch das Fegfeuer einer Ziegelei
zu passieren ohne große moralische Degradation... Die nichtswürdige Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu hören bekommen,
die unflätigen, unanständigen und schamlosen Gewohnheiten, unter
denen sie unwissend und verwildert aufwachsen, machen sie für die
spätre Lebenszeit gesetzlos, verworfen, liederlich... Eine
furchtbare Quelle der Demoralisation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (Former)" (der eigentlich geschickte Arbeiter
und Chef einer Arbeitergruppe) "liefert seiner Bande von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner
Familie gehörig oder nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in
der Hütte. Diese besteht gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3
Zimmern, alle auf dem Erdgeschoß, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so erschöpft durch die große Transpiration während des
Tags, daß weder Gesundheitsregeln, Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser Hütten sind wahre Modelle
von Unordnung, Schmutz und Staub... Das größte Übel des Systems,
welches junge Mädchen zu dieser Art Arbeit verwendet, besteht
darin, daß es sie in der Regel von Kindheit an für ihr ganzes
spätres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie werden
rohe, bösmäulige Buben (rough, foulmouthed boys), bevor die Natur
sie gelehrt hat, daß sie Weiber sind. Gekleidet in wenige schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblößt, Haar und Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Sittsamkeit und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit liegen sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres
Tagewerk endlich vollbracht, so ziehn sie beste Kleider an und
begleiten die Männer in Bierkneipen."
Daß die größte Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen
Klasse herrscht, ist nur naturgemäß.
"Das Schlimmste ist, daß die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der Bessern zum Kaplan von Southallfield, ebensowohl versuchen, den Teufel zu erheben und zu
bessern als einen Ziegler, mein Herr!" ("You ght as well try to
and improve the devil as a brickie, Sir!") 254)
Über die kapitalistische Ökonomisierung der Arbeitsbedingungen in
der modernen Manufaktur (worunter hier alle Werkstätten auf
großer Stufenleiter, au eigentlichen Fabriken, zu verstehn) findet man offizielles und reichlichstes Material in dem IV. (1861)
und VI. (1864) "Public Health Report". Die Beschreibung der
workshops (Arbeitslokale), namentlich der Londoner Drucker und
Schneider, überbietet die ekelhaftesten
254) "Child. Empl. Comm., V. Report", 1866, p. XVI-XVIII, n. 8697 und p. 130 bis 133, n. 39-71. Vgl. auch ib., III. Report,
1864, p. 48, 56.
#489# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Phantasien unsrer Romanschreiber. Die Wirkung auf den Gesundheitszustand der Arbeiter ist selbstverständlich. Dr. Simon, der
oberste ärzthche Beamte des Privy Council 1721 und offizielle
Herausgeber der "Public Health Reports", sagt u.a.:
"In meinem vierten Bericht" (1861) zeigte ich, wie es die Arbeiter praktisch unmöglich ist, darauf zu bestehen, was ihr erstes
Gesundheitsrecht ist, das Recht, daß, zu welchem Werk immer ihr
Anwender sie versammelt, die Arbeit, soweit es von ihm abhängt,
von allen vermeidbaren gesundheitswidrigen Umständen befreit sein
soll. Ich wies nach, daß, während die Arbeiter praktisch unfähig
sind, sich selbst diese Gesundheitstiz zu verschaffen, sie keinen
wirksamen Beistand von den bestellten Administratoren der Gesundheitspolizei erlangen können... Das Leben von Myriaden von Arbeitern und Arbeiterinnen wird jetzt nutzlos gefoltert und verkürzt
durch das endlose physische Leiden, welches ihre bloße Beschäftigung erzeugt." 255)
Zur Illustration des Einflusses der Arbeitslokale auf den Gesundhei zustand gibt Dr. Simon folgende Sterbhchkeitsliste:
Personenzahl aller Industrien ver- Sterblichkeitsrate auf
Altersstufen in glichen in be- 100000 Männer in den resp.
resp Industrien zug auf Gesund- Industrien zu den angege-
heit benen Altersstufen
25. bis 35. bis 45. bis
35. J. 45. J. 55. J.
Agrikult in England
958265 und Wales 743 805 1145
22301 Männer Lond. Schneider 958 1262 2093
12377 Weiber
13803 Lond. Drucker 894 1747 2367 256)
d) Die moderne Hausarbeit
Ich wende mich jetzt zur sog. Hausarbeit. Um sich eine Vorstellung von dieser auf dem Hintergrund der großen Industrie aufgebauten Exploitationssphäre des Kapitals und ihren Ungeheuerlichkeiten zu machen.
#490# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
betrachte man z.B. die scheinbar ganz idyllische, in einigen abgelegnen Dörfern Englands betriebne Nägelmacherei. 257) Hier genügen einige Beispiele aus den noch gar nicht maschinenmäßig betriebnen oder mit Maschinen- und Manufakturbetrieb 1*) konkurrierenden Zweigen der Spitzenfabrik und Strohflechterei. Von den
150 000 Personen, die in der englischen Spitzenproduktion beschäftigt, fallen ungefähr 10 000 unter die Botmäßigkeit des Fabrikakts von 1861. Die ungeheure Mehrzahl der übrigbleibenden
140 000 sind Weiber, junge Personen und Kinder beiderlei Geschlechts, obgleich das männliche Geschlecht nur schwach vertreten ist. Der Gesundheitszustand dieses "wohlfeilen" Exploitationsmaterials ergibt sich aus folgender Aufstellung des Dr. Trueman, Arzt beim General Dispensary von Nottingham. Von je 686 Patienten, Spitzenmacherinnen, meist zwischen dem 17. und 24. Jahr,
waren schwindsüchtig:
1852 1 auf 45, 1857 1 auf 13,
1853 1 auf 28, 1858 1 auf 15,
1854 1 auf 17, 1859 1 auf 9,
1855 1 auf 18, 1860 1 auf 8,
1856 1 auf 15, 1861 1 auf 8. 258)
Dieser Fortschritt in der Rate der Schwindsucht muß dem optimistischsten Fortschrittler und lügenfauchendsten deutschen Freihandelshausierburschen genügen.
Der Fabrikakt von 1861 regelt das eigentliche Machen der Spitzen,
soweit es durch Maschinerie geschieht, und dies ist die Regel in
England. Die Zweige, die wir hier kurz berücksichtigen, und zwar
nicht, soweit die Arbeiter in Manufakturen, Warenhäusern usw.
konzentriert, sondern nur sofern sie sog. Hausarbeiter sind, zerfallen 1. in das finishing (letztes Zurechtmachen der maschinenmäßig fabrizierten Spitzen, eine Kategorie, die wieder zahlreiche
Unterabtellungen einschließt), 2. Spitzenklöppeln.
Das Lace finishing wird als Hausarbeit betrieben entweder in sog.
"Mistresses Houses" oder von Weibern, einzeln oder mit ihren Kindern, in ihren Privatwohnungen. Die Weiber, welche die
"Mistresses Houses"
#491# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
halten, sind selbst arm. Das Arbeitslokal bildet Teil ihrer Privatwohnung. Sie erhalten Aufträge von Fabrikanten, Besitzern von
Warenmagazinen usw. und wenden Weiber, Mädchen und junge Kinder
an, je nach dem Umfang ihrer Zimmer und der fluktuierenden Nachfrage des Geschäfts. Die Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen
wechselt von 20 zu 40 in einigen, von 10 zu 20 in andren dieser
Lokale. Das durchschnittliche Minimalalter, worin Kinder beginnen, ist 6 Jahre, manche jedoch unter 5 Jahren. Die gewöhnliche
Arbeitszeit währt von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, mit 1 1/2
Stunden für Mahlzeiten, die unregelmäßig und oft in den stinkigen
Arbeitslöchern selbst genommen werden. Bei gutem Geschäft währt
die Arbeit oft von 8 Uhr (manchmal 6 Uhr) morgens bis 10, 11 oder
12 Uhr nachts. In englischen Kasernen beträgt der vorschriftsmäßige Raum für jeden Soldaten 5 Kubikfuß, in den Militärlazaretten
1200. In jenen Arbeitslöchern kommen 67-100 Kubikfuß auf jede
Person. Gleichzeitig verzehrt Gaslicht den Sauerstoff der Luft.
Um die Spitzen rein zu halten, müssen die Kinder oft die Schuhe
ausziehn, auch im Winter, obgleich das Estrich aus Pflaster oder
Ziegeln besteht.
"Es ist nichts Ungewöhnliches in Nottingham, 15 bis 20 Kinder in
einem kleinen Zimmer von vielleicht nicht mehr als 12 Fuß im
Qudrat zusammengepakelt zu finden, während 15 Stunden aus 24 beschäftigt an einer Arbeit, an sich selbst erschöpfend durch Überdruß und Monotonie, zudem unter allen nur möglichen gesundheitszerstörenden Umständen ausgeübt... Selbst die jüngsten Kinder arbeiten mit einer gespannten Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit,
die erstaunlich sind, fast niemals ihren Fingern Ruhe oder langsamre Bewegung gönnend. Richtet man Fragen an sie, so erheben sie
das Auge nicht von der Arbeit, aus Furcht, einen Moment zu verlieren."
Der "lange Stock" dient den "mistresses" als Anregungsmittel im
Verhältnis, worin die Arbeitszeit verlängert wird.
"Die Kinder ermüden allmählich und werden so rastlos wie Vögel
gegen das Ende ihrer langen Gebundenheit an eine Beschäftigung,
eintönig, für die Augen angreifend, erschöpfend durch die Einförmigkeit der Körperhaltung. Es ist wahres Sklavenwerk." ("Their
work is like slavery.") 259)
Wo Frauen mit ihren eignen Kindern zu Hause, d.h. im modernen
Sinn, in einem gemieteten Zimmer, häufig in einer Dachstube arbeiten, sind die Zustände womöglich noch schlimmer. Diese Art Arbeit wird 80 Meilen im Umkreis von Nottingham ausgegeben. Wenn
das in den Warenhäusern beschäftigte sind sie 9 oder 10 Uhr
abends verläßt, gibt
259) "Child. Empl. Comm., II. Report", 1864, p. XIX. XX, XXI.
#492# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
man ihm oft noch ein Bündel mit auf den Weg, um es zu Hause fertigzumachen. Der kapitalistische Pharisäer, vertreten durch einen
seiner Lohnknechte, tut das natürlich mit der salbungsvollen
Phrase: "das sei für Mutter", weiß aber sehr wohl, daß das arme
Kind aufsitzen und helfen muß. 260) Die Industrie des Spitzenklöppelns wird hauptsächlich in zwei englischen Agrikulturdistrikten betrieben, dem Honiton Spitzendistrikt, 20 bis 30 Meilen
längs der Südküste von Devonshire, mit Einschluß weniger Plätze
von Nord-Devon, und einem andren Distrikt, der großen Teil der
Grafschaften von Buckingham, Bedford, Northampton und die benachbarten Teile von Oxfordshire und Huntingdonshire umfaßt. Die cottages der Ackerbautaglöhner bilden durchschnittlich die Arbeitslokale. Manche Manufakturherrn wenden über 3000 dieser Hausarbeiter an, hauptsächlich Kinder und junge Personen, ausschließlich
weiblichen Geschlechts. Die beim Lace finishing beschriebnen Zustände wiederholen sich. Nur treten an die Stelle der "mistresses
houses" die sog. "lace schools" (Spitzenschulen), gehalten von
armen Weibern in ihren Hütten. Vom 5. Jahr an, manchmal jünger,
bis zum 12. oder 15. arbeiten die Kinder in diesen Schulen, während des ersten Jahres die jüngsten von 4 bis 8 Stunden, später
von 6 Uhr morgens bis 8 und 10 Uhr abends.
