ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Verwandlung von Mehrwert in Kapital
1. Kapitalistischer Produktionsprozeß auf erweiterter Stufenleiter. Umschlag der Eigentumsgesetze der Warenproduktion in Gesetze
der kapitalistischen Aneignung
Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwert aus dem Kapital, jetzt wie das Kapital aus dem Mehrwert entspringt. Anwendung
von Mehrwert als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital heißt Akkumulation des Kapitals. 21)
Betrachten wir diesen Vorgang zunächst vom Standpunkt des einzelnen Kapitalisten. Ein Spinner z.B. habe ein Kapital von 10 000
Pfd.St. vorgeschossen, wovon vier Fünftel in Baumwolle, Maschinen
etc., das letzte Fünftel in Arbeitslohn. Er produziere jährlich
240 000 Pfd. Garn zum Wert von 12 000 Pfd. St. Bei einer Rate des
Mehrwerts von 100% steckt der Mehrwert im Mehrprodukt oder Nettoprodukt von 40 000 Pfd. Garn, einem Sechstel des Bruttoprodukts,
zum Wert von 2000 Pfd. Sterling, den der Verkauf realisieren
wird. Eine Wertsumme von 2000 Pfd.St. ist eine Wertsumme von 2000
Pfd.St. Man riecht und sieht diesem Gelde nicht an, daß es Mehrwert ist. Der Charakter eines Werts als Mehrwert zeigt, wie er zu
seinem Eigner kam, ändert aber nichts an der Natur des Werts oder
des Geldes.
Um die neu hinzugekommne Summe von 2000 Pfd.St. in Kapital zu
verwandeln, wird also der Spinner, alle andern Umstände gleichbleibend, vier Fünftel davon vorschießen im Ankauf von Baumwolle
usw. und ein Fünftel im Ankauf neuer Spinnarbeiter, die auf dem
Markte die Lebensmittel finden werden, deren Wert er ihnen vorgeschossen hat. Dann fungiert
#606# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
das neue Kapital von 2000 Pfd. St. in der Spinnerei und bringt
seinerseits einen Mehrwert von 400 Pfd. ein. Der Kapitalwert war
ursprünglich vorgeschossen in Geldform; der Mehrwert dagegen existiert von vornherein als Wert eines bestimmten Teils des Bruttoprodukts. Wird dieses verkauft, in Geld verwandelt, so gewinnt
der Kapitalwert seine ursprüngliche Form wieder, aber der Mehrwert verwandelt seine ursprüngliche Daseinsweise. Von diesem Augenblick an sind jedoch Kapitalwert und Mehrwert beides Geldsummen, und ihre Wiederverwandlung in Kapital vollzieht sich auf
ganz dieselbe Weise. Die eine wie die andre legt der Kapitalist
an im Ankauf der Waren, die ihn instand setzen, die Verfertigung
seines Artikels von neuem zu beginnen, und zwar diesmal auf erweiterter Stufenleiter. Um aber diese Waren zu kaufen, muß er sie
auf dem Markte vorfinden.
Seine eignen Garne zirkulieren nur, weil er sein Jahresprodukt
auf den Markt bringt, wie das alle andern Kapitalisten mit ihren
Waren ebenfalls tun. Aber ehe sie auf den Markt kamen, hatten sie
sich schon befunden im jährlichen Produktionsfonds, d.h. der Gesamtmasse der Gegenstände aller Art, worin die Gesamtsumme der
Einzelkapitale oder das gesellschaftliche Gesamtkapital im Laufe
des Jahres sich verwandelt und wovon jeder Einzelkapitalist nur
einen aliquoten Teil in Händen hat. Die Vorgänge auf dem Markt
bewerkstelligen nur den Umsatz der einzelnen Bestandteile der
Jahresproduktion, schicken sie von einer Hand in die andre, aber
sie können weder die Gesamt-Jahresproduktion vergrößern noch die
Natur der produzierten Gegenstände ändern. Welcher Gebrauch also
von dem jährlichen Gesamtprodukt gemacht werden kann, das hängt
ab von seiner eignen Zusammensetzung, keineswegs aber von der
Zirkulation.
Zunächst muß die Jahresproduktion alle die Gegenstände
(Gebrauchswerte) liefern, aus denen die im Lauf des Jahres verbrauchten sachlichen Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind.
Nach Abzug dieser bleibt das Netto- oder Mehrprodukt, worin der
Mehrwert steckt. Und woraus besteht dies Mehrprodukt? Vielleicht
in Dingen, bestimmt zur Befriedigung der Bedürfnisse und Gelüste
der Kapitalistenklasse, die also in ihren Konsumtionsfonds eingehn? Wäre das alles, so würde der Mehrwert verjubelt bis auf die
Hefen, und es fände bloß einfache Reproduktion statt.
Um zu akkumulieren, muß man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche
Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozeß verwendbar
sind, d.h. Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen
der Arbeiter sich erhalten kann, d.h. Lebensmittel. Folglich muß
ein Teil der jährlichen Mehrarbeit
#607# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktionsund Lebensmittel, im Überschuß über das Quantum, das zum Ersatz
des vorgeschessenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort:
der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das
Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält. 21a)
Um nun diese Bestandteile tatsächlich als Kapital fungieren zu
lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter
extensiv oder intensiv wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeitslohn abhängige Klasse,
deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu
sichern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese, ihm durch die Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten,
zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das Kapital nur noch den in
der Jahresproduktion schon enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Verwandlung des Mehrwerts in Kapital ist fertig. Konkret betrachtet, löst sich die Akkumulation
auf in Reproduktion des Kapitals auf progressiver Stufenleiter.
Der Kreislauf der einfachen Reproduktion verändert sich und verwandelt sich, nach Sismondis Ausdruck, in eine Spirale. 21b)
Kehren wir jetzt zu unserm Beispiel zurück. Es ist die alte Geschichte Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob usw. [136] Das
ursprüngliche Kapital von 10 000 Pfd. St. bringt einen Mehrwert
von 2000 Pfd.St., der kapitalisiert wird. Das neue Kapital von
2000 Pfd.St. bringt einen Mehrwert von 400 Pfd.St.; dieser, wiederum kapitalisiert, also in ein zweites zusätzliches Kapital
verwandelt, bringt einen neuen Mehrwert von 80 Pfd.St., usw.
Wir sehen hier ab von dem vom Kapitalisten verzehrten Teil des
Mehrwerts. Ebensowenig interessiert es uns für den Augenblick, ob
die Zusatzkapitale zum ursprünglichen Kapital geschlagen oder von
ihm zu selbständiger Verwertung getrennt werden; ob derselbe Kapitalist sie ausnutzt,
#608# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
der sie akkumullert hat, oder ob er sie andern überträgt. Nur
dürfen wir nicht vergessen, daß neben den neugebildeten Kapitalen
das ursprüngliche Kapital fortfährt sich zu reproduzieren und
Mehrwert zu produzieren, und daß dasselbe gilt von jedem akkumulierten Kapital in Beziehung auf das von ihm erzeugte Zusatzkapital.
Das ursprüngliche Kapital bildete sich durch den Vorschuß von
10 000 Pfd.St. Woher hat sie ihr Besitzer? Durch seine eigne Arbeit und die seiner Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortführer der politischen Ökonomie 21c), und ihre Annahme scheint in
der Tat die einzige, die zu den Gesetzen der Warenproduktion
stimmt.
Ganz anders verhält es sich mit dem Zusatzkapital von 2000
Pfd.St. Seinen Entstehungsprozeß kennen wir ganz genau. Es ist
kapitalisierter Mehrwert. Von Ursprung an enthält er nicht ein
einziges Wertatom, das nicht aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt. Die Produktionsmittel, denen die zuschüssige Arbeitskraft
einverleibt wird, wie die Lebensmittel, von denen diese sich erhält, sind nichts als integrierende Bestandteile des Mehrprodukts, des der Arbeiterklasse jährlich durch die Kapitalistenklasse entrissenen Tributs. Wenn diese mit einem Teil des Tributs
von jener zusätzliche Arbeitskraft kauft, selbst zum vollen
Preise, so daß Äquivalent sich austauscht gegen Äquivalent - es
bleibt immer das alte Verfahren des Eroberers, der den Besiegten
Waren abkauft mit ihrem eignen, geraubten Geld.
Wenn das Zusatzkapital seinen eignen Produzenten beschäftigt, so
muß dieser erstens fortfahren, das ursprüngliche Kapital zu verwerten, und zudem den Ertrag seiner früheren Arbeit zurückkaufen
mit mehr Arbeit, als er gekostet hat. Als Transaktion zwischen
der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse betrachtet, ändert
es nichts an der Sache, wenn mit der unbezahlten Arbeit der bisher beschäftigten Arbeiter zuschüssige Arbeiter beschäftigt werden. Der Kapitalist verwandelt vielleicht auch das Zusatzkapital
in eine Maschine, die den Produzenten des Zusatzkapitals aufs
Pflaster wirft und durch ein paar Kinder ersetzt. In allen Fällen
hat die Arbeiterklasse durch ihre diesjährige Mehrarbeit das Kapital geschaffen, das im nächsten Jahr zuschüssige Arbeit beschäftigen wird. 22) Das ist es, was man nennt: Kapital durch Kapital erzeugen.