"Die Zimmer sind im allgemeinen gewöhnliche Wohnstuben kleiner
cottages, der Kamin zugestopft zur Abwehr von Luftzug, die Insassen manchmal auch im Winter nur von ihrer eignen animalischen
Wärme geheizt. In andren Fällen sind diese Schulzimmer kleinen
Vorratskammern ähnliche Räume, ohne Feuerplatz... Die Erfüllung
dieser Löcher und die dadurch bewirkte Luftverpestung sind oft
extrem. Dazu kommt die schädliche Wirkung von Gerinnen, Abtritten, verwesenden Stoffen und andrem Unrat, gewöhnlich in den Zugängen zu kleinren cottages."
Mit Bezug auf den Raum:
"In einer Spitzenschule 18 Mädchen und Meisterin, 33 Kubikfuß für
jede Person; in einer andren, wo unerträglicher Gestank, 18 Personen, per Kopf 24 1/2 Kubikfuß. Man findet in dieser Industrie
Kinder von 2 und 2 1/2 Jahren verwandt. - 261)
Wo das Spitzenklöppeln in den ländlichen Grafschaften von
Buckingham und Bedford aufhört, beginnt die Strohflechterei. Sie
erstreckt sich über großen Teil von Hertfordshire und die westlichen und nördlichen Teile von Essex. Es waren 1861 beschäftigt im
Strohflechten und Strohhutmachen 48 043 Personen, 3815 davon
männlichen Geschlechts aller Altersstufen, die
#493# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
andren weiblichen Geschlechts, und zwar 14 913 unter 20 Jahren,
davon an 7000 Kinder. An die Stelle der Spitzenschulen treten
hier die "straw plait schools" (Strohflechtschulen). Die Kinder
beginnen hier den Unterricht im Strohflechten gewöhnlich vom 4.,
manchmal zwischen dem 3. und 4. Jahr. Erziehung erhalten sie natürlich keine. Die Kinder selbst nennen die Elementarschulen
"natural schools" (natürliche Schulen) im Unterschied zu diesen
Blutaussaugungsanstalten, worin sie einfach an der Arbeit gehalten werden, um das von ihren halbverhungerten Müttern vorgeschriebne Machwerk, meist 30 Yards per Tag, zu verfertigen. Diese
Mütter lassen sie dann oft noch zu Haus bis 10, 11, 12 Uhr nachts
arbeiten. Das Stroh schneidet ihnen Finger und Mund, durch den
sie es beständig anfeuchten. Nach der von Dr. Ballard resümierten
Gesamtansicht der medizinischen Beamten Londons bilden 300 Kubikfuß den Minimalraum für jede Person in einem Schlaf- oder Arbeitszimmer. In den Strohflechtschulen ist der Raum aber noch
spärlicher zugemessen als in den Spitzenschulen, 12 2/3, 17, 18
1/2 und unter 22 Kubikfuß für jede Person.
"Die kleinren dieser Zahlen", sagt Kommissär White,
"repräsentieren weniger Raum als die Hälfte von dem, den ein Kind
einnehmen würde, wenn verpackt in eine Schachtel von 3 Fuß nach
allen Dimensionen."
Dies der Lebensgenuß der Kinder bis zum 12. oder 14. Jahr. Die
elenden, verkommenen Eltern sinnen nur darauf, aus den Kindern
soviel als möglich herauszuschlagen. Aufgewachsen fragen die Kinder natürlich keinen Deut nach den Eltern und verlassen sie.
"Es ist kein Wunder, daß Unwissenheit und Laster überströmen in
einer so aufgezüchteten Bevölkerung... Ihre Moral steht auf der
niedrigsten Stufe... Eine große Anzahl der Weiber hat illegitim
Kinder und manche in so unreifem Alter, daß selbst die Vertrauten
der Kriminalstatistik darüber erstarren." 262)
Und das Heimatsland dieser Musterfamilien ist, so sagt der sicher
im Christentum kompetente Graf Montalembert, Europas christliches
Musterland!
Der Arbeitslohn, in den eben behandelten Industriezweigen überhaupt jämmerlich (der ausnahmsweise Maximallohn der Kinder in den
Strohflechtschulen 3 sh.), wird noch tief unter seinen Nominalbetrag herabgedrückt durch das namentlich in den Spitzendistrikten
allgemein vorherrschende Trucksystem. 263)
262) l.c.p. XL, XLI.
263) "Child. Empl. Comm., I. Rep.", 1863, p. 185.
#494# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
e) Übergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur großen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung der Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen
Die VerwohIfeilerung der Arbeitskraft durch bloßen Mißbrauch
weiblicher und unreifer Arbeitskräfte, bloßen Raub aller normalen
Arbeits- und Lebensbedingungen und bloße Brutalität der Über- und
Nachtarbeit, stößt zuletzt auf gewisse nicht weiter überschreitbare Naturschranken, und mit ihr auch die auf diesen Grundlagen
beruhende Verwohlfeilerung der Waren und kapitalistische Exploitation überhaupt. Sobald dieser Punkt endlich erreicht ist,
und es dauert lange, schlägt die Stunde für Einführung der Maschinerie und die nun rasche Verwandlung der zersplitterten Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrikbetrieb.
Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion
von "Wearing Apparel" (zum Anzug gehörige Artikel). Nach der
Klassifikation der "Child. Empl. Comm." umfaßt diese Industrie
Strohhut- und Damenhutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners
und dressmakers 264), Hemdenmacher und Näherinnen, Korsetten-,
Handschuh-, Schuhmacher, nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von Halsbinden, Halskragen usw. Das in England und Wales in diesen Industrien beschäftigte weibliche Personal betrug
1861: 586 298, wovon mindestens 115 242 unter 20, 16 560 unter 15
Jahren. Zahl dieser Arbeiterinnen im Vereinigten Königreich
(1861): 750 334. Die Zahl der gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Handschuhmacherei und Schneiderei beschäftigten männlichen Arbeiter
in England und Wales: 437 969, wovon 14 964 unter 15 Jahren,
89 285 fünf zehn- bis zwanzigjährig, 333 117 über 20 Jahren. Es
fehlen in dieser Angabe viele hierher gehörige kleinere Zweige.
Nehmen wir aber die Zahlen, wie sie stehn, so ergibt sich für
England und Wales allein, nach dem Zensus von 1861, eine Summe
von 1 024 267 Personen, also ungefähr so viel, wie Ackerbau und
Viehzucht absorbieren. Man fängt an zu verstehn, wozu die Maschinerie so ungeheure Produktenmassen hervormubern und so ungeheure
Arbeitermassen "freisetzen" hilft.
Die Produktion des "Wearing Apparel" wird betrieben durch Manufakturen, welche in ihrem Innern nur die Teilung der Arbeit reproduzierten, deren membra disjecta sie fertig vorfanden; durch
kleinere Handwerksmeister,
#495# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
die aber nicht wie früher für individuelle Konsumenten, sondern
Manufakturen und Warenmagazine arbeiten, so daß oft ganze Städte
und Landstriche solche Zweige, wie Schusterei usw., als Spezialität ausüben; endlich im größten Umfang durch sog. Hausarbeiter,
welche das auswärtige Departement der Manufakturen, Warenmagazine
und selbst der kleineren Meister bilden. 265) Die Massen des Arbeitsstoffs, Rohstoffs, Halbfabrikate usw. liefert die große Industrie, die Masse des wohlfellen Menschenmaterials (taillable à
merci et miséricorde 1*)) besteht aus den durch die große Industrie und Agrikultur "Freigesetzten". Die Manufakturen dieser
Sphäre verdankten ihren Ursprung hauptsächlich dem Bedürfnis des
Kapitalisten, eine jeder Bewegung der Nachfrage entsprechende
schlagfertige Armee unter der Hand zu haben. 266) Diese Manufakturen ließen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmäßigen
und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die große Produktion von Mehrwert in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der
progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher Vegetation
nötigen Arbeitslohns, verbunden mit dem Maximum menschenmöglicher
Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit des in Ware verwandelten Menschenschweißes und Menschenbluts, welche den Absatzmarkt
beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und
Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die
Grundlage der alten Methode, bloß brutale Ausbeutung des Arbeitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitsteilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch
rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die
Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Näherei,
Hutmacherei usw. gleichmäßig ergreift, ist - die Nähmaschine.
#496# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller
Maschinerie, welche in der Periode der großen Industrie neue Geschäftszweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der Maschinenarbeiter steigt verhältnismäßig zu
dem der Hausarbeiter, wovon Viele zu "den Ärmsten der Armen"
("the poorest of the poor") gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine konkurriert, sinkt. Die
neuen Maschinenarbeiter sind ausschließlich Mädchen und junge
Frauen. Mit Hilfe der mechanischen Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus
leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Handarbeiter. Das greuliche Wachstum des Hungertods (death from starvation) in London
während des letzten Dezenniums läuft parallel mit der Ausdehnung
der Maschinennäherei. 267 Die neuen Arbeiterinnen der Nähmaschine, welche von ihnen mit Hand und Fuß oder mit der Hand allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, Größe und Spezialität
der Maschine, bewegt wird, verausgaben große Arbeitskraft. Ihre
Beschäftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Prozesses, obgleich er meist kürzer als im alten System. Überall, wo
die Nähmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen usw., ohnehin enge und überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie die
gesundheitswidrigen Einflüsse.
"Die Wirkung", sagt Kommissär Lord, "beim Eintritt in niedrig gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinenarbeiter zusammenwirken, ist unerträglich... Die Hitze, teilweis den Gasöfen zur
Wärmung der Bügeleisen geschuldet, ist schrecklich... Wenn selbst
in solchen Lokalen sog. mäßige Arbeitsstunden, d.h. von 8 Uhr
morgens bis 6 Uhr abends, vorherrschen, fallen dennoch jeden Tag
3 oder 4 Personen regelmäßig in Ohnmacht." 268)
Die Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise, dies notwendige Produkt der Umwandlung des Produktionsmittels, vollzieht
sich in einem bunten Wirrwarr von Übergangsformen. Sie wechseln
mit dem Umfang, worin, und der Zeitlänge, während welcher die
Nähmaschine den einen oder andren Industriezweig bereits ergriffen hat; mit der vorgefundnen
#497# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Lage der Arbeiter, dem Übergewicht des Manufaktur-, Handwerksoder Hausbetriebs, dem Mietpreis der Arbeitslokale 269) usw. In
der Putzmacherei z.B., wo die Arbeit meist schon organisiert war,
hauptsächlich durch einfache Kooperation, bildet die Nähmaschine
zunächst nur einen neuen Faktor des Manufakturbetriebs. In der
Schneiderei, Hemdenmacherei, Schusterei usw. durchkreuzen sich
alle Formen. Hier eigentlicher Fabrikbetrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das Rohmaterial vom Kapitalisten en chef und gruppieren in "Kammern" oder "Dachstuben" 10 bis 50 und noch mehr
Lohnarbeiter um Nähmaschinen. Endlich wie bei aller Maschinerie,
die kein gegliedertes System bildet, und im Zwergformat anwendbar
ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter, mit eigner Familie
oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen selbst gehörige Nähmaschinen. 270) Tatsächlich überwiegt jetzt in England
das System, daß der Kapitalist eine größre Maschinenanzahl in
seinen Baulichkeiten konzentriert und dann das Maschinenprodukt
zur weiteren Verarbeitung unter die Armee der Hausarbeiter vertellt. 271) Die Buntheit der Übergangsformen versteckt jedoch
nicht die Tendenz zur Verwandlung in eigentlichen Fabrikbetrieb.