#609# 22. Kapitel - Verwandlung vm Mehrt in Kapital
Die Voraussetzung der Akkumulation des ersten Zusatzkapitals von
2000 Pfd.St. war eine vom Kapitalisten vorgeschoßne, ihm kraft
seiner "ursprünglichen Arbeit" gehörige Wertsumme von 10 000
Pfd.St. Die Voraussetzung des zweiten Zusatzkapitals von 400
Pfd.St. dagegen ist nichts andres als die vorhergegangne Akkumulation des ersten, der 2000 Pfd.St., dessen kapitalisierter Mehrwert es ist. Eigentum an vergangner unbezahlter Arbeit erscheint
jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsendem Umfang. Je mehr der
Kapitalist akkumuliert hat, desto mehr kann er mulieren.
Insofern der Mehrwert, woraus Zusatzkapital Nr. 1 besteht, das
Resultat des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Teil des Originalkapitals war, ein Kauf, der den Gesetzen des Warenaustausches
entsprach, und, juristisch betrachtet, nichts voraussetzt als
freie Verfügung auf seiten des Arbeiters über seine eignen Fähigkeiten, auf seiten des Geld- oder Warenbesitzers über ihm gehörige Werte; sofern Zusatzkapital Nr. II usw. bloß Resultat von
Zusatzkapital Nr. I, also Konsequenz jenes ersten Verhältnisses;
sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft
kauft, der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen
selbst zu ihrem wirklichen Wert, schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung
oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein direktes Gegenteil um. Der Austausch
von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien,
hat sich so gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem
erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst
nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsproduktes ist und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter,
nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß.
Das Verhältnis des Austausches zwischen Kapitalist und Arbeiter
wird also nur ein dem Zirkulationsprozeß angehöriger Schein,
bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeitskraft ist die
Form. Der Inhalt ist, daß der Kapitalist einen Teil der bereits
vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich
ohne Äquivalent aneignet, stets wieder gegen größeres Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das
Eigentumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese
Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte Warenbesitzer gegenüberstehn, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die
Veräußerung der eignen Ware, und letztere
#610# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigentum erscheint jetzt auf
Seite des Kapitalisten als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit
oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters als Unmöglichkeit, sich
sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum
und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das
scheinbar von ihrer Identität ausging. 23)
So sehr die kapitalistische Aneignungsweise also den ursprünglichen Gesetzen der Warenproduktion ins Gesicht zu schlagen
scheint, so entspringt sie doch keineswegs aus der Verletzung,
sondern im Gegenteil aus der Anwendung dieser Gesetze. Ein kurzer
Rückblick auf die Reihenfolge der Bewegungsphasen, deren Schlußpunkt die kapitalistische Akkumulation ist, stelle dies nochmals
klar.
Zuerst haben wir gesehn, daß die ursprüngliche Verwandlung einer
Wertsumme in Kapital sich durchaus gemäß den Gesetzen des Austausches vollzog. Der eine Kontrahent verkauft seine Arbeitskraft,
der andre kauft sie. Der erstre empfängt den Wert seiner Ware,
deren Gebrauchswert die Arbeit - damit an den zweiten veräußert
ist. Dieser verwandelt nunmehr ihm bereits gehörende Produktionsmittel mit Hilfe von ihm ebenfalls gehörender Arbeit in ein neues
Produkt, das ihm ebenfalls von Rechts wegen gehört.
Der Wert dieses Produkts schließt ein: erstens den Wert der verbrauchten Produktionsmittel. Die nützliche Arbeit kann diese Produktionsttel nicht verbrauchen, ohne ihren Wert auf das neue Produkt zu übertragen; um aber verkäuflich zu sein, muß die Arbeitskraft imstande sein, in dem Industriezweig, wo sie verwandt werden soll, nützliche Arbeit zu liefern.
Der Wert des neuen Produkts schließt ferner ein: das Äquivalent
des Werts der Arbeitskraft und einen Mehrwert. Und zwar deshalb,
weil die für einen bestimmten Zeitraum, Tag, Woche etc., verkaufte Arbeitskraft weniger Wert besitzt, als ihr Gebrauch während dieser Zeit schafft. Der Arbeiter aber hat den Tauschwert
seiner Arbeitskraft bezahlt erhalten und hat damit ihren Gebrauchswert veräußert - wie das bei jedem Kauf und Verkauf der
Fall.
Daß diese besondre Ware Arbeitskraft den eigentümlichen Gebrauchswert hat, Arbeit zu liefern, also Wert zu schaffen, das
kann das allgemeine
#611# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
Gesetz der Warenproduktion nicht berühren. Wenn also die in Arbeitslohn vorgeschoßne Wertsumme sich in Produkt nicht bloß einfach wieder vorfindet, sondern um einen Mehrwert vermehrt vorfindet, so rührt dies nicht her aus einer Übervorteilung des Verkäufers, der ja den Wert seiner Ware erhalten, sondern nur aus dem
Verbrauch dieser Ware durch den Käufer. Das Gesetz des Austausches bedingt Gleichheit nur für die Tauschwerte der gegeneinander weggegebenen Waren. Es bedingt sogar von vornherein Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerte und hat absolut nichts zu schaffen
mit ihrem Verbrauch, der erst nach geschloßnem und vollzognem
Handel beginnt.
Die ursprüngliche Verwandlung des Geldes in Kapital vollzieht
sich also im genauesten Einklang mit den ökonomischen Gesetzen
der Warenproduktion und mit dem daraus sich ableitenden Eigentumsrecht. Trotzdem aber hat sie zum Ergebnis:
1. daß das Produkt dem Kapitalisten gehört und nicht dem Arbeiter; 2. daß der Wert dieses Produkts, außer dem Wert des vorgeschoßnen Kapitals, einen Mehrwert einschließt, der dem Arbeiter
Arbeit, dem Kapitalisten aber nichts gekostet hat und der dennoch
das rechtmäßige Eigentum des Kapitalisten wird;
3. daß der Arbeiter seine Arbeitskraft forterhalten hat und sie
aufs neue verkaufen kann, wenn er einen Käufer findet. Die einfache Reproduktion ist nur die periodische Wiederholung dieser ersten Operation; jedesmal wird, stets von neuem, Geld in Kapital
verwandelt. Das Gesetz wird also nicht gebrochen, im Gegenteil es
erhält nur Gelegenheit, sich dauernd zu betätigen.
"Plusieurs échanges successifs n'ont fait du dernier que le représentant du premier." 1*) (Sismondl, l.c.p. 70.)
Und dennoch haben wir gesehn, daß die einfache Reproduktion hinreicht, um dieser ersten Operation - soweit sie als isolierter
Vorgang gefaßt war - einen total veränderten Charakter aufzuprägen.
"Parmi ceux qui se partagent le revenu national, les uns" (die
Arbeiter) y acquièrent chaque année un nouveau droit par un nouveau travail, les autres' (die Kapitalisten) y ont acquis antérieurement un droit permanent par un travail primitif." (Sismondi,
l.c.p. 110, 111.)
#612# VII. Abschnitt - Der mu6tionsprozeß des Kapitals
Das Gebiet der Arbeit ist bekanntlich nicht das einzige, wo die
Erstgeburt Wunder tut.
Es verschlägt auch nichts, wenn die einfache Reproduktion ersetzt
wird durch die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, durch
die Akkumulation. Bei jener vermöbelt der Kapitalist den gesamten
Mehrwert, bei dieser beweist er seine Bürgertugend durch Verzehrung nur eines Teils, und Verwandlung des Restes in Geld.
Der Mehrwert ist sein Eigentum, er hat nie einem andern gehört.
Schießt er ihn zur Produktion vor, so macht er, ganz wie am Tag,
wo er zuerst den Markt beschnitt, Vorschüsse aus seinem eignen
Fonds. Daß dieser Fonds diesmal aus der unbezahlten Arbeit seiner
Arbeiter stammt, tut absolut nichts zur Sache. Wird Arbeiter B
beschäftigt mit dem Mehrwert den Arbeiter A produziert hat, so
hat erstens A diesen Mehrwert geliefert, ohne daß man ihm den gerechten Preis seiner Ware um einen Heller verkürzt hat, und zweitens geht dies Geschäft den B überhaupt nichts an. Was B verlangt
und das Recht hat zu verlangen, ist, daß der Kapitalist ihm den
Wert seiner Arbeitskraft zahle.
"Tous deux gagnaient encore; l'ouvrier parce qu'on lui avancait
les fruits de son travail" (soll heißen: du travail gratuit
d'autres ouvriers) "avant qu'il fût fait;" (Soll heißen: avant
que le sien ait porté de fruit) "le maître, parce que le travail
de cet ouvrier valalt plus que le salaire" (soll heißen: produisait Plus de valeur que celle de son salaire). 1*) (Sismondl,
l.c.p. 135.)
Allerdings sieht die Sache ganz anders aus, wenn wir die kapitalistische Produktion im ununterbrochnen Fluß ihrer Erneuerung betrachten und statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen
Arbeiters die Gesamtheit, die Kapitalistenklasse und ihr gegenüber die Arbeiterklasse ins Auge fassen. Damit aber würden wir
einen Maßstab anlegen, der der Warenproduktion total fremd ist.
In der Warenproduktion stehn sich nur, voneinander unabhängig,
Verkäufer und Käufer gegenüber. Ihre gegenseitigem Beziehungen
sind zu Ende mit dem Verfalltag des zwischen ihnen abgeschloßnen
Vertrags. Wiederholt sich das Geschäft, dann 2*) infolge eines
neuen Vertrags, der mit dem vorhergehenden nichts zu tun hat und
bei dem nur ein Zufall denselben Käufer mit demselben Verkäufer
wieder zusamrnenbringt.