Diese Tendenz wird genährt durch den Charakter der Nähmaschine
selbst, deren mannigfaltige Anwendbarkeit zur Vereinigung früher
getrennter Geschäftszweige in derselben Baulichkeit und unter dem
Kommando desselben Kapitals drängt; durch den Umstand, daß vorläufiges Nadelwerk und einige andre Operationen am geeignetsten
am Sitz der Maschine verrichtet werden; endlich durch die unvermeidliche Expropriation der Handwerker und Hausarbeiter, die mit
eignen Maschinen produzieren. Dies Fatum hat sie zum Teil schon
jetzt erreicht. Die stets wachsende Masse des in Nähmaschinen angelegten Kapitals 272) spornt die Produktion und erzeugt Marktstockungen, welche das Signal zum Verkauf der Nähmaschinen durch
die Hausarbeiter läuten. Die Überproduktion von solchen Maschinen
selbst zwingt ihre absatzbedürftigen Produzenten, sie auf wöchentliche
#498# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Miete zu verleihn, und schalfft damit eine für die kleinen Maschineneigner tödliche Konkurrenz. 273) Stets noch fortdauernde
Konstruktionswechsei und Verwohlfeilerung der Maschinen depreziieren ebenso beständig ihre alten Exemplare und lassen sie nur
noch massenhaft, zu Spottpreisen gekauft, in der Hand großer Kapitalisten, profitlich anwenden. Endlich gibt die Substitution
der Dampfmaschine für den Menschen, hier wie in allen ähnlichen
Umwälzungsprozessen, den Ausschlag. Die Anwendung der Dampfkraft
stößt im Anfang auf rein technische Hindernisse, wie Schütteln
der Maschinen, Schwierigkeit in der Beherrschung ihrer Geschwindigkeit, raschen Verderb der leichtern Maschinen usw., lauter
Hindernisse, welche die Erfahrung bald überwinden lehrt. 274)
Wenn einerseits die Konzentration vieler Arbeitsmaschinen in größren Manufakturen zur Anwendung der Dampfkraft treibt, beschleunigt andrerseits die Konkurrenz des Dampfes mit Menschenmuskeln
Konzentration von Arbeitern und Arbeitsmaschinen in großen Fabriken. So erlebt England gegenwärtig in der kolossalen Produktionssphäre des "Wearing Apparel", wie in den meisten übrigen Gewerken, die Umwg der Manufaktur, des Handwerks und der Hausarbeit in
Fabrikbetrieb, nachdem alle jene Formen, unter dem Einfluß der
großen Industrie gänzlich verändert, zersetzt, entstellt, bereits
längst alle Ungeheuerlichkeiten des Fabriksystems ohne seine positiven Entwicklungsmomente reproduziert und selbst übertrieben
hatten. 275)
Diese naturwüchsig vorgehende industrielle Revolution wird künstlich beschleunigt durch die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf alle
Industriezweige, worin Weiber, junge Personen und Kinder arbeiten. Die zwangsmäßige Regulation des Arbeitstags nach Länge, Pausen, Anfangs- und
273) l.c.p. 84, n. 124.
274) So im Armee-Kleidungsdepot zu Pimlico, Undon, in der Hemdenfabrik von Tillie und Henderson zu Londonderry. in der Kleiderfabrik der Firma Tait zu Limerick, die an 1200 "Hände" vernutzt.
275) "Die Tendenz zum Fabriksystem." l.c.p. LXVII.) "Das ganze
Gewerbe befindet sich jetzt in einem Übergangsstadium und macht
die gleichen Veränderungen durch, die auch die Spitzenindustrie,
die Weberei usw., durchgemacht haben." (l.c., n. 405.) "Eine völlige Revolution." (l.c.p. XLVI, n. 318.) Zur Zeit der "Child.
Empl. Comm." von 1840 war die Strumpfwirkerei noch Handarbeit.
Seit 1846 wurde verschiedenartige Maschinerie eingeführt, jetzt
durch Dampf getrieben. Die Gesamtzahl der in der englischen
Strumpfwirkerei beschäftigten Personen beiderlei Geschlechts und
aller Altersstufen vom 3. Jahr an betrug 1862 ungefähr 120000
Personen. Davon, nach Parliamentary Return vom 11. Februar, 1862
doch nur 4063 unter der Botmäßigkeit des Fabrikakts.
#499# 13. Kapitel - Muchine und große Industrie
Endpunkt, das System der Ablösung für Kinder, der Ausschluß aller
Kinder unter einem gewissen Alter usw. ernötigen einerseits vermehrte Maschinerie 276) und Ersatz von Muskeln durch Dampf als
Triebkraft. 277) Andrerseits, um im Raum zu gewinnen, was in der
Zeit verlorengeht, findet Streckung der gemeinschaftlich vernutzten Produktionsmittel statt, der Öfen, Baulichkeiten usw., also
in einem Wort größre Konzentration der Piroduktionsmittel und
entsprechende größre Konglomeration von Arbeitern. Der leidenschaftlich wiederholte Haupteinwand jeder mit dem Fabrikgesetz
bedrohten Manufaktur ist in der Tat die Notwendigkeit größrer Kapitalauslage, um das Geschäft in seinem alten Umfang fortzufahren. Was aber die Zwischenformen zwischen Manufaktur und Hausarbeit und letztre selbst betrifft, so versinkt ihr Boden mit der
Schranke des Arbeitstags und der Kinderarbeit. Schrankenlose Ausbeutung wohlfeiler Arbeitskräfte bildet die einzige Grundlage ihrer Konkurrenzfähigkeit.
Wesentliche Bedingung des Fabrikbetriebs, namentlich sobald er
der Regulation des Arbeitstags unterliegt, ist normale Sicherheit
des Resultats, d.h. Produktion eines bestimmten Quantums Ware
oder eines bezweckten Nutzeffekts in gegebnem Zeitraum. Die gesetzlichen Pausen des regulierten Arbeitstags unterstellen ferner
plötzlichen und periodischen Stillstand der Arbeit ohne Schaden
für das im Produktionsprozeß befindliche Machwerk. Diese Sicherheit des Resultats und Unterbrechungsfähigkeit der Arbeit sind
natürlich in rein mechanischen Gewerken leichter erzielbar als
dort, wo chemische und physikalische Prozesse eine Rolle spielen,
wie z.B. in Töpferei, Bleicherei, Färberei, Bäckerei, den meisten
Metallmanufakturen. Mit dem Schlendrian des unbeschränkten Arbeitstags, der Nachtarbeit und freier Menschenverwüstung gilt jedes naturwüchsige Hindernis bald für eine ewige "Naturschranke"
der Produktion. Kein Gift vertilgt Ungeziefer sichrer als das Fabrikgesetz solche "Naturschranken". Niemand schrie lauter über
"Unmöglichkeiten" als die Herren von der Töpferei. 1864 wurde ihnen
#500# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
das Fabrikgesetz oktroyiert, und alle Unmöglichkeiten waren schon
16 Monate später verschwunden. Die durch das Fabrikgesetz hervorgerufne
"verbesserte Methode, Töpferbrei (slip) durch Druck statt durch
Verdunstung zu machen, die neue Konstruktion der Öfen zum Trocknen der ungebrannten Ware usw. sind Ereignisse von großer Wichtigkeit in der Kunst der Töpferei und bezeichnen einen Fortschritt derselben, wie ihn das letzte Jahrhundert nicht aufweisen
kann... Die Temperatur der Öfen ist beträchtlich vermindert, bei
beträchtlicher Abnahme im Kohlenkonsum und raschrer Wirkung auf
die Ware." 278)
Trotz aller Prophezeiung stieg nicht der Kostenpreis des Erdenguts, wohl aber die Produktenmasse, so daß die Ausfuhr der 12 Monate von Dezember 1864 bis Dezember 1865 einen Wertüberschuß von
138 628 Pfd.St. über den Durchschnitt der drei vorigen Jahre ergab. In der Fabrikation von Zündhölzern galt es als Naturgesetz,
daß Jungen, selbst während der Herunterwürgung ihres Mittagsmahls, die Hölzer in eine warme Phosphorkomposition tunkten, deren giftiger Dampf ihnen in das Gesicht stieg. Mit der Notwendigkeit, Zeit zu ökonomisieren, erzwang der Fabrikakt (1864) eine
"dipping machine" (Eintauchungsmaschine), deren Dämpfe den Arbeiter nicht erreichen können. 279) So wird jetzt in den noch nicht
dem Fabrikgesetz unterworfnen Zweigen der Spitzenmanufaktur behauptet, die Mahlzeiten könnten nicht regelmäßig sein, wegen der
verschiednen Zeit, längen, die verschiedne Spitzenmaterialien zur
Trocknung brauchen, und die von 3 Minuten auf eine Stunde und
mehr variieren. Hierauf antworten die Kommissäre der "Children's
Employment Comm.":
"Die Umstände sind dieselben wie in der Tapetendruckerei. Einige
der Hauptfabrikanten in diesem Zweig machten lebhaft geltend, die
Natur der verwandten Materialien und die Verschiedenartigkeit der
Prozesse, die sie durchlaufen, erlaubten ohne großen Verlust
keine plötzliche Stillsetzung der Arbeit für Mahlzeiten... Durch
die 6. Klausel der 6. Sektion des Factory Acts Extension Act 1*)"
(1864) "ward ihnen eine achtzehnmonatliche Frist vom Erlassungsdatum des Akts an eingeräumt, nach deren Ablauf sie sich den
durch den Fabrikakt spezifizierten Erfrischungspausen fügen müßten." 280)
#501# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Kaum hatte das Gesetz parlamentarische Sanktion erhalten, als die
Herrn Fabrikanten auch entdeckten:
"Die Mißstände, die wir von der Einführung des Fabrikgesetzes erwarteten, sind nicht eingetreten. Wir finden nicht, daß die Produktion irgendwie gelähmt ist. In der Tat, wir produzieren mehr
in derselben Zeit." 281)
Man sieht, das englische Parlament, dem sicher niemand Genialität
vorwerfen wird, ist durch Erfahrung zur Einsicht gelangt, daß ein
Zwangsgesetz alle sog. Naturhindernisse der Produktion gegen Beschränkung und Reglung des Arbeitstags einfach wegdiktieren kann.
Bei Einführung des Fabrikakts in einem Industriezweig wird daher
ein Ten von 6 bis 18 Monaten gestellt, innerhalb dessen es Sache
des Fabrikanten ist, die technischen Hindernisse wegzuräumen. Mirabeaus "Impossible? Ne me dites jamais ce bête de mot!" 1*) gilt
namentlich für die moderne Technologie. Wenn aber das Fabrikgesetz so die zur Verwandlung des Manufakturbetriebs in Fabrikbetrieb notwendigen materiellen Elemente treibhausmäßig reift, beschleunigt es zugleich durch die Notwendigkeit vergrößerter Kapitalauslage den Untergang der kleineren Meister und die Konzentration des Kapitals. 282)
Abgesehn von den rein technischen und technisch beseitbaren Hindernissen stößt die Regulation des Arbeitstags auf unregelmäßige
Gewohnheiten der Arbeiter selbst, namentlich wo Stücklohn vorherrscht und Verbummlung der Zeit in einem Tages- oder Wochenabschnitt durch nachträgliche Überarbeit oder Nachtarbeit gutgemacht werden kann, eine Methode, die den erwachsnen Arbeiter brutallsiert, seine unreifen und weiblichen Genossen ruiniert. 283)
Obgleich diese Regellosigkeit in Verausgabung
#502# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
der Arbeitskraft eine naturwüchsige rohe Reaktion gegen die Langweile monotoner Arbeitsplackerei ist, entspringt sie jedoch in
ungleich höherem Grad aus der Anarchie der Produktion selbst, die
ihrerseits wieder ungezügelte Exploitation der Arbeitskraft durch
das Kapital voraussetzt. Neben die allgemeinen periodischen Wechselfälle des industriellen Zyklus und die besondren Marktschwankungen in jedem Produktionszweig treten namentlich die sog. Saison, beruhe sie nun auf Periodizität der Schiffahrt günstiger
Jahreszeiten oder auf der Mode, und die Plötzlichkeit großer und
in kürzester Frist auszuführender Ordres. Die Gewohnheit der
letztern dehnt sich mit Eisenbahnen und Telegraphie aus.
"Die Ausdehnung des Eisenbahnsystems", sagt z.B. ein Londoner Fabrikant "durch das ganze Land hat die Gewohnheit kurzer Ordres
sehr gefördert. Käufer kommen jetzt von Glasgow, Manchester und
Edinburgh einmal in 14 Tagen oder für den Engroskauf zu den CityWarenhäusern, denen wir die Waren liefern. Sie geben Ordres, die
unmittelbar ausgeführt werden müssen, statt vom Lager zu kaufen,
wie es Gewohnheit war. In frühren Jahren waren wir stets fähig,
während der schlaffen Zeit für die Nachfrage der nächsten Saison
vorauszuarbeiten, aber jetzt kann niemand vorhersagen, was dann
in Nachfrage sein wird."