#613# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwerts in Kapital
Soll also die Warenproduktion oder ein ihr angehöriger Vorgang
nach ihren eignen ökonomischen Gesetzen beurteilt werden, so müssen wir jeden Austauschakt für sich betrachten, außerhalb alles
Zusammenhangs mit dem Austauschakt, der ihm vorherging, wie mit
dem, der ihm nachfolgt. Und da Käufe und Verkäufe nur zwischen
einzelnen Individuen abgeschlossen werden, so ist es unzulässig,
Beziehungen zwischen ganzen Gesellschaftsklassen darin zu suchen.
Wie lang auch die Reihenfolge der periodischen Reproduktionen und
vorhergegangnen Akkumulationen, die das heute funktionierende Kapital durchgemacht hat, es bewahrt immer seine ursprüngliche
Jungfräulichkeit. Solange bei jedem Austauschakt - einzeln genommen - die Gesetze des Austausches eingehalten werden, kann die
Aneignungsweise eine totale Umwälzung erfahren, ohne das, der Warenproduktion gemäße, Eigentumsrecht irgendwie zu berühren. Dieses selbe Recht steht in Kraft wie am Anfang, wo das Produkt dem
Produzenten gehört und wo dieser, Äquivalent gegen Äquivalent
austauschend, sich nur durch eigne Arbeit bereichern kann, so
auch in der kapitalistischen Periode, wo der gesellschaftliche
Reichtum in stets steigendem Maß das Eigentum derer wird, die in
der Lage sind, sich stets aufs neue die unbezahlte Arbeit andrer
anzueignen.
Dies Resultat wird unvermeidlich, sobald die Arbeitskraft durch
den Arbeiter selbst als Ware frei verkauft wird. Aber auch erst
von da an verallgemeinert sich die Warenproduktion und wird sie
typische Produktionsform; erst von da an wird jedes Produkt von
vornherein für den Verkauf produziert und geht aller produzierte
Reichtum durch die Zirkulation hindurch. Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die Warenproduktion sich der gesamten Gesellschaft auf; aber auch erst da entfaltet sie alle ihre verborgnen Potenzen. Sagen, daß die Dazwischenkunft der Lohnarbeit die
Warenproduktion fälscht, heißt sagen, daß die Warenproduktion,
will sie unverfälscht bleiben, sich nicht entwickeln darf. Im
selben Maß, wie sie nach ihren eignen immanenten Gesetzen sich
zur kapitalistischen Produktion fortbildet, in demselben Maß
schlagen die Eigentumsgesetze der Warenproduktion um in Gesetze
der kapitalistischen Aneignung. 24)
Man sah, daß selbst bei einfacher Reproduktion alles vorgeschoßne
Kapital, wie immer ursprüngl')ch erworben, sich in akkumullertes
Kapital oder kapitallsierten Mehrwert verwandelt. Aber im Strom
der Produktion
#614# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
wird überhaupt alles ursprünglich vorgeschoßne Kapital eine verschwindende Größe (magnitudo evanescens im mathematischen Sinn),
verglichen mit dem direkt akkumulierten Kapital, d.h. dem in Kapital rückverwandelten Mehrwert oder Mehrprodukt, ob nun funktionierend in der Hand, die akkumullert hat, oder in fremder Hand.
Die politische Ökonomie stellt das Kapital daher überhaupt dar
als "akkumulierten Reichtum" (verwandelten Mehrwert oder Revenue), "der von neuem zur Produktion von Mehrwert verwandt wird",
25) oder auch den Kapitalisten als Besitzer des Mehrprodukts" 26)
Dieselbe Anschauungsweise besitzt nur andre Form in dem Ausdruck,
daß alles vorhandne Kapital akkumulierter oder kapitalisierter
Zins sei, denn der Zins ist ein bloßes Bruchstück des Mehrwerts.
27)
#615# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
und unermüdlich zu predigen: man kann nicht akkumulieren, wenn
man seine ganze Revenue aufißt, statt einen guten Teil davon zu
verausgaben in Werbung zuschüssiger produktiver Arbeiter, die
mehr einbringen, als sie kosten. Andrerseits hatte sie gegen das
Volksvorurteil zu polemisieren, welches die kapitalistische Produktion mit der Schatzbildung verwechselt 28) und daher wähnt,
akkumuierter Reichtum sei Reichtum, welcher der Zerstörung in
seiner vorhandnen Naturalform, also dem Verbrauch entzogen oder
auch vor der Zirkulation gerettet werde. Verschluß des Geldes gegen die Zirkulation wäre grade das Gegenteil seiner Verwertung
als Kapital und Warenakkumulation im schatzbildnerischen Sinn
reine Narrheit. 28a) Akkumulation von Waren in großen Massen ist
Resultat einer Zirkulationsstockung oder der Überproduktion. 29)
Allerdings läuft in der Volksvorstellung einerseits das Bild der
im Konsumtionsfonds der Reichen gehäuften, langsam sich verzehrenden Güter unter, andrerseits die Vorratbildung, ein Phänomen,
das allen Produktionsweisen angehört und wobei wir einen Augenblick in der Analyse des Zirkulationsprozesses verweilen werden.
Soweit also ist die klassische Ökonomie im Recht, wenn sie den
Verzehr von Mehrprodukt durch produktive Arbeiter statt durch unproduktive als charakteristisches Moment des Akkumulationsprozesses betont. Aber hier beginnt auch ihr Irrtum. A. Smith hat es
zur Mode gemacht, die Akkumulation bloß als Konsumtion des Mehrprodukts durch produktive Arbeiter oder die Kapitalisierung des
Mehrwerts als dessen bloßen Umsatz in Arbeitskraft darzustellen.
Hören wir z.B. Ricardo:
"Man muß verstehn, daß alle Produkte eines Landes konsumiert werden; aber es macht den größten Unterschied, den man denken kann,
ob sie konsumiert werden durch solche, die einen andren Wert reproduzieren, oder durch solche, die ihn nicht reproduzieren. Wenn
wir sagen, daß Revenue erspart und zum Kapital geschlagen
#616# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
wird, so meinen wir, äaß der Teil der Revenue, von dem es heißt,
er sei zum Kapital geschlagen, durch produktive statt durch unproduktive Arbeiter verzehrt wird. Es gibt keinen großem Irrtum,
als zu unterstellen, daß Kapital durch Nicht-Konsum vermehrt
wird." 30)
Es gibt keinen größern Irrtum als der dein A. Smith von Ricardo
und allen späteren nachgeplauderte, daß
"der Teil der Revenue, von dem es heißt, er sei zum Kapital geschlagen, von produktiven Arbeitern verzehrt wird".
Nach dieser Vorstellung würde aller Mehrwert, der in Kapital verwandelt wird, zu variablem Kapital. Er teilt sich vielmehr, wie
der ursprünglich vorgeschoßne Wert, in konstantes Kapital und variables Kapital, in Produktionsmittel und Arbeitskraft. Arbeitskraft ist die Form, worin das variable Kapital innerhalb des Produktionsprozesses existiert. In diesem Prozeß wird sie selbst vom
Kapitalisten verzehrt. Sie verzehrt durch ihre Funktion - die Arbeit - Produktionsmittel. Zugleich verwandelt sich das im Ankauf
der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel, die nicht von der
"produktiven Arbeit", sondern vom "produktiven Arbeiter" verzehrt
werden. A. Smith gelangt durch eine grundverkehrte Analyse zu dem
abgeschmackten Resultat, daß, wenn auch jedes individuelle Kapital sich in konstanten und variablen Bestandteil teilt, das gesellschaftliche Kapital sich in nur variables Kapital auflöst
oder nur in Zahlung von Arbeitslohn verausgabt wird. Z.B. ein
Tuchfabrikant verwandle 2000 Pfd.St. in Kapital. Er legt einen
Teil des Geldes im Ankauf von Webern aus, den andern Teil in Wollengarn, Wollenmaschinerie usw. Aber die Leute, von denen er das
Garn und die Maschinerie kauft, zahlen wieder mit einem Teil davon Arbeit usw., bis die ganzen 2000 Pfd.St. in Zahlung von Arbeitslohn verausgabt sind oder das ganze durch die 2000 Pfd.St.
repräsentierte Produkt durch produktive Arbeiter verzehrt ist.
Man sieht: die ganze Wucht dieses Arguments liegt in dem Wort
"usw.", das uns von Pontius zu Pilatus schickt. In der Tat, A.
Smith bricht die Untersuchung grade da ab, wo ihre Schwierigkeit
beginnt. 31)
#617# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
Solange man nur den Fonds der Gesamt-Jahresproduktion ins Auge
faßt, ist der jährliche Reproduktionsprozeß leicht verständlich.
Aber alle Bestandteile der jahresproduktion müssen auf den Warenmarkt gebracht werden, und da beginnt die Schwierigkeit. Die Bewegungen der Einzelkapitale und persönlichen Revenuen kreuzen,
vermengen, verlieren sich in einem allgemeinen Stellenwechsel der Zirkulation des gesellschaftlichen Reichtums -, der den Blick
verwirrt und der Untersuchung sehr verwickelte Aufgaben zu lösen
gibt. Im dritten Abschnitt des Zweiten Buches werde ich die Analyse des wirklichen Zusammenhanges geben. Es ist das große Verdienst der Physiokraten, in ihrem Tableau économique [138] zum
ersten Mal den Versuch gemacht zu haben, ein Bild der Jahresproduktion zu geben in der Gestalt, in welcher sie aus der Zirkulation hervorgeht. 32)
Es versteht sich übrigens von selbst, daß die politische Ökonomie
nicht verfehlt hat, im Interesse der Kapitalistenklasse A. Smiths
Satz auszubeuten: daß der ganze in Kapital verwandelte Teil des
Nettoprodukts von der Arbeiterklasse verzehrt wird.
#618# VII. Abschnitt - Der Akkumuktionsprozeß des Kapitals
wird vom Kapitalisten als Revenue verzehrt 33), ein andrer Teil
als Kapital angewandt oder akkumuliert.
Bei gegebner Masse des Mehrwerts wird der eine dieser Teile um so
größer sein, je kleiner der andre ist. Alle andern Umstände als
gleichbleibend genommen, bestimmt das Verhältnis, worin diese
Teilung sich vollzieht, die Größe der Akkumulation. Wer aber
diese Teilung vornimmt, das ist der Eigentümer des Mehrwerts, der
Kapitalist. Sie ist also sein Willensakt. Von dem Teil des von
ihm erhobnen Tributs, den er akkumuliert, sagt man, er spare ihn,
weil er ihn nicht aufißt, d.h., weil er seine Funktion als Kapitalist ausübt, nämlich die Funktion, sich zu bereichern.
Nur soweit der Kapitalist personifiziertes Kapital ist, hat er
einen historischen Wert und jenes historische Existenzrecht, das,
wie der geistreiche Uchnowski sagt, keinen Datum nicht hat. [139]
Nur soweit steckt seine eigne transitorische Notwendigkeit in der
transitorischen Notwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Aber soweit sind auch nicht Gebrauchswert und Genuß, sondern Tauschwert und dessen Vermehrung sein treibendes Motiv. Als
Fanatiker der Verwertung des Werts zwingt er rücksichtslos die
Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur
Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein
die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können,
deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Personifikation des Kapitals ist der Kapitalist respektabel. Als solche teilt er mit dem Schatzbildner den
absoluten Bereicherungstrieb. Was aber bei diesem als individuelle Manie erscheint, ist beim Kapitalisten Wirkung des gesellschaftlichen Mechanismus, worin er nur ein Triebrad ist. Außerdem
macht die Entwicklung der kapitalistischen Produktion eine fortwährende Steigerung des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals zur Notwendigkeit, und die Konkurrenz herrscht
jedem individuellen Kapitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise als äußere Zwangsgesetze auf. Sie
zwingt ihn, sein Kapital fortwährend auszudehnen, um es zu erhalten, und ausdehnen kann er es nur vermittelst progressiver Akkumulation.
#619# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
Soweit daher sein Tun und Lassen nur Funktion des in ihm mit Willen und Bewußtsein begabten Kapitals, gilt ihm sein eigner Privatkonsum als ein Raub an der Akkumulation seines Kapitals, wie
in der italienischen Buchhaltung Privatausgaben auf der Debetseite des Kapitalisten gegen das Kapital figurieren. Die Akkumulation ist Eroberung der Welt des gesellschaftlichen Reichtums.
Sie dehnt mit der Masse des exploitierten Menschenmaterials
zugleich die direkte und indirekte Herrschaft des Kapitalisten
aus. 34)
Aber die Erbsünde wirkt überall. Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, der Akkumulation und des Reichtums,
hört der
#620# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Kapitalist auf, bloße Inkarnation des Kapitals zu sein. Er fühlt
ein "menschliches Rühren" [140] für seinen eignen Adam und wird
so gebildet, die Schwärmerei für Askese als Vorurteil des altmodischen Schatzbildners zu belächeln. Während der klassische Kapitalist den individuellen Konsum als Sünde gegen seine Funktion
und "Enthaltung" von der Akkumulation brandmarkt, ist der modernisierte Kapitalist imstande, die Akkumulation als "Entsagung"
seines Genußtriebs aufzufassen. "Zwei Seelen wohnen, ach! in seiner Brust, die eine will sich von der andren trennen!" [141]
In den historischen Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise und jeder kapitalistische Parvenü macht dies historische
Stadium individuell durch - herrschen Bereicherungstrieb und Geiz
als absolute Leidenschaften vor. Aber der Fortschritt der kapitalistischen Produktion schafft nicht nur eine Welt von Genüssen.
Er öffnet mit der Spekulation und dem Kreditwesen tausend Quellen
plötzlicher Bereicherung. Auf einer gewissen Entwicklungshöhe
wird ein konventioneller Grad von Verschwendung, die zugleich
Schaustellung des Reichtums und daher Kreditmittel ist, sogar zu
einer Geschäftsnotwendigkeit des "unglücklichen" Kapitalisten.
Der Luxus geht in die Repräsentationskosten des Kapitals ein. Ohnehin bereichert sich der Kapitalist nicht, gleich dem Schatzbildner, im Verhältnis seiner persönlichen Arbeit und seines persönlichen Nichtkonsums, sondern im Maß, worin er fremde Arbeitskraft aussaugt und dem Arbeiter Entsagung aller Lebensgenüsse
aufzwingt. Obgleich daher die Verschwendung des Kapitalisten nie
den bona fide Charakter der Verschwendung des flotten Feudalherrn
besitzt, in ihrem Hintergrund vielmehr stets schmutzigster Geiz
und ängstlichste Berechnung lauern, wächst dennoch seine Verschwendung mit seiner Akkumulation, ohne daß die eine die andre
zu beabbruchen braucht. Damit entwickelt sich gleichzeitig in der
Hochbrust des Kapitalindividuums ein faustischer Konflikt zwischen Akkumulationsund Genußtrieb.
"Die Industrie von Manchester", heißt es in einer Schrift, die
Dr. Aikin 1795 veröffentlichte, "kann in vier Perioden geteilt
werden. In der ersten waren die Fabrikanten gezwungen, hart für
ihren Lebensunterhalt zu arbeiten."
Sie bereicherten sich besonders durch Bestehlung der Eltern, die
ihnen Jungen als apprentices (Lehrlinge) zuwiesen und dafür
schwer blechen mußten, während die Lehrlinge ausgehungert wurden.
Andrerseits waren die Durchschnittsprofite niedrig, und die Akkumulation verlangte große Sparsamkeit. Sie lebten wie Schatzbildner und verzehrten bei weitem nicht einmal die Zinsen ihres Kapitals.
#621# 22. Kapitel. Verwandlung von Mehrwert in Kapital
"In der zweiten Periode hatten sie begonnen, kleine Vermögen zu
erwerben, arbeiteten aber ebenso hart als zuvor", denn die unmittelbare Exploitation der Arbeit kostet Arbeit, wie jeder Sklaventreiber weiß, "und lebten nach wie vor in demselben frugalen
Stil... In der dritten Periode begann der Luxus, und das Geschäft
wurde ausgedehnt durch Aussendung von Reitern" (berittenen Commis
voyageurs) "für Ordres in jeder Marktstadt des Königreichs. Es
ist wahrscheinlich, daß wenige oder keine Kapitale von 3000 bis
4000 Pfd.St., in der Industrie erworben, vor 1690 existierten. Um
diese Zeit jedoch oder etwas später hatten die Industriellen
schon Geld akkumuliert und begannen steinerne Häuser statt der
von Holz und Mörtel aufzuführen. Noch in den ersten Dezennien des
18. Jahrhunderts setzte sich ein Manchester Fabrikant, der eine
Pint fremden Weins seinen Gästen vorsetzte, den Glossen und dem
Kopfschütteln aller seiner Nachbarn aus."
Vor dem Aufkommen der Maschinerie betrug der abendliche Konsum
der Fabrikanten in den Kneipen, wo sie zusammenkamen, nie mehr
als 6 d. für ein Glas Punsch und 1 d. für eine Rolle Tabak. Erst
1758, und dies macht Epoche, sah man "eine im Geschäft wirklich
engagierte Person mit eigner Equipage!" "Die vierte Periode", das
letzte Dritteil des 18. Jahrhunderts, "ist die von großem Luxus
und Verschwendung, unterstützt durch die Ausdehnung des Geschäfts." 35) Was würde der gute Dr. Aikin sagen, wenn er heutzutag in Manchester auferstände!
Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten [142]
"Die Industrie liefert das Material, welches die Sparsamkeit akkumuliert." 36) Also spart, spart, d.h., rückverwandelt möglichst
großen Teil des Mehrwerts oder Mehrprodukts in Kapital! Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen, in
dieser Formel sprach die klassische Ökonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus. Sie täuschte sich keinen Augenblick
über die Geburtswehn des Reichtums 37, aber was nützt der Jammer
über historische Notwendigkeit? Wenn der klassischen Ökonomie der
Proletarier nur als Maschine zur Produktion von Mehrwert, gilt
ihr aber auch der Kapitalist nur als Maschine zur Verwandlung
dieses Mehrwerts in Mehrkapital. Sie nimmt seine historische
Funktion in bitterm Ernst. Um seinen Busen vor dem unheilvollen
Konflikt zwischen
#622# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Genußtrieb und Bereicherungstrieb zu feien, verteidigte Malthus,
im Anfang der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, eine Teilung
der Arbeit, welche dem wirklich in der Produktion begriffenen Kapitalisten das Geschäft der Akkumulation, den andren Teilnehmern
am Mehrwert, der Landaristokratie, Staats-, Kirchenpfründnern
usw., das Geschäft der Verschwendung zuweist. Es ist von der
höchsten Wichtigkeit, sagt er, die Leidenschaft für Ausgabe und
die Leidenschaft für Akkumulation (the passion for expenditure
and the passion for accumulation) getrennt zu halten 38). Die
Herrn Kapitalisten, seit lange in be- und Weltmänner verwandelt,
schrien auf. Was, rief einer ihrer Wortführer, ein Ricardianer,
Herr Malthus predigt hohe Grundrenten, hohe Steuern usw., um dem
Industriellen einen fortwährenden Stachel durch unproduktive Konsumenten aufzudrücken! Allerdings Produktion, Produktion auf
stets erweiterter Stufenleiter, lautet das Schibboleth, aber
"Produktion wird durch einen solchen Prozeß weit mehr gehemmt als
gefördert. Auch ist es nicht ganz billig (nor is it quite fair),
eine Anzahl Personen so im Müßiggang zu erhalten, nur um andre zu
kneipen, aus deren Charakter man schließen darf (who are likely,
from their characters), daß, wenn ihr sie zu funktionieren zwingen könnt, sie mit Erfolg funktionieren." 39)
So unbillig er es findet, den industriellen Kapitalisten zur Akkumulation zu stacheln, indem man ihm das Fett von der Suppe wegschöpft, so notwendig dünkt ihm, den Arbeiter möglichst auf den
Minimallohn zu beschränken, "um ihn arbeitsam zu erhalten". Auch
verheimlicht er keinen Augenblick, daß Aneignung unbezahlter Arbeit das Geheimnis der Plusmacherei ist.