In den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Fabriken und Manufakturen herrscht periodisch die furchtbarste Überarbeit während der sog. Saison, stoßweis infolge plötzlicher Ordres. Im
auswärtigen Departement der Fabrik, der Manufaktur und des Warenmagazins, in der Sphäre der Hausarbeit, ohnehin durchaus unregelmäßig, für ihr Rohmaterial und ihre Ordres ganz abhängig von den
Launen des Kapitalisten, den hier keine Rücksicht auf Verwertung
von Baulichkeiten, Maschinen usw. bindet und der hier nichts riskiert als die Haut der Arbeiter selbst, wird so systematisch eine
stets disponible, industrielle Reservearmee großgezüchtet, dezimiert während eines Teils des Jahrs durch unmenschlichsten Arbeitszwang, während des andren Teils verlumpt durch Arbeitsmangel.
"Die Anwender", wie die "Child. Empl. Comm.", exploitieren die
gewohnheitsmäßige Unregelmäßigkeit der Hausarbeit, um sie in Zeiten, wo Extrawerk nötig, bis
#503# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
11, 12, 2 Uhr nachts, in der Tat, wie die stehende Phrase lautet,
auf alle Stunden hinaufzuforcieren", und dies in Lokalen, wo der
Gestank hinreicht, euch niederzuschmettern (the stench is enough
to knock you down). Ihr geht vielleicht bis an die Tür und öffnet
sie, aber schaudert zurück von weitrem Vorgehn." 285) "Es sind
komische Käuze, unsre Anwender", sagt einer der verhörten Zeugen,
ein Schuster, "sie glauben, es tue einem Jungen keinen Harm, wenn
er während eines halben Jahrs totgerackert und während der andren
Hälfte fast gezwungen wird, herumzuludern." 286)
Wie die technischen Hindernisse, so wurden und werden diese sog.
"Geschäftsgewohnheiten" ("usages which have grown with the growth
of trade") von interessierten Kapitalisten als "Naturschranken"
der Produktion behauptet, ein Leblingsschrei dies der BaumwollLords zur Zeit, als das Fabrikgesetz sie zuerst bedrohte. Obgleich ihre Industrie mehr als jede andre auf dem Weltmarkt und
daher der Schiffahrt beruht, strafte die Erfahrung sie Lügen.
Seitdem wird jedes angebliche "Geschäftshindernis" von den englischen Fabrikinspektoren als hohle Flause behandelt. 287) Die
gründlich gewissenhaften Untersuchungen der "Child. Empl. Comm."
beweisen in der Tat, daß in einigen Industrien die bereits angewandte Arbeitsmasse nur gleichmäßiger über das ganze Jahr verteilt würde durch die Regulation des Arbeitstags 288), daß letztre der erste rationelle Zügel für die menschenmörderischen, inhaltlosen und an sich dem System der großen Industrie unangemeßnen Flatterlaunen der Mode 289), daß die Entwicklung
#504# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
der ozeanischen Schiffahrt und der Kommunikationsmittel überhaupt
den eigentlich technischen Grund der Saisonarbeit aufgehoben hat
290), daß alle andren angeblich unkontrollierbaren Umstände weggeräumt werden durch weitere Baulichkeiten, zusätzliche Maschinerie, vermehrte Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter
291) und von selbst folgenden Rückschlag auf das System des Großhandels. 292) Jedoch versteht sich das Kapital, wie es wiederholt
durch den Mund seiner Repräsentanten erklärt, zu solcher Umwälzung nur unter dem Druck eines allgemeinen Parlamentsakts 293),
der den Arbeitstag zwangsgesetzlich reguliert.
#505# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Bevor wir zu ihrer Verallgemeinerung in England übergehn, sind
noch einige nicht auf die Stundenzahl des Arbeitstags bezügliche
Klauseln des englischen Fabrikakts kurz zu erwähnen.
Abgesehn von ihrer Redaktion, welche dem Kapitalisten ihre Umgehung erleichtert, sind die Gesundheitsklauseln äußerst mager, in
der Tat beschränkt auf Vorschriften für Weißen der Wände und einige sonstige Reinlichkeitsmaßregeln, Ventilation und Schutz gegen gefährliche Maschinerie. Wir kommen im Dritten Buch auf den
fanatischen Kampf der Fabrikanten gegen die Klausel zurück, die
ihnen eine geringe Ausgabe zum Schutz der Gliedmaßen ihrer
"Hände" aufoktroyiert. Hier bewährt sich wieder glänzend das
Freihandelsdogma, daß in einer Gesellschaft antagonistischer Interessen jeder das Gemeinwohl durch Verfolgung seines Eigennutzes
fördert. Ein Beispiel genügt. Man weiß, daß sich während der
letztverfloßnen zwanzigjährigen Periode die Flachsindustrie und
mit ihr die scutching mills (Fabriken zum Schlagen und Brechen
des Flachses) in Irland sehr vermehrt haben. Es gab dort 1864 an
1800 dieser mills. Periodisch im Herbst und Winter werden hauptsächlich junge Personen und Weiber, die Söhne, Töchter und Frauen
der benachbarten kleinen Pächter, lauter mit Maschinerie ganz unbekannte Leute, von der Feldarbeit weggeholt, um die Walzwerke
der scutching mills mit Flachs zu füttern. Die Unfälle sind nach
Umfang und Intensität gänzlich beispiellos in der Geschichte der
Maschinerie. Eine einzige scutching mill zu Kildinan (bei Cork)
zählte von 1852 bis 1856 sechs Todesfälle und 60 schwere Verstümmlungen, welchen allen durch die einfachsten Anstalten, zum
Preis von wenigen Schillingen, vorgebeugt werden konnte. Dr. W.
White, der certifying surgeon der Fabriken zu Downpatrick, erlklärt in einem offiziellen Bericht vom 16. Dezember 1865:
"Die Unfälle in scutching mills sind furchtbarster Art. In vielen
Fällen wird ein Vierteil des Körpers vom Rumpfe gerissen. Tod
oder eine Zukunft elenden Unvermögens und Leidens sind gewöhnliche Folgen der Wunden. Die Zunahme der Fabriken in diesem Lande
wird natürlich diese schauderhaften Resultate ausdehnen. Ich bin
überzeugt, daß durch geeignete Staatsüberwachung der scutching
mills große Opfer von Leib und Leben zu vermeiden sind." 294)
Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats
wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen
aufzuherrschen?
#506# IV. Abschnitt - Die Produktion den relativen Mehrwerts
"Der Fabrikakt von 1864 hat in den Töpfereien über 200 Werkstätten geweißt und gereinigt, nach zwanzigjähriger oder gänzlicher
Enthaltung von jeder solchen Operation" (dies ist die "Abstinenz"
des Kapitals!), in Plätzen, wo 27878 Arbeiter beschäftigt sind
und bisher, während übermäßiger Tages-, oft Nachtarbeit, eine mefitische Atmosphäre einatmeten, welche eine sonst vergleichungsweis harmlose Beschäftigung Krankheit und Tod schwängerte. Der
Akt hat die Ventilationsmittel sehr vermehrt." 295)
Zugleich zeigt dieser Zweig des Fabrikakts schlagend, wie die kapitalistische Produktionsweise ihrem Wesen nach über einen gewissen Punkt hinaus jede rationelle Verbeßrung ausschließt. Es ward
wiederholt bemerkt, daß die englischen Ärzte aus einem Munde 500
Kubikfuß Luftraum per Person für kaum genügendes Minimum bei
fortgesetzter Arbeit erklären. Nun wohl! Wenn der Fabrikakt indirekt durch alle seine Zwangsmaßregeln die Verwandlung kleinerer
Werkstätten in Fabriken beschleunigt, daher indirekt in das Eigentumsrecht der kleineren Kapitalisten eingreift und den großen
das Monopol sichert, so würde die gesetzliche Aufherrschung des
nötigen Luftraums für jeden Arbeiter in der Werkstätte Tausende
von kleinen Kapitalisten nut einem Schlag direkt expropriieren!
Sie würde die Wurzel der kapitalistischen Produktionsweise angreifen, d.h. die Selbstverwertung des Kapitals, ob groß oder
klein, durch "freien" Ankauf und Konsum der Arbeitskraft. Vor
diesen 500 Kubikfuß Luft geht daher der Fabrikgesetzgebung der
Atem aus. Die Gesundheitsbehörden, die industriellen Untersuchungskommissionen, die Fabrikinspektoren wiederholen wieder und
wieder die Notwendigkeit der 500 Kubikfuß und die Unmöglichkeit,
sie dem Kapital aufzuoktroyleren. Sie erklären so in der Tat
Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten der Arbeit für eine Lebensbedingung des Kapitals. 296)
Armselig, wie die Erziehungsklauseln des Fabrikakts im ganzen erscheinen, proklamieren sie den Elementarunterricht als Zwangsbedingung
#507# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
der Arbeit. 297) Ihr Erfolg bewies zuerst die Möglichkeit der
Verbindung von Unterricht und Gymnastik 298) mit Handarbeit, also
auch von Handarbeit rmt Unterricht und Gymnastik. Die Fabrikinspektoren entdeckten bald aus den Zeugenverhören der Schulmeister, daß die Fabrikkinder, obgleich sie nur halb soviel Unterricht genießen als die regelmäßigen Tagesschüler, ebensoviel und
oft mehr lernen.
"Die Sache ist einfach. Diejenigen, die sich nur einen halben Tag
in der Schule aufhalten, sind stets frisch und fast immer fähig
und willig, Unterricht zu empfangen. Das System halber Arbeit und
halber Schule macht jede der beiden Beschäftigungen zur Ausruhung
und Erholung von der andren und folglich viel angemeßner für das
Kind als die ununterbrochne Fortdauer einer von beiden. Ein
Junge, der von morgens früh in der Schule sitzt, und nun gar bei
heißem Wetter, kann unmöglich mit einem andren wetteifern, der
munter und aufgeweckt von seiner Arbeit kommt." 299)
Weitere Belege findet man in Seniors Rede auf dem soziologischen
Kongreß zu Edinburgh 1863. Er zeigt hier auch u.a. noch, wie der
einseitige un produktive und verlängerte Schultag der Kinder der
höhern und mittlern Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos vermehrt, während er Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder nicht
nur fruchtlos, sondern absolut schädlich verwüstet" 300). Aus dem
Fabriksystem, wie man im Detail bei Robert Owen
#508# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
verfolgen kann, entsproß der Keim der Erziehung der Zukunft, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit
mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine
Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern
als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter
Menschen.
Man hat gesehn, daß die große Industrie die manufakturmäßige Teilung der Arbeit mit ihrer lebenslänglichen Annexion eines ganzen
Menschen an eine Detailoperation technisch aufhebt, während
zugleich die kapitalistische Form der großen Industrie jene Arbeitsteilung noch monströser reproduziert, in der eigentlichen
Fabrik durch Verwandlung des Arbeiters in den selbstbewußten Zubehör einer Teilmaschine, überall sonst teils durch sporadischen
Gebrauch der Maschinen und der Maschinenarbeit 301), teils durch
Einführung von Weiber-, Kinder- und ungeschickter Arbeit als
neuer Grundlage der Arbeitsteilung. Der Widerspruch zwischen der
manufakturmäßigen Teilung der Arbeit und dem Wesen der großen Industrie macht sich gewaltsam geltend. Er erscheint u.a. in der
furchtbaren Tatsache, daß ein großer Teil der in den modernen Fabriken und Manufakturen beschäftigten Kinder, vom zartesten Alter
festgeschmiedet an die einfachsten Manipulationen, jahrelang exploitiert wird, ohne Erlernung
#509# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
irgendeiner Arbeit, die sie später auch nur in derselben Manufaktur oder Fabrik brauchbar machte. In den englischen Buchdruckereien z.B. fand früher ein dem System der alten Manufaktur und
des Handwerks entsprechender Übergang der Lehrlinge von leichtren
zu inhaltsvollren Arbeiten statt. Sie machten einen Lerngang
durch, bis sie fertige Drucker waren. Lesen und schreiben zu können war für alle ein Handwerkserfordernis. Alles das änderte sich
mit der Druckmaschine. Sie verwendet zwei Sorten von Arbeitern,
einen erwachsnen Arbeiter, den Maschinenaufseher, und Maschinenjungen, meist von 11-17 Jahren, deren Geschäft ausschließlich
darin besteht, einen Bogen Papier der Maschine zu unterbreiten
oder ihr den gedruckten Bogen zu entziehen. Sie verrichten, in
London namentlich, diese Plackerei 14, 15, 16 Stunden ununterbrochen während einiger Tage in der Woche und oft 36 Stunden nacheinander mit nur zwei Stunden Rast für Mahlzeit und Schlaf! 302)
Ein großer Teil von ihnen kann nicht lesen, und sie sind in der
Regel ganz verwilderte, abnorme Geschöpfe.
"Um sie zu ihrem Werk zu befähigen, ist keine intellektuelle Ziehung irgendeiner Art nötig; sie haben wenig Gelegenheit für Geschick und noch weniger für Urteil-, ihr Lohn, obgleich gewissermaßen hoch für Jungen, wächst nicht verhältnismäßig, wie sie
selbst heranwachsen, und die große Mehrzahl hat keine Aussicht
auf den einträglicheren und verantwortlicheren Posten des Maschinenaufschers, weil auf jede Maschine nur ein Aufseher und oft 4
Jungen kommen." 303)
Sobald sie zu alt für ihre kindische Arbeit werden, also wenigstens im 17. Jahr, entläßt man sie aus der Druckerei. Sie werden
Rekruten des Verbrechens. Einige Versuche, ihnen anderswo Beschäftigung zu verschaffen, scheiterten an ihrer Unwissenheit,
Roheit, körperlichen und geistigen Verkommenheit.
Was von der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit im Innern der
Werkstatt, gilt von der Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Solange Handwerk und Manufaktur die allgemeine Grundlage
der gesellschaftlichen Produktion bilden, ist die Subsumtion des
Produzenten unter einen ausschließlichen Produktionszweig, die
Zerreißung der ursprünglichen Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungen 304), ein notwendiges Entwicklungsmoment.
#510# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Auf jener Grundlage findet jeder besondre Produktionszweig empirisch die ihm entsprechende technische Gestalt, vervollkommnet
sie langsam und kristallisiert sie rasch, sobald ein gewisser
Reifegrad erlangt ist. Was hier und da Wechsel hervorruft, ist
außer neuem Arbeitsstoff, den der Handel liefert, die allmähliche
Änderung des Arbeitsinstruments. Die erfahrungsmäßig entsprechende Form einmal gewonnen, verknöchert auch es, wie sein oft
jahrtausendlanger rgang aus der Hand einer Generation in die der
andren beweist. Es ist charakteristisch, daß bis ins 18. Jahrhundert hinein die besondren Gewerke mysteries (mystères) 305) hießen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Eingeweihte eindringen konnte. Die große Industrie zerriß den
Schleier, der den Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsprozeß versteckte und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegeneinander und sogar dem in jedem
Zweig Eingeweihten zu Rätseln machte. Ihr Prinzip, jeden Produktionsprozeß, an und für sich und zunächst ohne alle Rücksicht auf
die menschliche Hand, in seine konstituierenden Elemente aufzulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die
buntscheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknöcherten
Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich
auf in bewußt planmäßige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt
systematisch besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft. Die
Technologie entdeckte ebenso die wenigen großen Grundformen der
Bewegung, worin alles produktive Tun des menschlichen Körpers,
trotz aller Mannigfaltigkeit der angewandten Instrumente, notwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik durch die größte Komplikation der Maschinerie sich über die beständige Wiederholung der
einfachen mechanischen Potenzen nicht täuschen läßt. Die moderne
Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines
#511# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technische Basis ist
daher revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen
wesentlich konservativ war. 306) Durch Maschinerie, chemische
Prozesse und andre Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und
die gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. Sie
revolutioniert damit ebenso beständig die Teilung der Arbeit im
Innern der Gesellschaft und schleudert unaufhörlich Kapitalmassen
und Arbeitermassen aus einem Produktionszweig in den andern. Die
Natur der großen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluß
der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters. Andrerseits
reproduziert sie in ihrer kapitalistischen Form die alte Teilung
der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitäten. Man hat gesehn,
wie dieser absolute Widerspruch alle Ruhe, Festigkeit, Sicherheit
der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem Arbeitsmittel
beständig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen 307) und mit
seiner Teilfunktion ihn selbst überflüssig zu machen droht; wie
dieser Widerspruch im unanterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse, maßlosester Vergeudung der Arbeitskräfte und den Verheerungen gesellschaftlicher Anarchie sich austobt. Dies ist die negative Seite. Wenn aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als
überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hindernisse
stößt 308) macht die große Industrie durch ihre
#512# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Katastrophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel
der Arbeiten und daher möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als
allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und
seiner normalen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie
macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit
einer elenden, für das wechselnde Exploitationsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponiblen Arbeiterbevölkerung zu
ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Teilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche
Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind. Ein auf
Grundlage der großen Industrie naturwüchsig entwickeltes Moment
dieses Umwälzungsprozesses sind polytechnische und agronomische
Schulen, ein andres sind die "écoles d'enseignement professionnel" 1*), worin die Kinder der Arbeiter einigen Unterricht in
der Technologie und praktischen Handhabe der verschiednen Produktionsinstrumente erhalten. Wenn die Fabrikgesetzgebung als erste,
dem Kapital notdürftig abgerungene Konzession nur Elementarunterricht mit fabrikmäßiger Arbeit verbindet, unterliegt es keinem
Zweifel, daß die unvermeidliche Eroberung der politischen Gewalt
durch die Arbeiterklasse auch dem technologischen Unterricht,
theoretisch und praktisch, seinen Platz in den Arbeiterschulen
erobern wird. Es unterliegt ebensowenig einem Zweifel, daß die
kapitalistische Form der Produktion und die ihr entsprechenden
ökonomischen Arbeiterverhältnisse im diametralsten Widerspruch
stehn mit solchen Umwälzungsfermenten und ihrem Ziel, der Aufhebung der alten Teilung der Arbeit. Die Entwicklung der Widersprüche einer geschichtlichen Produktionsform ist jedoch der einzig
geschichtliche Weg ihrer Auflösung und Neugestaltung. "Ne sutor
ultra crepidam"! [129], die nec plus ultra 2*) handwerksmäßiger
Weisheit, wurde zur furchtbaren Narrheit von dem Moment, wo der
Uhrmacher Watt die
#513# 13. Kapitel - chinerie und große Industrie
Dampfmaschine, der Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der Juwelier arbeiter Fulton das Dampfschiff erfunden hatte. 309)
Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen usw. reguliert, erscheint dies zunächst nur als Einmischung
in die Exploitationsrechte des Kapitals. jede Regulation der sog.
Hausarbeit 310) stellt sich dagegen sofort als direkter Eingriff
in die patria potestas 2*) dar, d.h. modern interpretiert, in die
elterliche Autorität, ein Schritt, wovor das zartfühlende englische Parlament lang zurückzubeben affektierte. Die Gewalt der
Tatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, daß die große Industrie mit der ökonomischen Grundlage des alten Famillenwesens und
der ihr entsprechenden Familienarbeit auch die alten Familienverhältnisse selbst auflöst. Das Recht der Kinder mußte proklamiert
werden.
"Unglücklicherweise", heißt es im Schlußbericht der "Child. Empl.
Comm." von 1866, "leuchtet aus der Gesamtheit der Zeugenaussagen
hervor, daß die Kinder beiderlei Geschlechts gegen niemand so
sehr des Schutzes bedürfen als gegen ihre Eltern." Das System der
maßlosen Exploitation der Kinderarbeit überhaupt und der Hausarbeit im besonderen wird dadurch "erhalten, daß die Eltern über
ihre jungen und zarten Sprößlinge eine willkürliche und heillose
Gewalt ohne Zügel oder Kontrolle ausüben... Eltern dürfen nicht
die absolute Macht besitzen, ihre Kinder zu reinen Maschinen zu
machen, um soundso viel wöchentlichen Lohn herauszuschlagen...
Kinder und junge Personen haben ein Recht auf den Schutz der Legislatur wider den Mißbrauch der
#514# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
elterlichen Gewalt, der ihre physische Kraft vorzeitig bricht und
sie degradiert auf der Staffel moralischer und intellektueller
Wesen." 311)
Es ist jedoch nicht der Mißbrauch der elterlichen Gewalt, der die
direkte oder indirekte Exploitation unreifer Arbeitskräfte durch
das Kapital schuf, sondern es ist umgekehrt die kapitalistische
Exploitationsweise, welche die elterliche Gewalt, durch Aufhebung
der ihr entsprechenden ökonomischen Grundlage, zu einem Mißbrauch
gemacht hat. So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen System erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit
der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen
und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der
Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter. Es ist natürlich ebenso albern, die christlich germanische Form der Familie
für absolut zu halten als die altrömische Form, oder die altgriechische, oder die orientalische, die übrigens untereinander eine
geschichtliche Entwicklungsreihe bilden. Ebenso leuchtet ein, daß
die Zusammensetzung des kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen,
obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form,
wo der Arbeiter für den Produktionsprozeß, nicht der Produktionsprozeß für den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der
Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur
Quelle humaner Entwicklung umschlagen muß. 312)
Die Notwendigkeit, das Fabrikgesetz aus einem Ausnahmegesetz für
Spinnereien und Webereien, diese ersten Gebilde des Maschinenbetriebs, in ein Gesetz aller gesellschaftlichen Produktion zu verallgemeinern, entspringt, wie man sah, aus dem geschichtlichen
Entwicklungsgang der großen Industrie, auf deren Hintergrund die
überlieferte Gestalt von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit
gänzlich umgewälzt wird, die Manufaktur beständig in die Fabrik,
das Handwerk beständig in die Manufaktur umschläe und endlich die
Sphären des Handwerks und der Hausarbeit sich in relativ wunderbar kurzer Zeit zu Jammerhöhlen gestalten, wo die tollsten Ungeheuerlichkeiten der kapitalistischen Exploitation ihr freies
#515# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Spiel treiben. Es sind zwei Umstände, welche zuletzt den Ausschlag geben, erstens die stets neu wiederholte Erfahrung, daß
das Kapital, sobald es der Staatskontrolle nur auf einzelnen
Punkten der gesellschaftlichen Peripherie anheimfällt, sich um so
maßloser auf den andern Punkten entschädigt 313), zweitens der
Schrei der Kapitalisten selbst nach Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, d.h. gleichen Schranken der Arbeitsexploitation. 314)
Hören wir hierüber zwei Herzensstöße. Die Herrn W. Cooksley
(Nagel-, Ketten- usw. Fabrikanten zu Bristol) führten die Fabrikregulation freiwillig in ihrem Geschäft ein.