"Vermehrte Nachfrage von Seite der Arbeiter meint durchaus nichts
als ihre Geneigtheit, weniger von ihrem eignen Produkt für sich
selbst zu nehmen und einen größren Teil davon ihren Anwendern zu
überlassen; und wenn man sagt, daß dies, durch Venderung der Konsumtion" (auf seiten der Arbeiter) "glut" (Marktüberfüllung,
Überproduktion) "erzeugt, so kann ich nur antworten, daß glut
synonym mit hohem Profit ist." 40)
Der gelehrte Zank, wie die dem Arbeiter ausgepumpte Beute förderlichst für die Akkumulation zu verteilen sei zwischen industriellem Kapitalist und müßigem Grundeigentümer usw., verstummte vor
der Julirevolution. Kurz nachher läutete das städtische Proletariat die Sturmglocke zu
38) "Malthus, l.c.p. 319, 320.
39) "An Inquiry into those principies respecting the Nature of
Demand etc.". p. 67.
40) l.c.p. 59.
#623# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
Lyon und ließ das Landproletariat den roten Hahn in England fliegen. Diesseits des Kanals grassierte der Owenismus, jenseits St.Simonismus und Fourierismus. Die Stunde der Vulgärökonomie hatte
geschlagen. Grade ein Jahr, bevor Nassau W. Senior zu Manchester
ausfand, daß der Profit (inkl. Zins) des Kapitals das Produkt der
unbezahlten "letzten zwölften Arbeitsstunde" ist, hatte er der
Welt eine andre Entdeckung angekündigt.. "Ich", sagte er feierlich, "ich ersetze das Wort Kapital, als Produktionsinstrument
betrachtet, durch das Wort Abstinenz (Enthaltung)." 41) Ein unübertroffenes Muster dies von den "Entdeckungen" der Vulgärökonomie! Sie ersetzt eine ökonomische Kategorie durch eine sykophantische Phrase. Voilà tout. 2*) "Wenn der Wilde", doziert Senior,
"Bogen fabriziert, so übt er eine Industrie aus, aber er praktiziert nicht die Abstinenz." Dies erklärt uns, wie und warum in
früheren Gesellschaftszuständen "ohne die Abstinenz" des Kapitalisten Arbeitsmittel fahriziert wurden. "Je mehr die Gesellschaft
fortschreitet, um so mehr Abstinenz erfordert sie" 42), nämlich
von denen, welche die Industrie ausüben, sich die fremde Industrie und ihr Produkt anzueignen. Alle Bedingungen des Arbeitsprozesses verwandeln sich von nun in ebenso viele Abstinenzpraktiken des Kapitalisten. Daß Korn nicht nur gegessen, sondern auch
gesät wird, Abstinenz des Kapitalisten. Daß der Wein die Zeit erhält, auszugären, Abstinenz des Kapitalisten! 43) Der Kapitalist
beraubt seinen eignen Adam, wenn er die "Produktionsinstrumente
#624# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
dem Arbeiter leiht" (!), alias sie durch Einverleibung der Arbeitskraft als Kapital verwertet, statt Dampfmaschinen, Baumwolle, Eisenbahnen, Dünger, Zugpferde usf. aufzuessen oder, wie
der Vulgärökonom sich das kindlich vorstellt, "ihren Wert" in Luxus und andren Konsumtionsmitteln zu verprassen. 44) Wie die Kapitalistenklasse das anstellen soll, ist ein von der Vulgärökonomie bisher hartnäckig bewahrtes Geheimnis. Genug, die Welt lebt
nur noch von der Selbstkasteiung dieses modernen Büßers des
Wischnu, des Kapitalisten. Nicht nur die Akkumulation, die einfache "Erhaltung eines Kapitals erheischt beständige Kraftanstrengung, um der Versuchung zu widerstehn, es aufzuessen". 45) Die
einfache Humanität gebeut also offenbar, den Kapitalisten von
Martyrium und Versuchung zu erlösen, in derselben Weise, wie der
georgische Sklavenhalter jüngst durch Abschaffung der Sklaverei
von dem schmerzlichen Dilemma erlöst ward, ob das dem Negersklaven ausgepeitschte Mehrprodukt ganz in Champagner zu verjubeln
oder auch teilweis in mehr Neger und mehr Land rückzuverwandeln.
In den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen findet nicht nur einfache Reproduktion statt, sondern, obgleich auf
verschiednem Maßstab, Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter.
Es wird progressiv mehr produziert und mehr konsumiert, also auch
mehr Produkt in Produktionsmittel verwandelt. Dieser Prozeß erscheint aber nicht als Akkumulation von Kapital und daher auch
nicht als Funktion des Kapitalisten, solange dem Arbeiter seine
Produktionsttel, daher auch sein Produkt und seine Lebensmittel,
noch nicht in der Form von Kapital gegenüberstehn. 46) Der vor
einigen Jahren verstorbene Richard Jones, Nachfolger von Malthus
#625# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
auf dem Lehrstuhl der politischen Ökonomie am ostindischen College zu Halleybury, erörtert dies gut an zwei großen Tatsachen.
Da der zahlreichste Teil des indischen Volks selbstwirtschaftende
Bauern, existiert ihr Produkt, ihre Arbeits- und Lebensmittel,
auch nie in der Form (in the shape) eines Fonds, der aus fremder
Revenue erspart wird (saved from Revenue) und daher einen vorläufigen Prozeß der Akkumulation (a previous process of accumulation) durchlaufen hat" 47). Andrerseits werden die nicht-agrikolen Arbeiter in den Provinzen, wo die englische Herrschaft das
alte System am wenigsten aufgelöst hat, direkt von den Großen beschäftigt, denen eine Portion des ländlichen Mehrprodukts als
Tribut oder Grundrente zufließt. Ein Teil dieses Produkts wird in
Naturalform von den Großen verzehrt, ein andrer Teil für sie von
den Arbeitern in Luxus- und sonstige Konsumtionsmittel verwandelt, während der Rest den Lohn der Arbeiter bildet, die Eigentümer ihrer Arbeitsinstrumente sind. Produktion und Reproduktion
auf erweiterter Stufenleiter gehn hier ihren Gang ohne alle Dazwischenkunft jenes wunderlichen Heiligen, jenes Ritters von der
traurigen Gestalt, des "entsagenden" Kapitalisten.
#626# VII.Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Mehrwert sich auf 3000 oder auf 1500 Pfd.St. belaufen hat. Demnach wirken bei Bestinunung der Größe der Akkumulation alle die
Umstände mit, die die Masse des Mehrwerts bestimmen. Wir fassen
sie hier nochmals zusammen, aber nur insofern sie mit Bezug auf
die Akkumulation neue Gesichtspunkte bieten.
Man erinnert sich, daß die Rate des Mehrwerts in erster Instanz
abhängt vom Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Die politische
Ökonomie würdigt diese Rolle so sehr, daß sie gelegentlich die
Beschleunigung der Akkumulation durch erhöhte Produktionskraft
der Arbeit identifiziert mit ihrer Beschleunigung durch erhöhte
Exploitation des Arbeiters. 48) In den Abschnitten über die Produktion des Mehrwerts ward beständig unterstellt, daß der Arbeitslohn wenigstens gleich dem Wert der Arbeitskraft ist. Die
gewaltsame Herabsetzung des Arbeitslohns unter diesen Wert spielt
jedoch in der praktischen Bewegung eine zu wichtige Rolle, um uns
nicht einen Augenblick dabei aufzuhalten. Sie verwandelt faktisch, innerhalb gewisser Grenzen, den notwendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in einen Akkumulationsfonds von Kapital.