"Da das alte, unregelmäßige System in den benachbarten Werken
fortdauert, sind sie der Unbill ausgesetzt, ihre Arbeitsjungen
zur Fortsetzung der Arbeit anderswo nach 6 Uhr abends verlockt
(enticed) zu sein. 'Dies', sagen sie natürlich, 'ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und ein Verlust, da es einen Teil der Kraft
der Jungen erschöpft, deren voller Vorteil uns gebührt.'" 315)
Herr J. Simpson (Paper-Box Bag maker 1*), London) erklärt den
Kommissären der "Children Empl. Comm.":
"Er wolle jede Petition für Einführung der Fabrikakte unterzeichnen. Wie es sei, fühle er sich stets rastlos des Nachts (he always felt restless at night), nach Schluß seiner Werkstatt, bei
dem Gedanken, daß andre länger arbeiten ließen und ihm Aufträge
vor der Nase wegschnappten." 316) "Es wäre ein Unrecht", sagt die
"Child. Empl. Comm." zusammenfassend, "gegen die größren Arbeitsanwender, ihre Fabriken der Regulation zu unterwerfen, während in
ihrem eignen Geschäftszweig der Kleinbetrieb keiner gesetzlichen
Beschränkung der Arbeitszeit unterliegt. Zur Ungerechtigkeit ungleicher Konkurrenzbedingungen in bezug auf die Arbeitsstunden
bei Ausnahme kleinerer Werkstätten käme noch der andre Nachteil
für die größren Fabrikanten hinzu, daß ihre Zufuhr von jugendlicher und weiblicher Arbeit abgelenkt wurde nach den vom verschonten Werkstätten. Endlich gäbe dies Anstoß zur Vermehrung der
kleineren Werkstätten, die fast ausnahmslos die mindest günstigen
für Gesundheit, Komfort, Erziehung und allgemeine Verbesserung
des Volks sind." 317)
#516# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
In ihrem Schlußbericht schlägt die "Children's Employment Commision" vor, über 1 400 000 Kinder, junge Personen und Weiber, wovon ungefähr die Hälfte vom Kleinbetrieb und der Hausarbeit exploitieirt wird, dem Fabrikakt zu unterwerfen. 313)
"Sollte", sagt sie, "das Parlament unsren Vorschlag in seinem
ganzen Umfang annehmen, so ist es zweifellos, daß solche Gesetzgebung den wohltätigsten Einfluß ausüben werde, nicht nur auf die
Jungen und Schwachen, mit denen sie sich zunächst beschäftigt,
sondern auf die noch graßre Masse von erwachsnen Arbeitern, die
direkt" (Weiber) "und indirekt" (Männer) "unter ihren Wirkungskreis fallen. Sie würde ihnen regelmäßige und ermäßigte Arbeitsstunden aufzwingen; sie würde den Vorrat physischer Kraft, wovon
ihr eignes Wohlergehen und das des Landes so sehr abhängt, haushalten und häufen; sie würde die aufsprossende Generation vor der
Überanstrengung in frühem Alter schützen, welche ihre Konstitution untergräbt und zu vorzeitigem Verfall führt; sie würde
schließlich, wenigstens bis zum 13. Jahr, die Gelegenheit des
Elementarunterrichts bieten und damit der unglaublichen Unwissenheit ein Ende machen, die so treu in den Kommissionsberichten geschildert ist und nur mit qualvollster Empfindung und dem tiefen
Gefühl nationaler Erniedrigung betrachtet werden kann." 319)
Das Toryministerium kündigte in der Thronrede vom 5. Februar 1867
an, daß es die Vorschläge 319a) der industriellen Untersuchungskommission
#517# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
in "Bills" formuliert habe. Dazu hatte es eines neuen zwanzigjährigen Experimentum in corpore vili 2*) bedurft. Bereits im Jahre
1840 war eine parlamentarische Kommission zur Untersuchung übet
Kinderarbeit ernannt worden. Ihr Bericht von 1842 entrollte nach
den Worten N. W. Seniors
"das furchtbarste Gemälde von Habsucht, Selbstsucht und Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von Elend, Degradation und Zerstörung der Kinder und jungen Personen, das jemals das Auge der
Welt schlug... Man wähnt vielleicht, der Bericht beschreibe die
Greuel eines vergangnen Zeitalters. Leider aber liegen Berichte
vor, daß diese Greuel fortdauern, so intensiv wie je. Eine vor
zwei Jahren von Hardwicke veröffentlichte Broschüre erklärt, die
1842 gerügten Mißbräuche stehen heutzutage" (1863) "in voller
Blüte... Dieser Bericht" (von 1842) "lag unbeachtet zwanzig Jahre
lang, während deren man jenen Kindern, herangewachsen ohne die
geringste Ahnung weder von dem, was wir Moral nennen, noch von
Schulbildung, Religion oder natürlicher Familienliebe - diesen
Kindern erlaubte man, die Eltern der jetzigen Generation zu werden." 320)
Inzwischen hatte die gesellschaftliche Lage sich geändert. Das
Parlament wagte nicht, die Forderungen der Kommission von 1863
ebenso zurückzuweisen wie seinerzeit die von 1842. Daher wurden
schon 1864, als die Kommission erst einen Teil ihrer Berichte
veröffentlicht hatte, die Erdenwaren-Industrie (einschließlich
der Töpferei), die Fabrikation von Tapeten, Zündhölzern, Patronen
und Zündhütchen sowie das Samtscheren unter die für Textilindustrie gültigen Gesetze gestellt. In der Thronrede vom 5. Februar
1867 kündigte das damalige Torykabinett weitere Bills an, gegründet auf die Schlußvorschläge der Kommission, die inzwischen 1866
ihr Werk vollendet hatte.
Am 15. August 1867 erhielt der Factory Acts Extension Act und am
21. August der Workshops' Regulation Act die königliche Bestätigung; der erstre Akt regelt die großen, der letztre die kleinen
Geschäftszweige.
Der Factory Acts Extension Act reguliert die Hochöfen, Eisen- und
Kupferwerke, Gießereien, Maschinenfabriken, Metallwerkstätten,
Fabriken für Guttapercha, Papier, Glas, Tabak, ferner Druckereien
und Buch binderelen und überhaupt alle industriellen Werkstätten
dieser Art, worin 50 oder mehr Personen gleichzeitig während mindestens 100 Tagen im Jahr beschäftigt werden.
#518# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Um eine Vorstellung zu geben von der Ausdehnung des von diesem
Gesetz umfaßten Gebiets, folgen hier einige der darin festgestellten Definitionen:
"Handwerk soll" (in diesem Gesetz) "bedeuten: irgendwelche Handarbeit, geschäftsmäßig oder zum Erwerb betrieben bei, oder gelegentlich, der Verfertigung, Veränderung, Verzierung, Reparatur
oder Fertigstellung zum Verkauf irgendeines Artikels oder eines
Teils davon."
"Werkstatt soll bedeuten: irgendwelche Stube oder Örtlichkeit,
eingedeckt oder unter freiem Hmmel, worin ein 'Handwerk' betrieben wird von irgendeinem Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer und worüber derjenige, der solches Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer beschäftigt das Recht des Zutritts und
der Kontrolle hat."
"Beschäftigt soll bedeuten: tätig in einem 'Handwerk', ob gegen
Lohn oder nicht, unter einem Meister oder einem der Eltern, wie
unten näher bestimmt."
"Eltern soll bedeuten: Vater, Mutter, Vormund oder andre Person,
die die Vormundschaft oder Kontrolle über irgendein... Kind oder
einen jugendlichen Arbeiter hat."
Klausel 7, die Strafklausel für Beschäftigung von Kindern, Jugendlichen Arbeitern und Frauenzimmern entgegen den Bestimmungen
dieses Gesetzes, setzt Geldstrafen fest, nicht nur für den Inhaber der Werkstatt, ob einer der Eltern oder nicht, sondern auch
für
"die Eltern oder andre Personen, die das Kind, den jugendlichen
Arbeiter oder das Frauenzimmer unter Obhut haben oder direkten
Vorteil aus denen Arbeit ziehen".
Der Factory Acts Extension Act, der die großen Etablissements
trifft, steht zurück gegen den Fabrikakt durch eine Menge elender
Ausnahmebestimmungen und feiger Komprosse mit den Kapitalisten.
Der Workshops' Regulation Act, erbärmlich in allen seinen Einzelheiten, blieb ein toter Buchstabe in der Hand der mit seiner Ausführung beauftragten städtischen und Lokalbehörden. Als das Parlament ihnen 1871 diese Vollmacht entzog, um sie den Fabrikinspektoren zu übertragen, deren Aufsichtsbezirk es so mit einem
Schlage um mehr als 100 000 Werkstätten und allein 300 Ziegeleien
vergrößerte, wurde ihr Personal sorgsamlichst um nur acht Assistenten vermehrt, wo es doch schon bisher viel zu schwach besetzt
war. 321)
#519# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
Was also in dieser englischen Gesetzgebung von 1867 auffällt, ist
einerseits die dem Parlament der herrschenden Klassen aufgezwungne Notwendigkeit, so außerordentliche und ausgedehnte Maßregeln gegen die Übergriffe der kapitalistischen Exploitation im
Prinzip anzunehmen; andrerseits die Halbheit, der Widerwille und
die mala fides, womit es diese Maßregeln dann wirklich ins Leben
rief.
Die Untersuchungskommission von 1862 schlug ebenfalls eine neue
Regulierung der Bergwerksindustrie vor, einer Industrie, die sich
von allen andern dadurch unterscheidet, daß bei ihr die Interessen von Grundbesitzern und industriellen Kapitalisten Hand in
Hand gehn. Der Gegensatz dieser beiden Interessen hatte die Fabrikgesetzgebung begünstigt, die Abwesenheit dieses Gegensatzes
reicht hin, die Verschleppung und Schikanen bei der Bergwerksgesetzgebung zu erklären.
Die Untersuchungskommission von 1840 hatte so schauderhafte und
empörende Enthüllungen gemacht und einen solchen Skandal vor ganz
Europa hervorgerufen, daß das Parlament sein Gewissen salvieren
mußte durch den Mining Act von 1842, worin es sich darauf beschränkte, die Arbeit unter Tag von Weibern und von Kindern unter
10 Jahren zu verbieten.
Dann kam 1860 der Mines' Inspection Act, wonach Bergwerke von
speziell dazu ernannten öffentlichen Beamten inspiziert werden,
und Knaben zwischen 10 und 12 Jahren nicht beschäftigt werden
sollen, außer wenn sie im Besitz eines Schulzeugnisses sind oder
eine gewisse Anzahl Stunden die Schule besuchen. Dieser Akt blieb
durchaus ein toter Buchstabe infolge der lächerlich geringen Anzahl der ernannten Inspektoren, der Winzigkeit ihrer Befugnisse
und andrer Ursachen, die sich im Verlauf näher ergeben werden.
Eins der neusten Blaubücher [4] über Bergwerke ist der "Report
from the Select Committee on Mines, together with... Evidence, 23
July 1866". Er ist das Werk eines Ausschusses von Unterhausmitgliedern, bevollmächtigt, Zeugen vorzuladen und zu verhören; ein
dicker Folioband, worin der "Report" selbst nur fünf Zellen umfaßt, des Inhalts: daß der Ausschuß nichts zu sagen weiß und daß
noch mehr Zeugen verhört werden müssen! Die Art der Zeugenexamination erinnert an die cross examinations 1*) vor den englischen
Gerichten, wo der Advokat durch unverschämte, sinnverwirrende
Kreuz- und Querfragen den Zeugen aus der Fassung zu bringen und
ihm die Worte im Mund zu verdrehn sucht. Die Advokaten hier
#520# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
sind die parlamentarischen Examinatoren selbst, darunter MinenEigner und Exploiteurs; die Zeugen Minenarbeiter, meist in Kohlenbergwerken. Die ganze Farce ist zu charakteristisch für den
Geist des Kapitals, um hier nicht einige Auszüge zu geben. Zur
leichteren Übersicht gebe ich die Resultate der Untersuchung usw.
in Rubriken. Ich erinnre, daß Frage und obligate Antwort in den
englischen Blue Books numeriert sind und daß die Zeugen, deren
Aussagen hier zitiert werden. Arbeiter in Kohlenberg, werken.
1. Beschäftigung der Jungen vom 10. Jahr an in den Minen. Die Arbeit nebst obligatem Gang von und zu den Bergwerken dauert in der
Regel 14 bis 15 Stunden, ausnahmsweise länger, von 3, 4, 5 Uhr
morgens bis 4 und 5 Uhr abends. (n. 6, 452, 83.) Die erwachsnen
Arbeiter arbeiten in zwei Gängen oder 8 Stunden, aber kein solcher Wechsel für die Jungen, um die Kosten zu sparen. (n. 80,
203, 204.) Die jungen Kinder hauptsächlich verwandt zum Öffnen
und Schließen der Zugtüren in den verschiednen Abteilungen des
Bergwerks, die ältern zu schwerer Arbeit, Kohlentransport usw.