"Arbeitslöhne", sagt J. St. Mill, "haben keine Produktivkraft;
sie sind der Preis einer Produktivkraft; Arbeitslöhne tragen
nicht, neben der Arbeit selbst, zur Warenproduktion bei, so wenig
als der Preis der Maschinerie selbst. Könnte Arbeit ohne Kauf gehabt werden, so wären Arbeitslöhne überflüssig." 49)
Wenn aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wären sie
auch um keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtkosten ist also eine
Grenze im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets
annäherbar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals, sie auf
diesen nihilistischen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir
zitierter Schriftsteller des 18. Jahrhunderts,
#627# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
der Verfasser des "Essay on Trade and Commerce", verrät nur das
innerste Seelengeheimnis des englischen Kapitals, wenn er es für
die historische Lebensaufgabe Englands erklärt, den englischen
Arbeitslohn auf das französische und holländische Niveau herabzudrücken. 50) Er sagt u.a. naiv:
"Wenn aber unsre Armen" (Kunstausdruck für Arbeiter) "luxuriös
leben wollen... muß ihre Arbeit natürlich teuer sein... Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Überflüssigkeiten (heap
of superfluities), die unsre Manufakturarbeiter verzehren, als da
sind Branntwein, Gin, Tee, Zucker, fremde Früchte, starkes Bier,
gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak etc." 51)
Er zitiert die Schrift eines Fabrikanten von Northamptenshire,
der mit himmelwärts schielendem Blick jammert:
"Arbeit ist ein ganzes Dritteil wohlfeiler in Frankreich als in
England: denn die französischen Armen arbeiten hart und fahren
hart an Nahrung und Kleidung, und ihr Hauptkonsum sind Brot,
Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrockneter Fisch; denn sie essen
sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen teuer ist, sehr wenig
Brot." 52) "Wozu", fährt der Essayist fort, "wozu noch kommt, daß
ihr Getränk aus Wasser besteht oder ähnlichen schwachen Likören,
so daß sie in der Tat erstaunlich wenig Geld ausgeben... Ein derartiger Zustand der Dinge ist sicherlich schwer herbeizuführen,
aber er ist nicht unerreichbar, wie seine Existenz sowohl in
Frankreich als Holland schlagend beweist." 53)
#628# VII.Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Zwei Jahrzehnte später verfolgte ein amerikanischer Humbug, der
baronisierte Yankee Benjamin Thompson (alias Graf Rumford), dieselbe Philanthropielinie mit großem Wohlgefallen vor Gott und den
Menschen. Seine "Essays" sind ein Kochbuch mit Rezepten aller
Art, um Surrogate an die Stelle der teuren Normalspeisen des Arbeiters zu setzen. Ein besonders gelungnes Rezept dieses wunderlichen "Philosophen" ist folgendes:
"Fünf Pfund Gerste, fünf Pfund Mais, für 3 d. Heringe, 1 d. Salz,
1 d. Essig. 2 d. Pfeffer und Kräuter - Summa von 20 3/4 d. gibt
eine Suppe für 64 Menschen, ja mit den Durchschnittspreisen von
Korn kann die Kost auf 1/4 d. per Kopf" (noch nicht 3 Pfennige)
herabgedrückt werden." 54)
Mit dem Fortschritt der kapitalistischen Produktion hat die Warenfälschung Thompsons Ideale überflüssig gemacht. 55)
Ende des 18. und während der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts erzwangen die englischen Pächter und Landlords das absolute
Minimalsalair, indem sie den Ackerbautaglöhnern weniger als das
Minimum in der Form des Arbeitslohns, den Rest aber in der Form
von Pfarreiunterstützung auszahlten. Ein Beispiel der Possenreißerei, womit die englischen Dogberries in ihrer "legalen" Festsetzung des Lohntarifs verfuhren:
#629# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
"Als die Squires die Arbeitslöhne für Speenhamland 1795 festsetzten, hatten sie zu Mittag gespeist, dachten aber offenbar, daß
die Arbeiter nicht desgleichen nötig hätten... Sie entschieden,
der Wochenlohn solle 3 sh. per Mann sein, wenn der Laib Brot von
8 Pfund 11 Unzen auf 1 sh. stünde, und er solle regelmäßig wachsen, bis der Laib 1 sh. 5 d. koste. Sobald er über diesen Preis
stiege, sollte der Lohn proportionell abnehmen, bis der Preis des
Laibes 2 sh. erreicht hätte; und dann sollte die Nahrung des Mannes 1/5 weniger als vorher sein." 56)
Vor dem Untersuchungskomitee des House of Lords, 1814, wird ein
gewisser A. Bennett, großer Pächter, Magistrat, Armenhausverwalter und Lohnregulator, gefragt:
"Wird irgendeine Proportion zwischen dem Wert der Tagesarbeit und
der Pfarreiunterstützung der Arbeiter beobachtet?" Antwort: "Ja.
Das wöchentliche Einkommen jeder Familie wird über ihren Nominallohn hinaus voll gemacht bis zum Gallonlaib Brot (8 Pf. 11 Unzen)
und 3 d. per Kopf... Wir unterstellen den Gallonlaib hinreichend
für die Erhaltung jeder Person in der Familie während der Woche;
und die 3 d. sind für Kleider; und wenn es der Pfarrei beliebt,
die Kleider selbst zu stellen, werden die 3 d. abgezogen. Diese
Praxis herrscht nicht nur im ganzen Westen von Wiltshite, sondern, wie ich glaube, im ganzen Land." 57) "So", ruft ein Bourgeoisschriftsteller jener Zeit, "haben die Pächter jahrelang eine
respektable Klasse ihrer Landsleute degradiert, indem sie dieselben zwangen, zum Workhouse ihre Zuflucht zu nehmen... Der Pächter
hat seine eignen Gewinne vermehrt, indem er selbst die Akkumulation des unentbehrlichsten Konsumfonds auf Seite der Arbeiter
verhinderte." 58)
Welche Rolle heutzutag der direkte Raub am notwendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in der Bildung des Mehrwerts und daher des
Akkumulationsfonds des Kapitals spielt, hat beispielsweis die
sog. Hausarbeit (s. Kap. XV, 8, c.) gezeigt. Weitere Tatsachen im
Verlauf dieses Abschnitts. Obschon in allen Industriezweigen der
aus Arbeitsmitteln bestehende Teil des konstanten Kapitals genügen muß für eine gewisse, durch die Größe der Anlage bestimmte
Anzahl Arbeiter, so braucht er doch keineswegs immer in demselben
Verhältnis zu wachsen wie die beschäftigte Arbeitsmenge. In einer
Fabrikanlage mögen hundert Arbeiter bei achtständiger
#630# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Arbeit 800 Arbeitsstunden liefern. Will der Kapitalist diese
Summe um die Hälfte steigern, so kann er 50 neue Arbeiter anstellen, dann muß er aber auch ein neues Kapital vorschießen, nicht
nur für Löhne, sondern auch für Arbeitsmittel. Er kann aber auch
die alten 100 Arbeiter 12 Stunden arbeiten lassen statt 8, und
dann genügen die schon vorhandnen Arbeitsmittel, die sich dann
bloß rascher verschleißen. So kann durch höhere Anspannung der
Arbeitskraft erzeugte, zusätzliche Arbeit das Mehrprodukt und den
Mehrwert, die Substanz der Akkumulation, steigern ohne verhältnismäßige Steigerung des konstanten Kapitalteils.
In der extraktiven Industrie, den Bergwerken Z.B., bilden die
Rohstoffe keinen Bestandteil des Kapitalvorschusses. Der Arbeitsgegenstand ist hier nicht Produkt vorhergegangner Arbeit, sondern
von der Natur gratis geschenkt. So Metallerz, Minerale, Steinkohlen, Steine etc. Hier besteht das konstante Kapital fast ausschließlich in Arbeitsmitteln, die ein vermehrtes Arbeitsquantum
sehr gut vertragen können (Tag- und Nachtschicht von Arbeitern
z.B.). Alle andern Umstände gleichgesetzt, wird aber Masse und
Wert des Produkts steigen in direktem Verhältnis der angewandten
Arbeit. Wie am ersten Tag der Produktion, gehn hier die ursprünglichen Produktbildner, daher auch die Bildner der stofflichen
Elemente des Kapitals, Mensch und Natur, zusammen. Dank der Elastizität der Arbeitskraft hat sich das Gebiet der Akkumulation
erweitert ohne vorherige Vergrößerung des konstanten Kapitals.
In der Agrikultur kann man das bebaute Land nicht ausdehnen ohne
Vorschuß von zusätzlichem Samen und Dünger. Aber dieser Vorschuß
einmal gemacht, übt selbst die rein mechanische Bearbeitung des
Bodens eine wundertätige Wirkung auf die Massenhaftigkeit des
Produkts. Eine größere Arbeitsmenge, geleistet von der bisherigen
Anzahl Arbeiter, steigert so die Fruchtbarkeit, ohne neuen Vorschuß an Arbeitsmitteln zu erfordern. Es ist wieder direkte Wirkung des Menschen auf die Natur, welche zur unmittelbaren Quelle
gesteigerter Akkumulation wird, ohne Dazwischenkunft eines neuen
Kapitals.
Endlich in der eigentlichen Industrie setzt jede zusätzliche Ausgabe an Arbeit eine entsprechende Zusatzausgabe an Rohstoffen
voraus, aber nicht notwendig auch an Arbeitsmitteln. Und da die
extraktive Industrie und Agrikultur der fabrizierenden Industrie
ihre eignen Rohstoffe und die ihrer Arbeitsmittel liefern, kommt
dieser auch der Produktenzuschuß zugute, den jene ohne zusätzlichen Kapitalzuschuß erzeugt haben.
Allgemeines Resultat: Indem das Kapital sich die beiden Urbildner
des Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es
eine Expansionskraft,
#631# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen
jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, gesteckt durch den Wert und die Masse der bereits produzierten Produktionsmittel, in denen es sein Dasein hat.
Ein andrer wichtiger Faktor in der Akkumulation des Kapitals ist
der Produktivitätsgrad der gesellschaftlichen Arbeit.
Mit der Produktivkraft der Arbeit wächst die Produktenmasse,
worin sich ein bestimmter Wert, also auch Mehrwert von gegebner
Größe, darstellt. Bei gleichbleibender und selbst bei fallender
Rate des Mehrwerts, sofern sie nur langsamer fällt, als die Produktivkraft der Arbeit steigt, wächst die Masse des Mehrprodukts.