(n. 122, 739, 740.) Die langen Arbeitsstunden unter der Erde dauern bis zum 18. oder 22. Jahr, wann der Übergang zur eigentlichen
Minenarbeit stattfindet. (n. 161.) Die Kinder und iungen Personen
werden heutzutag härter abgeplackt als zu irgendeiner früheren
Periode. (n. 1663-1667.) Die Minenarbeiter verlangen fast einstimmig einen Parlamentsakt zum Verbot der Minenarbeit bis zum
14. Jahr. Und nun fragt Hussey Vivian (selbst Minenexploiteur):
"Hängt dies Verlangen nicht von der größeren oder geringeren Armut der Eltern ab?" - Und Mr. Bruce: "Wäre es nicht hart, wo der
Vater tot oder verstümmelt usw., der Familie diese Ressource zu
entziehn? Und es muß doch eine allgemeine Regel herrschen. Wollt
Ihr in allen Fällen die Beschäftigung der Kinder bis zum 14. Jahr
unter der Erde verbieten?" Antwort: "In allen Fällen." (n. 107110.) Vivian: "Wenn die Arbeit vor 14 Jahren in den Minen verboten, würden die Eltern die Kinder nicht in Fabriken usw. schicken? - In der Regel, nein." (n. 174.) Arbeiter: "Das Auf- und Zuschließen der Türen sieht leicht aus. Es ist ein sehr qualvolles
Geschäft. Vom beständigen Zug abgesehn, ist der junge gefangengesetzt, ganz so gut wie in einer dunklen Kerkerzelle." Bourgeois
Vivian: "Kann der Junge nicht lesen während der Türwacht, wenn er
ein Licht hat? - Erstens müßte er sich die Kerzen kaufen. Aber
außerdem würde es ihm nicht erlaubt werden. Er ist da, um auf
sein Geschäft aufzupassen, er hat eine Pflicht zu erfüllen. Ich
habe nie einen Jungen in der Grube lesen sehn." (n. 139, 141160.)
2. Erziehung. Die Minenarbeiter verlangen Gesetz für Zwangsunterricht der Kinder, wie in den Fabriken. Sie erklären die Klausel
des Akts
#521# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
von 1860, wonach Erziehungszertifikat zur Verwendung der Jungen
von 10-12 Jahren erfordert, für rein illusorisch. Das "peinliche"
Verhörverfahren der kapitalistischen Instruktionsrichter wird
hier wahrhaft drollig.
(n. 115.) "Ist der Akt mehr nötig gegen Anwender oder Eltern? Gegen beide." (n. 116.) "Mehr gegen den einen als den andern? Wie soll ich du beantworten?" (n. 137.) "Zeigen die Anwender irgendein Verlangen, die Arbeitsstunden dem Schulunterricht anzupassen? - Niemals." (n. 211.) "Verbessern die Minenarbeiter hinterher ihre Erziehung? - Sie verschlechtern sich im allgemeinen;
sie nehmen böse Gewohnheiten an; sie verlegen sich auf Trunk und
Spiel und dergleichen und werden ganz und gar schiffbrüchig." (n.
454.) "Warum nicht die Kinder in Abendschulen schicken? - In den
meisten Kohlendistrikten existieren keine. Aber die Hauptsache
ist, von der langen Überarbeit sind sie so erschöpft, daß ihnen
die Augen vor Müdigkeit zufallen." "Also", schließt der Bourgeois, "Ihr seid gegen Erziehung? - Beileibe nicht, aber usw."
(n. 443.) "Sind die Minenbesitzer usw. nicht durch den Akt von
1860 gezwungen, Schulzertifikate zu verlangen, wenn sie Kinder
zwischen 10 und 12 Jahren anwenden? - Durch das Gesetz, ja, aber
die Anwender tun es nicht." (n. 444.) "Nach Eurer Ansicht ist
diese Gesetzklausel nicht allgemein ausgeführt? - Sie wird gar
nicht ausgeführt." (n. 717.) "Interessieren sich die Minenarbeiter sehr für die Erziehungsfrage? - Die große Mehrzahl." (n.
718.) "Sind sie ängstlich für Durchführung des Gesetzes? - Die
große Mehrzahl." (n. 720.) "Warum denn erzwingen sie seine Durchführung nicht? - Mancher Arbeiter wünscht, Jungen ohne Schulzertifikat zu verweigern, aber er wird ein gezeichneter Mann (a marked man)." (n. 721). "Gezeichnet durch wen? - Durch seinen Anwender." (n. 722.) "Ihr glaubt doch nicht etwa, daß die Anwender
einen Mann wegen Gehorsams gegen das Gesetz verfolgen würden? Ich glaube, sie würden es tun." (n. 723.) "Warum verweigern die
Arbeiter nicht, solche Jungen anzuwenden? - Es ist nicht ihrer
Wahl überlassen." (n. 1634.) "Ihr verlangt Parlamentsintention? Wenn irgend etwas Wirksames für die Erziehung der Kinder der Grubenarbeiter geschehen soll, so muß sie durch Parlamentsakt
zwangsmäßig gemacht werden." (n. 1636.) "Soll das für die Kinder
aller Arbeiter von Großbritannien gelten oder nur für Grubenarbeiter? - Ich bin hier, um im Namen der Grubenarbeiter zu sprechen." (n. 1638.) "Warum Grubenkinder von andren unterscheiden? Weil sie eine Ausnahme von der Regel bilden." (n. 1639.) "In welcher Hinsicht? - In physischer." (n. 1640.) "Warum sollte Erziehung für sie wertvoller sein als für Knaben von andern Klassen? Ich sage nicht, daß sie wertvoller für sie ist, aber wegen ihrer
Verarbeitung in den Minen haben sie weniger Chancen für Erziehung
in Tags- und Sonntagsschulen." (n. 1644.) "Nicht wahr, es ist unmöglich, Fragen dieser Art absolut zu behandeln?" (n. 1646.)
"Sind genug Schulen in den Distrikten? - Nein." (n. 1647.) "Wenn
der Staat verlangte, daß jedes Kind zur Schule geschickt, wo sollen denn die Schulen für alle die Kinder herkommen? - Ich glaube,
sobald es die Umstände gebieten, werden die Schulen von selbst
entspringen." "Die große Mehrzahl nicht nur der Kinder, sondern
der erwachsnen Minenarbeiter kann weder schreiben noch lesen."
(n. 705, 726.)
#522# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
3. Weiberarbeit. Arbeiterinnen werden zwar seit 1842 nicht mehr
unter, wohl aber über der Erde zum Aufladen der Kohlen usw..
Schleppen der Kufen zu den Kanälen und Eisenbahnwagen, Sortieren
der Kohlen usw. verbraucht. Ihre Anwendung hat sehr zugenommen in
den letzten 3-4 Jahren. (n. 1727.) Es sind meist Weiber, Töchter
und Witwen von Grubenarbeitern, vom 12. bis zum 50. und 60.
Jahre. (n. 647, 1779, 1781.)
(n.648.) "Was denken die Minenarbeiter von Beschäftigung von Weibern bei Bergwerken? - Sie verdammen sie allgemein." (n. 649.)
"Warum? - Sie betrachten es erniedrigend für das Geschlecht...
Sie tragen eine Art von Mannskleidern. In vielen Fällen wird alle
Scham unterdrückt. Manche Weiber rauchen. Die Arbeit ist so
schmutzig wie die in den Gruben selbst. Darunter sind viele verheiratete Frauen, die ihre häuslichen Pflichten nicht erfüllen
können." (n. 651 sqq., 701.) (n. 709.) "Können die Witwen ein so
einträgliches Geschäft (8-10 sh. wöchentlich) anderswo finden? Ich kann darüber nichts sagen." (n. 710.). "Und dennoch" (Herz
von Stein!) "seid Ihr entschlossen, ihnen diesen Lebensunterhalt
abzuschneiden? - Sicher." (n. 1715.) "Woher diese Stimmung? Wir, Minenarbeiter, haben zu viel Respekt für das schöne Geschlecht, um es zur Kohlen verdammt zu zehn... Diese Arbeit ist
großenteils sehr schwer. Viele dieser Mädchen heben 10 Tonnen per
Tag." (n. 1732.) "Glaubt Ihr, daß die in den Bergwerken beschäftigten Arbeiterinnen unmoralischer sind ah die in den Fabriken
beschäftigten? - Der Prozentsatz der Schlechten ist größer als
unter den Fabrikmädchen." (n. 1733.) "Aber Ihr seid auch mit dem
Stand der Moralität in den Fabriken nicht zufrieden? - Nein." (n.
1734.) "Wollt Ihr denn auch die Weiberarbeit in den Fabriken verbieten? - Nein, ich will nicht." (n. 1735.) "Warum nicht? - Sie
ist für das weibliche Geschlecht ehrenvoller und passender." (n.
1736.) "Dennoch ist sie schädlich für ihre Moralität, meint Ihr?
- Nein, lange nicht so sehr als die Arbeit an der Grube. Ich
spreche übrigens nicht nur aus moralischen, sondern auch aus physischen und sozialen Gründen. Die soziale Degradation der Mädchen
ist jammervoll und extrem. Wenn diese Mädchen Frauen der Minenarbeiter werden, leiden die Minner tief unter dieser Degradation,
und es treibt sie von Haus und zum Soff." (n. 1737.) "Aber gelte
nicht dasselbe für die bei Eisenwerken beschäftigten Weiber? Ich kann nicht für andre Geschäftszweige sprechen." (n. 1740.)
"Aber welcher Unterschied ist denn zwischen den bei Eisenwerken
und Berken beschäftigten Weibern? - Ich habe mich nicht mit dieser Frage beschäftigt." (n. 1741.) "Könnt Ihr einen Unterschied
zwischen der einen oder der andern Klasse entdecken? - Ich habe
nichts darüber vergewissert, kenne aber durch Visite von Haus zu
Haus den schmählichen Zustand der Dinge in unsrem Distrikt." (n.
1750.) "Hättet Ihr nicht große Lust, Weiberbeschäftigung überall
abzuwirtschaften, wo sie degradierend ist? - Ja... die besten Gefühle der Kinder müssen von mütterlicher Zucht herkommen." (n.
1751.) "Aber das paßt ja auch auf agrikole Beschäftigung der Weiber? - Die dauert nur zwei Saisons, bei uns arbeiten sie alle
vier Saisons durch, manchmal Tag und Nacht, naß bis auf die Haut,
ihre Konstitution geschwächt, ihre Gesundheit gebrochen." (n.
1753.) "Ihr habt die Frage" (nämlich der Weiber ) "nicht allgemein studiert? - Ich habe um
#523# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
mich her geschaut und kann so viel sagen, daß ich nirgendwo etwas
der weiblichen Beschäft an den Kohlengruben Paralleles gefunden
habe. [n. 1793, 1794, 1808.] Es ist Mannsarbeit und Arbeit für
starke Männer. Die beßre Klasse der Minenarbeiter, die sich zu
heben und zu humanisieren sucht, statt irgend Stütze an ihren
Weibern zu finden, wird durch sie heruntergezerrt."
Nachdem die Bourgeois noch weiter in die Kreuz und Quere gefragt,
kommt endlich das Geheimnis ihres "Mitleidens" für Witwen, arme
Familien usw. heraus:
"Der Kohleneigentümer ernennt gewisse Gentlemen zur Oberaufsicht
und deren Politik ist es, um Beifall zu ernten, alles auf den
möglichst ökonomischen Fuß zu setzen und die beschäftigten Mädchen erhalten 1 bis 1 sh. 6 d. täglich, wo ein Mann 2 sh. 6 d.
erhalten müßte." (n. 1816.)
4. Totenschau-Juries.
(n. 360.) "Mit auf die coroner's inquests 1*) in Euren Distrikten, sind die Arbeiter zufrieden mit dem Gerichtsverfahren, wenn
Unfälle vorkommen? - Nein, sie sind es nicht." (n. 361-375.)