Bei gleichbleibender Teilung desselben in Revenue und Zusatzkapital kann daher die Konsumtion des Kapitalisten wachsen ohne Abnahme des Akkumulationsfonds. Die proportionelle Größe des Akkumulationsfonds kann selbst auf Kosten des Konsumtionsfonds wachsen, während die Verwohlfellerung der Waren dem Kapitalisten
ebenso viele oder mehr Genußmittel als vorher zur Verfügung
stellt. Aber mit der wachsenden Produktivität der Arbeit geht,
wie man gesehn, die Verwohlfeilerung des Arbeiters, also wachsende Rate des Mehrwerts, Hand in Hand, selbst wenn der reelle
Arbeitslohn steigt. Er steigt nie verhältnismäßig mit der Produktivität der Arbeit. Derselbe variable Kapitalwert setzt also mehr
Arbeitskraft und daher mehr Arbeit in Bewegung. Derselbe konstante Kapitalwert stellt sich in mehr Produktionsmitteln, d.h.
mehr Arbeitsmitteln, Arbeitsmaterial und Hilfsstoffen dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Wertbildner oder Arbeitseinsauger. Bei gleichbleiben, dem und selbst abnehmendem
Wert des Zusatzkapitals findet daher beschleunigte Akkumulation
statt. Nicht nur erweitert sich die Stufenleiter der Reproduktion
stofflich, sondern die Produktion des Mehrwerts wächst schneller
als der Wert des Zusatzkapitals.
Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit reagiert auch auf
das Originalkapital oder das bereits im Produktionsprozeß befindliche Kapital. Ein Teil des funktionierenden konstanten Kapitals
besteht aus Arbeitsmitteln, wie Maschinerie usw., die nur in längeren Perioden konsumiert und daher reproduziert oder durch neue
Exemplare derselben Art ersetzt werden. Aber jedes Jahr stirbt
ein Teil dieser Arbeitsmittel ab oder erreicht das Endziel seiner
produktiven Funktion. Er befindet sich daher jedes Jahr im Stadium seiner periodischen Reproduktion oder seines Ersatzes durch
neue Exemplare derselben Art. Hat die Produktivkraft der Arbeit
sich in der Geburtsstätte dieser Arbeitsmittel erweitert, und sie
entwickelt sich fortwährend mit dem ununterbrochenen Fluß der
Wissenschaft
#632# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
und der Technik, so tritt wirkungsvollere und, ihren Leistungsumfang betrachtet, wohlfeilere Maschine, Werkzeug, Apparat usw. an
die Stelle der alten. Das alte Kapital wird in einer produktiveren Form reproduziert, abgesehn von der fortwährenden Detailveränderung an den vorhandnen Arbeitsmitteln. Der andre Teil des
konstanten Kapitals, Rohmaterial und Hilfsstoffe, wird fortwährend innerhalb des Jahrs, der der Agrikultur entstammende meist
jährlich reproduziert. Jede Einführung beßrer Methoden usw. wirkt
hier also fast gleichzeitig auf Zuschußkapital und bereits in
Funktion begriffnes Kapital. jeder Fortschritt der Chemie vermannigfacht nicht nur die Zahl der nützlichen Stoffe und die Nutzanwendungen der schon bekannten, und dehnt daher mit dem Wachstum
des Kapitals seine Anlagesphären aus. Er lehrt zugleich die Exkremente des Produktions- und Konsumtionsprozesses in den Kreislauf des Reproduktionsprozesses zurückschleudern, schafft also
ohne vorherige Kapitalauslage neuen Kapitalstoff. Gleich vermehrter Ausbeutung des Naturreichtums durch bloß höhere Spannung der
Arbeitskraft, bilden Wissenschaft und Technik eine von der gegebnen Größe des funktionierenden Kapitals unabhängige Potenz seiner
Expansion. Sie reagiert zugleich auf den in sein Erneuerungsstadium eingetretenen Teil des Originalkapitals. In seine neue Form
einverleibt es gratis den hinter dem Rücken seiner alten Form
vollzogenen gesellschaftlichen Fortschritt. Allerdings ist diese
Entwicklung der Produktivkraft zugleich begleitet von teilweiser
Depreziation funktionierender Kapitale. Soweit diese Depreziation
sich durch die Konkurrenz akut fühlbar macht, fällt die Hauptwucht auf den Arbeiter, in dessen gesteigerter Exploitation der
Kapitalist Schadenersatz sucht.
Die Arbeit überträgt auf das Produkt den Wert der von ihr konsumierten Produktionsmittel. Andrerseits wächst Wert und Masse der
durch gegebne Arbeitsmenge in Bewegung gesetzten Produktionsmittel im Verhältnis, wie die Arbeit produktiver wird. Setzt also
auch dieselbe Arbeitsmenge ihren Produkten immer nur dieselbe
Summe Neuwert zu, so wächst doch der alte Kapitalwert, den sie
ihnen gleichzeitig übertägt, mit steigender Produktivität der Arbeit.
Ein englischer und ein chinesischer Spinner z.B. mögen dieselbe
Stundenzahl mit derselben Intensität arbeiten, so werden beide in
einer Woche gleiche Werte erzeugen. Trotz dieser Gleichheit besteht ein ungeheurer Unterschied zwischen dem Wert des Wochenprodukts des Engländers, der mit einem gewaltigen Automaten arbeitet, und des Chinesen, der nur ein Spinnrad hat. In derselben
Zeit, wo der Chinese ein Pfund Baumwolle, verspinnt der Engländer
mehrere hundert Pfund. Eine um
#633# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
mehrere hundert Mal größere Summe alter Werte schwellt den Wert
seines Produkts an, in welchem sie in neuer nutzbarer Form erhalten werden und so von neuem als Kapital funktionieren können.
"1782", belehrt uns F. Engels, "lag die ganze Wollernte der vorhergehenden drei Jahre" (in England) "aus Mangel an Arbeitern
noch unverarbeitet da und hätte liegenbleiben müssen, wenn nicht
die neuerfundne Maschinerie zu Hlfe gekommen wäre und sie versponnen hätte." 59) Die in der Form von Maschinerie vergegenständlichte Arbeit stampfte natürlich unmittelbar keinen Menschen
aus dem Boden, aber sie erlaubte einer geringen Arbeiteranzahl
durch Zusatz von relativ wenig lebendiger Arbeit nicht nur die
Wolle produktiv zu konsumieren und ihr Neuwert zuzusetzen, sondern in der Form von Garn usw. ihren alten Wert zu erhalten. Sie
lieferte damit zugleich Mittel und Sporn zur erweiterten Reproduktion von Wolle. Es ist die Naturgabe der lebendigen Arbeit,
alten Wert zu erhalten, während sie Neuwert schafft. Mit dem
Wachstum von Wirksamkeit, Umfang und Wert ihrer Produktionsmittel, also mit der die Entwicklung ihrer Produktivkraft begleitenden Akkumulation erhält und verewigt die Arbeit daher in stets
neuer Form einen stets schwellenden Kapitalwert. 60) Diese Naturkraft der Arbeit erscheint als Selbsterhaltungskraft des
59) Friedrich Engels, "Lage der arbeitenden Klasse in England",
p. 20. 1*)
60) Die klassische Ökonomie hat wegen mangelhafter Analyse des
Arbeits- und Verwertungsprozesses dies wichtige Moment der Reproduktion nie ordentlich begriffen, wie man z.B. bei Ricardo sehn
kann. Er sagt z.B.: Welches immer der Wechsel der Produktivkraft,
eine Million Menschen produziert in den Fabriken stets denselben
Wert". Dies richtig, wenn Extension und Intensivgrad ihrer Arbeit
gegeben. Es verhindert aber nicht, und Ricardo übersieht dies in
gewissen Schlußfolgerungen, daß eine Million Menschen sehr verschiedne Massen von Produktionsmitteln, bei verschiedner Produktivkraft ihrer Arbeit, in Produkt verwandelt, daher sehr verschiedne Wertmassen in ihrem Produkt erhält, die von ihr gelieferten Produktenwerte also sehr verschieden sind. Ricardo hat,
nebenbei bemerkt, an jenem Beispiel umsonst versucht, dem J. B.
Say den Unterschied zwischen Gebrauchswert (den er hier wealth
nennt, stofflichen Reichtum) und Tauschwert klarzumachen. Say
antwortet: "Was die Schwierigkeit anbelangt, die Ricardo hervorhebt, wenn er sagt, daß bei besseren Ver fahren eine Million Menschen zwei- bis dreimal soviel Reichtümer hervorbringen kann,
ohne mehr Wert zu erzeugen, so verschwindet diese Schwierigkeit,
wenn man, wie erforderlich, die Produktion als einen Austausch
ansieht, bei dem man die produktiven Dienste seiner Arbeit, seiner Erde und seiner Kapitalien hergibt, um Produkte zu erhalten.
Durch diese produktiven Dienste erhalten wir nämlich alle Produkte, die
#634# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Kapitals, dem sie einverleibt ist, ganz wie ihre gesellschaftlichen Produktivkräfte als seine Eigenschaften, und wie die beständige Aneignung der Mehrarbeit durch den Kapitalisten als beständige Selbstverwertung des Kapitals. Alle Kräfte der Arbeit projektieren sich als Kräfte des Kapitals, wie alle Wertformen der
Ware als Formen des Geldes.
#635# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
Mit dem Wachstum des Kapitals wächst die Differenz zwischen angewandtem und konsumiertem Kapital. In andren Worten: Es wächst die
Wert- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Maschinerie, Drainierungsröhren, Arbeitsvieh, Apparate jeder Art,
die während längerer oder kürzerer Periode, in beständig wiederholten Produktionsprozessen, ihrem ganzen Umfang nach funktionieren oder zur Erzielung bestimmter Nutzeffekte dienen, während sie
nur allmählich verschleißen, daher ihren Wert nur stückweis verlieren, also auch nur stückweis auf das Produkt übertragen. Im
Verhältnis, worin diese Arbeitsmittel als Produktbildner dienen,
ohne dem Produkt Wert zuzusetzen, also ganz angewandt, aber nur
teilweis konsumiert werden, leisten sie, wie früher erwähnt, denselben Gratisdienst wie Naturkräfte, Wasser, Dampf, Luft, Elektrizität usw. Dieser Gratisdienst der vergangnen Arbeit, wenn ergriffen und beseelt von der lebendigen Arbeit, akkumuliert mit
der wachsenden Stufenleiter der Akkumulation.
Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d.h.
das Passivum der Arbeit von A, B, C usw. in das Aktivum des
Nichtarbeiters X, sind Bürger und politische Ökonomen voll des
Lobes für die Verdienste der vergangnen Arbeit, welche nach dem
schottischen Genie MacCulloch sogar einen eignen Sold (Zins, Profit usw.) beziehn muß. 61) Das stets wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsprozeß unter der Form von Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Arbeiter selbst,
dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremdeten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapitalgestalt. Die praktischen Agenten der kapitalistischen Produktion und ihre ideologischen Zungendrescher sind ebenso unfähig, das Produktionsmittel von der
antagonistischen gesellschaftlichen Charaktermaske, die ihm heutzutag anklebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von seinem Charakter als Sklave.
Bei gegebnem Exploitationsgrad der Arbeitskraft ist die Masse des
Mehrwerts bestimmt durch die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Arbeiter, und diese entspricht, obgleich in wechselndem Verhältnis, der Größe des Kapitals. je mehr also das Kapital vermittelst sukzessiver Akkumulationen wächst, desto mehr wächst auch
die Wertsumme, die sich in
#636# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
Konsumtionsfonds und Akkumulationsfonds spaltet. Der Kapitalist
kann daher flotter leben und zugleich, mehr "entsagen". Und
schließlich spielen alle Springfedern der Produktion um so energischer, je mehr ihre Stufenleiter sich erweitert mit der Masse
des vorgeschossenen Kapitals.
5. Der sogenannte Arbeitsfonds
Es ergab sich im Verlauf dieser Untersuchung, daß das Kapital
keine fixe Größe ist, sondern ein elastischer und mit der Teilung
des Mehrwerts in Revenue und Zusatzkapital beständig fluktuierender Teil des gesellschaftlichen Reichtums. Man sah ferner, daß
selbst bei gegebner Größe des funktionierenden Kapitals die ihm
einverleibte Arbeitskraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zutat des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Grenzen einen von seiner eignen
Größe unabhängigen Spielraum gestatten. Es wurde dabei von allen
Verhältnissen des Zirkulationsprozesses abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapitalmasse verursachen. Es
wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Produktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Produktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmäßig bewirkbaren rationelleren Kombination. Die klassische Ökonomie liebte es von jeher, das gesellschaftliche Kapital als eine
fixe Größe von fixem Wirkungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurteil
ward erst zum Dogma befestigt durch den Urphilister jeremias
Bentham, dies nüchtern pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des 19. Jahrhunderts. 62) Bentham ist unter den Philosophen, was Martin Tupper unter den Dichtern. Beide
waren nur in England fabrizierbar. 63) Mit seinem Dogma werden
die gewöhnlichsten Erscheinungen des Produktionsprozesses, wie
z.B dessen plötzliche Expansionen und Kontraktionen, ja sogar die
Akkumulation, völlig ---
62) Vgl. u.a.: J. Bentham, "Théorie des Peines et des Récompenses", trad. Et. Du. mont, 3ème éd., Paris 1826, t.II,l.IV, ch.
II.
63) Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phänomen. Selbst unsern Philosophen Christian Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner
Zeit und in keinem Land der hausbackenste Gemeinplatz sich jemals
so selbstgefällig breitgemacht. Das Nützlichkeitsprinzip war
keine Erfindung Benthams. Er reproduzierte nur geistlos, was Helvetius
#637# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
unbegreifbar. 64) Das Dogma wurde sowohl von Bentham selbst als
von Malthus, James Mill, MacCulloch usw. zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um einen Teil des Kapitals, das variable
oder in Arbeitskraft umsetzbare Kapital als eine fixe Größe darzustellen. Die stoffliche Existenz des variablen Kapitals, d.h.
die Masse der Lebensmittel, die es für den Arbeiter repräsentiert, oder der sog. Arbeitsfonds, wurde in einem durch Naturketten abgeringten und unüberschreitbaren Sondertell des gesellschaftlichen Reichtums verfabelt. Um den Teil des gesellschaftlichen Reichtums, der als konstantes Kapital oder, stofflich ausgedruckt, als Produktionsmittel funktionieren soll, in Bewegung zu
setzen, ist eine bestimmte Masse lebendiger Arbeit erheischt.
Diese ist technologisch gegeben. Aber weder ist die Anzahl der
Arbeiter gegeben, erheischt, um diese Arbeitsmasse flüssig zu machen, denn das wechselt mit dem Exploitationsgrad der individuellen Arbeitskraft, noch der Preis dieser Arbeitskraft, sondern nur
seine
#638# VII. Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals
zudem sehr elastische Minimalschranke. Die Tatsachen, die dem
Dogma zu Grund liegen, sind die: Einerseits hat der Arbeiter
nicht mitzusprechen bei der Teilung des gesellschaftlichen Reichtums in Genußmittel der Nichtarbeiter und in Produktionsmittel.
Andrerseits kann er nur in günstigen Ausnahmsfällen den sog.
"Arbeitsfonds" auf Kosten der "Revenue" des Reichen erweitern.
65) Zu welch abgeschmackter Tautologie es führt, die kapitalistische Schranke des Arbeitsfonds in seine gesellschaftliche Naturschranke umzudichten, zeige u.a. Professor Fawcett:
"Das zirkulierende Kapital 66) eines Landes", sagt er, "ist sein
Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen Geldlohn, den jeder
Arbeiter erhält, zu berechnen haben wir nur einfach dies Kapital
durch die Anzahl der Arbeiterbevölke zu dividieren." 67)
D.h. also, erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen
Arbeitslöhne in eine Summe zusammen, dann behaupten wir, daß
diese Addition die Wertsumme des von Gott und Natur oktroyierten
"Arbeitsfonds" bildet. Endlich dividieren wir die so erhaltne
Summe durch die Kopfzahl der Arbeiter, um hinwiederum zu entdecken, wieviel jedem Arbeiter Ind'lviduell im Durchschnitt zufallen
kann. Eine ungemein pfiffige Prozedur dies. Sie verhindert Herrn
Fawcett nicht, im selben Atemzug zu sagen:
"Der in England jährlich akkumulierte Gesamtreichtum wird in zwei
Teile geeilt. Ein Teil wird in England zur Erhaltung unsrer eignen Industrie verwandt. Ein andrer
65) J. St. Mill sagt in seinen "Principles of Polit. Economy" [b.
II, ch. 1, § 3]: Du Produkt der Arbeit wird heutzutag verteilt im
umgekehrten Verhältnis zur Arbeit der größte Teil an die, die
niemals arbeiten, der nächstgrößte an die, deren Arbeit fast nur
nominell ist, und so, auf absteigender Skala, schrumpft die Belohnung en, im Maße wie die Arbeit härter und unangenehmer wird,
bis die ermüdendste und erschöpfendste körperliche Arbeit nicht
mit Sicherheit auch nur auf Gewinnung der Lebensbedürfnisse rechnen kann." Zur Vermeidung von Mißverstindnis bemerke ich, daß,
wenn Männer wie J. St. Mill usw. wegen des Widerspruchs ihrer
altökonomischen Dogmen und ihrer modernen Tendenzen zu rügen
sind, es durchaus unrecht wäre, sie mit dem Troß der vulgärakonomischen Apologeten zusammenzuwerfen.
66) H. Fawcett, Prof. of Polit. Econ. at Cambridge: "The Economic
Position of the British Labourer", Lond. 1865, p. 120.
67) Ich erinnere hier den Leser, daß die Kategorien: variables
und konstantes Kapital von mir zuerst gebraucht werden: Die politische Ökonomie seit A. Smith wirft die darin enthaltenen Bestimmungen mit den aus dem Zirkulationsprozeß entspringenden Formunterschieden von fixem und zirkulierendem Kapital kunterbunt zusammen. Das Nähere darüber im Zweiten Buch. zweiter Abschnitt.
#639# 22. Kapitel - Verwandlung von Mehrwert in Kapital
Teil wird in andre Länder exportiert... Der in unsrer Industrie
angewandte Teil bildet keine bedeutende Portion des jährlich in
diesem Land akkumulierten Reichtums." 68)
Der größere Teil des jährlich zuwachsenden Mehrprodukts, dem englischen Arbeiter ohne Äquivalent entwandt, wird also nicht in
England, sondern in fremden Länder verkapitallsiert. Aber mit dem
so exportierten Zusatzkapital wird ja auch ein Teil des von Gott
und Bentham erfundnen "Arbeitsfonds" exportiert. 69)