"Warum nicht? - Namentlich weil man Leute zu Juries macht, die
absolut nichts von Minen wissen. Arbeiter werden nie zugezogen,
außer als Zeugen. Im ganzen nimmt man Krämer aus der Nachbarschaft, welche unter dem Einfluß der Minenbezitzer, ihrer Kunden,
stehn und nicht einmal die technischen Ausdrücke der Zeugen verstehn. Wir verlangen, daß Minenarbeiter einen Teil der Jury bilden. Im Durchschnitt steht der Urteilsspruch im Widerspruch zu
den Zeugenaussagen." (n. 378.) "Sollen Juries nicht unparteiisch
sein? - Ja." (n. 379.) "Würden die Arbeiter es sein? - Ich sehe
keine Motive, warum sie nicht unparteiisch sein sollten. Sie haben Sachkenntnis." (n. 380.) "Aber würden sie nicht die Tendenz
haben, im Interesse der Arbeiter ungerecht harte Urteile zu fällen? - Nein, ich glaube nicht."
5. Falsches Maß und Gewicht usw. Die Arbeiter verlangen wöchentEche statt vierzehntägiger Zahlung, Maß nach Gewicht statt nach
Kubikraum der Kufen, Schutz gegen die Anwendung falschen Gewichts
usw.
(n. 1071.) "Wenn die Kufen fraudulent vergrößert werden, so kann
ein Mann ja die Mine verlassen nach 14tägiger Kündigung? - Aber,
wenn er zu einem andern Platz geht, findet er dasselbe." (n.
1072.) "Aber er kann den Platz doch verlassen, wo das Unrecht
verübt wird? - Es ist allgemein herrschend." (n. 1073.) "Aber der
Mann kann seinen jedesmaligen Platz nach 14tägiger Kündigung verlassen? - Ja."
Streusand drauf!
6. Mineninspektion. Die Arbeiter leiden nicht nur von den Zufällen durch explodierende Gase.
#524# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
(n. 234 sqq.) "Wir haben uns ebensosehr zu beklagen über die
schlechte Ventilation der Kohlengruben, so daß die Leute kaum
darin atmen können, sie werden dadurch zu jeder Art Beschäftigung
unfähig. So hat z.B. grade jetzt in dem Teil der Mine, wo ich arbeite, die Pestluft viele Leute für Wochen aufs Krankenbett geworfen. Die Hauptgänge sind meist luftig genug, aber Grade nicht
die Plätze, worin wir arbeiten. Sendet ein Mann Klage über Ventilation an den Inspektor, so wird er entlassen und ist ein
'gezeichneter' Mann, der auch sonstwo keine Beschäftigung findet.
Der 'Mining inspecting Act' von 1860 ist ein reiner Papierlappen.
Der Inspektor, und ihre Zahl ist viel zu klein, macht vielleicht
in 7 Jahren einmal eine formelle Visite. Unser Inspektor ist ein
ganz unfähiger, siebzigjähriger Mann, der mehr als 130 Kohlenbergwerken vorsteht. Neben mehr Inspektoren brauchen wir Subinspektoren." (n. 280.) "Soll dann die Regierung solch eine Armee
von Inspektoren halten, daß sie alles, was Ihr verlangt ohne Information der Arbeiter selbst tun können? - Das ist unmöglich,
aber sie sollen sich die Information in den Minen selbst holen
kommen." (n. 285.) "Glaubt Ihr nicht, daß die Wirkung sein würde,
die Verantwortlichkeit (!) für die Ventilation usw. von dem Minenbesitzer auf die Regierungsbeamten zu wälzen? - Keineswegs; es
muß ihr Geschäft sein, die Befolgung der bereits bestehenden Gesetze zu erzwingen." (n. 294.) "Wenn Ihr von Subinspektoren
sprecht, meint Ihr Leute mit weniger Gehalt und von niedrigem
Charakter als die gegenwärtigen Inspektoren? - Ich wünsche sie
keineswegs niedriger, wenn Ihr sie besser haben könnt." (n. 295.)
"Wollt Ihr mehr Inspektoren oder eine niedrigere Klasse von Leuten als die Inspektoren? - Wir brauchen Leute, die sich in den
Minen selbst umtummeln, Leute, die keine Angst für die eigne Haut
haben." (n. 297.) "Wenn man Euren Wunsch nach Inspektoren von einer schlechtren Sorte erfüllte, würde ihr Mangel an Geschick
nicht Gefahren erzeugen usw.? - Nein; es ist Sache der Regierung,
pusende Subjekte anzustellen."
Diese Art Examination wird endlich selbst dem Präsidenten des Untersuchungskomitees zu toll.
"Ihr wollt", fahrt er dazwischen, "praktische Leute, die sich in
den Minen selbst umsehn und an den Inspektor berichten, der dann
seine höhere Wissenschaft verwenden kann." (n. 531.) "Würde die
Ventilation aller dieser alten Werke nicht viel Kosten verursachen? - Ja, Unkosten möchten erwachsen, aber Menschenleben würden
beschützt."
(n. 581.) Ein Kohlenarbeiter protestiert gegen die 17. Sektion
des Akts von 1860:
"Gegenwärtig, wenn der Mineninspektor irgendeinen Teil der Mine
in nicht bearbeitsfähigem Zustand findet, muß er es an den Minenbesitzer und den Minister des Innern berichten. Danach hat der
Minenbesitzer 20 Tage Bedenkzeit; am Ende der 20 Tage kann er
jede Veränderung verweigern. Tut er das aber, so hat er an den
Minister des Innern zu schreiben und ihm 5 Bergwerksingenieure
vorzuschlagen, worunter der Minister die Schiedsrichter erwählen
muß. Wir behaupten, daß in diesem Fall der Minenbesitzer virtuell
seine eignen Richter ernennt."
#525# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
(n. 586.) Der Bourgeoisexaminator, selbst Minenbesitzer:
"Dies ist ein rein spekulativer Einwand." (n. 588.) "Ihr habt
also sehr geringe Ansicht von der Redlichkeit der Bergwerksingenieure? - Ich sage, es ist sehr unbillig und ungerecht." (n.
589.) "Besitzen Bergwerksingenieure nicht eine Art von öffentlichem Charakter, der ihre Entscheidungen über die von Euch befürchtete Parteilichkeit erhebt? - Ich verweigre, Fragen über den
persönlichen Charakter dieser Leute zu beantworten. Ich bin überzeugt, daß sie in vielen Fällen sehr parteiisch handeln und daß
diese Macht ihnen genommen werden sollte, wo Menschenleben auf
dem Spiel stehn."
Derselbe Bourgeois hat die Unverschämtheit, zu fragen:
"Glaubt Ihr nicht, daß auch die Minenbesitzer Verluste bei den
Explosionen haben?"
Endlich (n. 1042):
"Könnt Ihr Arbeiter Eure eignen Interessen nicht selbst wahrnehmen, ohne die Hilfe der Regierung anzurufen? - Nein."
Im Jahre 1865 gab es 3217 Kohlenbergwerke in Großbritannien und
12 Inspektoren. Ein Minenbesitzer von Yorkshire ("Times", 26. Januar 1867) berechnet selbst, daß abgesehn von ihren rein bürokratischen Geschäften, die ihre ganze Zeit absorbieren, jede Mine
nur einmal in 10 Jahren besichtigt werden könnte. Kein Wunder,
daß die Katastrophen in den letzten Jahren (namentlich auch 1866
und 1867) progressiv in Anzahl und Umfang (manchmal mit einem Opfer von 20-300 Arbeitern) zugenommen haben. Dies sind die Schönheiten der "freien" kapitalistischen Produktion!
Jedenfalls ist der Akt von 1872, so mangelhaft er ist, der erste,
der die Arbeitsstunden der in Bergwerken beschäftigten Kinder regelt und die Exploiteure und Grubenbesitzer in gewissem Maß für
sogenannte Unfälle verantwortlich macht.
Die königliche Kommission von 1867 zur Untersuchung der Beschäftigung von Kindern, jugendlichen Personen und Weibern in der
Agrikultur hat einige sehr wichtige Berichte veröffentlicht. Es
sind verschiedne Versuche gemacht worden, die Prinzipien der Fabrikgesetzgebung, in modifizierter Form, auf die Agrikultur anzuwenden, aber bis jetzt schlugen sie alle total fehl. Worauf ich
hier aber aufmerksam zu machen habe, ist das Bestehn einer unwiderstehlichen Tendenz zur allgemeinen Anwendung dieser Prinzipien.
Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches
und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden ist, verallgemeinert und beschleunigt sie andrerseits, wie
bereits angedeutet, die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprozesse
auf Zwergmaßstab in kombinierte
#526# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
Arbeitsprozesse auf großer, gesellschaftlicher Stufenleiter, also
die Konzentration des Kapitals und die Alleinherrschaft des Fabrikregimes. Sie zerstört alle altertümlichen und Übergangsformen, wohinter sich die Herrschaft des Kapitals noch teilweise
versteckt, und ersetzt sie durch seine direkte, unverhüllte Herrschaft. Sie verallgemeinert damit auch den direkten Kampf gegen
diese Herrschaft. Während sie in den individuellen Werkstätten
Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung und Ökonomie erzwingt,
vermehrt sie durch den ungeheuren Sporn, den Schranke und Regel
des Arbeitstags der Technik aufdrücken, die Anarchie und Katastrophen der kapitalistischen Produktion im großen und ganzen,
die Intensität der Arbeit und die Konkurrenz der Maschinerie mit
dem Arbeiter. Mit den Sphären des Kleinbetriebs und der Hausarbeit vernichtet sie die letzten Zufluchtsstätten der
"Überzähligen" und damit das bisherige Sicherheitsventil des ganzen Gesellschaftsmechanismus. Mit den materiellen Bedingungen und
der gesellschaftlichen Kombination des Produktionsprozesses reift
sie die Widersprüche und Antagonismen seiner kapitalistischen
Form, daher gleichzeitig die Bildungselemente einer neuen und die
Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft. 322)
#527# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
10. Große Industrie und Agrikultur
Die Revolution, welche die große Industrie im Ackerbau und den
sozialen Verhältnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann
erst später dargestellt werden. Hier genügt kurze Andeutung einiger vorweggenommenen Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie
im Ackerbau großenteils frei ist von den physischen Nachteilen,
die sie dem Fabrikarbeiter zufügt 323), wirkt sie hier noch intensiver und ohne Gegenstoß auf die "Überzähligmachung" der Arbeiter, wie man später im Detail sehn wird. In den Grafschaften
Cambridge und Suffolk z. B. hat sich das Areal des bebauten Landes seit den letzten zwanzig Jahren sehr ausgedehnt, während die
Landbevölkerung in derselben Periode nicht nur relativ, sondern
absolut abnahm. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ersetzten Agrikultur-Maschinen einstweilen nur virtuell Arbeiter,
d.h., sie erlauben dem Produzenten Bebauung einer größren Fläche,
verjagen aber nicht wirklich
#528# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
beschäftigte Arbeiter. In England und Wales betrug 1861 die Zahl
der in der Fabrikation von Ackerbau-Maschinen beteiligten Personen 1034, während die Zahl der an Dampf- und Arbeitsmaschinen beschäftigten Agrikulturarbeiter nur 1205 betrug.
In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern
am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft
vernichtet, den "Bauer", und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt.
Die sozialen Umwälzungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs tritt bewußte,
technologische Anwendung der Wissenschaft. Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird
durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft
aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf
Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem
stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sie
in großen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch
und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit.
Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter. 324) Aber sie
zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der
vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen. In
der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel,
Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte
Unterdrückung seiner
#529# 13. Kapitel - Maschinerie und große Industrie
individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die
Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich
ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen
Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der
modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre
Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst,
den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für
eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die
Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. 325) Die kapitalistische Produktion
#530# IV. Abschnitt - Die Produktion des relativen Mehrwerts
entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozeues, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.